Mal pastellfarben und märchenhaft, mal düster und dramatisch – Valentin Winter gehört zu den wohl fantasievollsten und exzentrischsten Kostümbildnern, Designern und Models Deutschlands. Ein Interview über seinen Stil, seine Arbeit und besondere Veranstaltungen.
Lieber Valentin, wann und wie entstand Dein Interesse für Fantasy, Gothic und Alternative Fashion?
Ich denke, das wurde mir sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Ich habe als Kind viele Märchen vorgelesen bekommen und später dann Bücher von Tolkien, Poe, Dickens und Oscar Wilde verschlungen und bin sehr früh tief in verschiedenste Fantasy-Welten eingetaucht. Später entwickelte ich dann eine große Liebe für Fantasy-Filme, Horror und chinesische Wuxia-Filme und habe mich immer von allem angezogen gefühlt, was sich magisch und andersweltlich angefühlt hat.
Ich war schon als kleiner Junge sehr unzufrieden mit der sehr begrenzten Auswahl, die die Modewelt Männern anbietet und habe es nicht eingesehen, mich an die langweiligen Konventionen und Regeln zu halten. Ich wollte Drama, langes Haar, Rüschen und Glitzer, Samt und Seide, und weil ich nichts davon im Mainstream finden konnte habe ich sehr früh angefangen, selbst zu entwerfen und mir von meiner modebewussten Großmutter das Nähen beibringen lassen. So war für mich von Anfang an die einzige Lösung, selbst die Kleidung zu entwerfen, die ich gern tragen wollte. Außerdem hatte ich schon immer eine Schwäche für die Mode längst vergangener Epochen und habe von Bällen mit edlen Anzügen und fließenden Kleidern geträumt.
Wie würdest Du Deinen Stil beschreiben?
Ich habe einfach einen Hang zur Dramatik. Je aufwendiger und kunstvoller ein Gewand ist, desto mehr Freude habe ich daran. Ich liebe es, historischen Looks meine eigene Handschrift zu verpassen, aber ich suche auch immer nach neuen fantasievollen Silhouetten. Ich spiele mit klassischen Regeln und Rollen, aber breche sie auch leidenschaftlich gern. Je nach Anlass und Stimmung changiert mein Stil stark – mal bin ich verliebt in ätherische Elfengewänder in blassen Tönen und Glitzer, mal zieht es mich zu düsterer Romantik in schwarzer Spitze und scharfen Formen. Dann trage ich auch wieder sehr modernen Glam und Fetisch-Looks mit Kunstleder, Lack und High Heels. Es ist ein stetiger Wandel, und ich suche immer nach neuen Herausforderungen.
Wo findest Du Inspiration für Deine Outfits?
Inspiration finde ich in unzähligen Dingen, vor allem aber in der Kunst- und Kulturgeschichte. Ich habe meine Obsessionen mit vielen Traditionen, Stilrichtungen und Epochen aus verschiedenen Teilen der Welt – von chinesischen Hanfu-Gewändern und indischen Saris bis zu skandinavischen Wikinger-Fundstücken kann ich mich für einiges begeistern. Natürlich sind für mich einige historische Epochen ganz besonders wichtig. Insbesondere die modischen Eskapaden von Barock und Rokoko fesseln mich enorm mit ihrer unübertrefflichen Opulenz und Exzentrik in Rüschen und Pastell-Tönen. Aber auch die wunderschönen Spitzenkrägen der Tudor-Zeit und die strengen Formen der Viktorianik faszinieren mich. Es ist immer wieder spannend, zu sehen, wie unterschiedlich Menschen verschiedener Zeiten und Kulturen ihre Kleidung neu erfunden haben.
Wie schon erwähnt sind auch Märchen und Fantasy-Filme schon immer eine meiner stärksten Inspirationen gewesen. Ich achte als Kostümbildner natürlich immer ganz genau auf Kleidung, Silhouetten und Schnitte, wann immer ich einen Film oder eine Serie schaue. Auch glitzernde Ballett- und Opernkostüme haben meine Ästhetik geprägt.
