Die Themen im US-amerikanischen Wahlkampf sind wie gewohnt innenpolitisch geprägt. Kriege in Nahost und der Ukraine aber überschatten ihn. Der Ausgang der Wahlen wird massive Konsequenzen haben – egal wer gewinnt.
Kamala Harris’ Kampagne kann mit Fug und Recht behaupten: Sie hat Donald Trump kalt erwischt. Dennoch hatte sie kaum Zeit, ein eigenes politisches Programm auf die Beine zu stellen. Demzufolge sind viele ihrer Pläne noch bestenfalls vage, vor allem in der erwarteten Außenpolitik, die umgekehrt jedoch einen massiven Einfluss auf den Ausgang der Wahl am 5. November haben dürfte.
In Sachen erwartbarer Politik sind die Linien beider Lager in Grundzügen klar. Beispiel Wirtschaft: Harris hat ein 82-seitiges Wirtschaftsprogramm vorgelegt, das dem Mittelstand und Familien zugutekommen soll, mit Investitionen und Steuererleichterungen. Trump setzt, wie gewohnt, auf Steuersenkungen für Unternehmen und Zölle auf nicht näher bezeichnete Produkte. Zwar will er nach eigenen Aussagen an die Sozialprogramme der USA nicht heran, um die Ausgaben des Staates zu senken. Doch er verspricht den Wegfall von Steuern auf die US-amerikanische „Social Security“. Dies ist das Renten- und Kriegsversehrten-Sicherungssystem der USA. Laut der parteiunabhängigen NGO „Committee for a Responsible Federal Budget“ gibt das „Social Security“-System derzeit mehr Geld aus, als es über Steuern einnimmt. Unter der jetzigen Gesetzgebung wäre es ohne die dringend notwendige Reform im Jahr 2033 pleite. Nach Trumps Steuersenkung schon sehr viel früher.
Ökonomen warnen vor Trump-Plänen
Ähnlich düstere Aussichten hätten Trumps Wirtschaftspläne für den US-amerikanischen Handel zur Folge. 23 Nobelpreisgewinner der Ökonomie in den USA bezeichnen die Pläne von Harris denen von Trump überlegen. Beide würden wohl zum US-amerikanischen Haushaltsdefizit beitragen, Trumps Pläne für Steuersenkungen und Zölle aber würden es um ein Vielfaches aufblähen. Die Folgen auch für die bereits gebeutelte deutsche Wirtschaft wären schwerwiegend, würde sich der amerikanische Protektionismus verschärfen. Zölle, so behauptet Trump, würden die USA reicher machen, weil andere Länder sie an die USA bezahlen würden. Dass die dadurch steigenden Preise für Importe an die Konsumenten weitergegeben werden, ignoriert er einfach.
Beide, sowohl Kamala Harris als auch Donald Trump, stehen wohl auch während ihrer potenziellen Präsidentschaft für eine Verschärfung in der Migrationspolitik, die eine Präsidentin Harris von Joe Biden übernehmen würde. Nach langem Hin und Her begrenzte die Biden-Administration jetzt die Grenzübertritte. Jene Politik hat mittlerweile den meisten Migranten, die illegal die südliche Grenze überqueren, den Asylanspruch entzogen. Sie schaffte die seit Langem bestehende Vorschrift ab, wonach US-Einwanderungsbeamte Migranten vor einer möglichen Abschiebung fragen müssen, ob sie in ihrem Heimatland Schaden zu befürchten haben. Die Maßnahmen gegen Asylbewerber waren eigentlich als vorübergehend gedacht und mussten unter der Bedingung stehen, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte in den nächsten sieben Tagen im Durchschnitt über 1.500 liegt. Nach den neuen Regeln können die Behörden die Maßnahmen jedoch nur aufheben, wenn die Zahl nicht nur eine Woche, sondern 28 Tage lang unter 1.500 liegt. Trump dagegen will Migranten in Lager sperren und abschieben. Wie das aussehen soll, ist unklar.
Zum Thema Abtreibung hat sich Trump ebenso wenig klar positioniert. Für ihn sollen die Bundesstaaten entscheiden, wie sie das Thema handhaben wollen, dafür habe er gesorgt, so Trump – wohl indem er in seiner vergangenen Amtszeit möglichst konservative Richter für freigewordene Positionen des Supreme Courts ausgesucht hatte. Diese kippten den Bundesabtreibungsparagrafen „Roe v. Wade“. Die Folge waren unter anderem bereits zwei Todesfälle schwangerer Mütter in den USA, weil Kliniken in Georgia wegen des dort strikten Abtreibungsverbotes ab der sechsten Woche eine Abtreibung verweigerten.
Harris hat den Anspruch, Abtreibung wieder in einem Bundesgesetz zu verankern. Das dürfte zumindest schwierig werden und an den nach den Wahlen herrschenden Mehrheiten im US-Kongress hängen: Eine republikanische Mehrheit im Senat oder im Repräsentantenhaus wird einer demokratischen Präsidentin dieses Gesetzesvorhaben klar verweigern.
Wahlleugner nun besser organisiert
Schon jetzt strengen Anwaltsteams beider Seiten in mehreren Staaten Prozesse zur Integrität der Wahl an sich an – auch dies ein Thema während des Wahlkampfes und garantiert auch nach der Wahl. Trumps gebetsmühlenartig vorgetragene Lüge von Wahlfälschungen während der Wahl von 2020 ist bei seinen Anhängern längst Realität geworden. Entsprechend hart arbeiten Trump-Anhänger auf County- oder Bundesstaatsebene daran, die „Integrität der Wahl zu sichern“ – indem sie sie erschweren. Das parteiübergreifende Brennan Center für Recht an der New York School of Law schrieb, Wahlleugner seien 2020 noch unorganisiert gewesen. Dies habe sich geändert. Sie hätten Dutzende von Klagen eingereicht, viel mehr als bei früheren Wahlen. „Einige zielen darauf ab, Wahlbeamte mit Scheinarbeit zu überschwemmen. Andere sind kaum mehr als Pressemitteilungen mit einer juristischen Überschrift, die darauf abzielen, Zweifel am System zu säen“, schreibt Michael Waldman, Präsident des Brennan Centers, in seinem Newsletter. Gerichte hätten längst damit begonnen, die empörendsten Versuche, die Wahlregeln zu manipulieren, zu unterbinden. Darunter auch ein prominenter Fall, den Trump selbst in einer Wahlkampfrede lobte: der mittlerweile von „MAGA“-Wahlleugnern (MAGA: Make America great again) dominierte staatliche Wahlausschuss in Georgia, dessen Mitglieder Trump bei einer Kundgebung im August als „Pitbulls“ für den „Sieg“ bejubelte. Der Ausschuss begann, zunehmend wirre Anordnungen zu erlassen, wie die Anweisung, dass lokale Beamte die Anzahl der Stimmzettel von Hand zählen sollten. Nun hat ein Richter in Georgia diese Maßnahmen abgelehnt. Das Urteil wurde inzwischen wieder angefochten. Hinzukommen Behauptungen, die auch Trumps Sprachrohr Elon Musk verbreitet, wie jene, dass die Demokraten „Millionen von Migranten“ ins Land lassen, damit sie für die Demokraten stimmen. Dies ist ebenfalls Teil einer Desinformationskampagne Trumps und seiner Helfer, die Misstrauen säen wollen.
Weit entfernt von Washington, im Gazastreifen, in Beirut, Kiew und Brüssel, blickt man ebenfalls mit Spannung auf das, was nach der Amtseinführung am 20. Januar 2025 geschieht. Trumps Behauptung, er werde den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden, lässt viele Fragen offen. Harris wird dem Krieg wohl in ähnlicher Weise wie Joe Biden begegnen – mit Hilfslieferungen wie gewohnt, sofern das derzeit republikanisch dominierte Repräsentantenhaus die Gelder freigibt. Ob Trump diese Lieferungen fortführen wird, ist unklar und hängt von seinem angeblich guten Verhältnis zu Russlands autoritärem Präsidenten ab. Der Krieg Israels gegen die Hamas und die Hisbollah hängt der Harris-Kampagne jedoch wie ein Mühlstein um den Hals. Viele junge Studenten protestieren an ihren Unis regelmäßig dagegen, auch die traditionelle Unterstützung der Demokraten von muslimischen und arabischstämmigen Amerikanern wird dadurch in Zweifel gezogen. Trump kann sich hier zurücklehnen, seine Männerfreundschaft mit dem autoritär auftretenden Regierungschef Israels, Benjamin Netanjahu, bedeutet wahrscheinlich freie Hand für Israels Kampagne gegen die Hisbollah und die Hamas. Schon während seiner ersten Amtszeit hatten die Palästinenser in Trumps Nahostpolitik keinen Platz.
Transatlantisch ändert sich unter beiden Kandidaten für Europa wenig: Wie unter Barack Obama und Joe Biden wenden sich die USA mehr und mehr von Europa ab, das nunmehr stärker auf eigenen sicherheitspolitischen Beinen stehen muss als zuvor. Daran ändert auch ein Krieg in der Ukraine nichts. Gleichzeitig bleibt eine Partnerschaft zwischen den USA und Europa unter einer potenziellen Präsidentin Harris deutlich berechenbarer als unter einem Präsidenten Trump. Dieser hätte in Europa wohl nur einen Freund und Bewunderer: den autoritären ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.