Du hast Modedesign und Fotografie studiert. Sind Deine kompletten Outfits selbst designt oder kaufst Du auch Stücke und Accessoires hinzu?
Zu besonderen Anlässen trage ich am liebsten meine eigenen Kreationen. Dazu designe und nähe ich das gesamte Outfit und plane jedes Detail sehr akribisch und perfektionistisch. Aber da ich nicht nur Modedesigner, sondern auch selbst Mode-Liebhaber bin, suche ich auch schöne Kleidung und Accessoires, wo immer ich sie finden kann. Ich shoppe viel secondhand und jage Silberschmuck auf Antik- und Flohmärkten wie eine Elster. Ich kollaboriere aber auch oft mit anderen Designern, und meine Schmuck-Sammlung wächst stetig in beunruhigendem Maße.
Eine meiner längsten Partnerschaften ist die mit der Marke „Alchemy England“, deren Schmuck ich leidenschaftlich sammle und trage.
Welche Kleidungsstücke designst Du? Sind das kleine Kollektionen oder alles Unikate nach Maß?
Meine große Leidenschaft sind opulente historische Ballkleider, und die habe ich bisher nur als Unikate auf Maß geschneidert. Ich designe auch große exzentrische Hüte und Perücken. In der Zukunft möchte ich aber auch ganze Kollektionen nähen. Insbesondere Accessoires wie Miedergürtel, Capes und Kopfputz, die nicht unbedingt auf Maß sein müssen, kann ich mir in kleinen Serien gut vorstellen.
Du hattest auch schon Modeschauen – welche Stücke hast Du dort präsentiert?
Ich hatte das Glück, meine Kreationen auf der Fashion-Show des „Danza Luna“-Kostümballs in den Hallen der Oper von Gent zeigen zu können. Dort habe ich 2019 eine düstere Rokoko-Kollektion vorgeführt und 2022 im Zuge der Belgian Fashion Week einen Runway mit glitzernden Seidenroben und bodenlangen Mänteln aus Samt verzaubert. Modenschauen sind das Stressigste, aber auch das Spannendste, was man als Designer erleben kann, und es ist eine ganz besondere Magie, die eigenen Werke auf dem Runway zu sehen.
Wie sehen Dein Leben und Dein Alltag aus?
Ich arbeite zurzeit im Theater in der Kostümabteilung und bin dort tagtäglich mit großen und kleinen Produktionen beschäftigt. Das nimmt momentan den größten Teil meiner Zeit in Anspruch, weswegen ich momentan kaum Aufträge annehmen kann. Zu Hause habe ich mein Näh-Atelier und ein Fotostudio. Wann immer ich die Zeit finde, kann ich dort in meiner eigenen Welt versinken und meine Fantasien verwirklichen.
Ich hoffe sehr, dass ich es bald wieder öfter schaffe, mit Fotografen und anderen Kreativen zusammenzuarbeiten. Ich habe eine lange Liste von Künstlern, die ich gerne endlich zur kreativen Zusammenarbeit treffen möchte. Meine letzte große Reise war nach Paris, wo ich im Schloss von Versailles an der „Fêtes Galantes“ teilgenommen und im Spiegelsaal getanzt habe, was mir noch immer fast wie ein Traum vorkommt. Als Nächstes steht der Karneval von Venedig auf meiner Wunschliste.
Du hast inzwischen mit Sicherheit einen riesigen Fundus an aufwendigen Outfits und Accessoires. Wo bewahrst Du die alle auf?
Das ist tatsächlich eine große Herausforderung! Ich habe einen riesigen Kleiderschrank, der unter seiner Last beinahe zusammenbricht. Die meisten meiner Kreationen sind sehr voluminös und schwierig zu verstauen, deshalb habe ich in meinem Atelier die robustesten Kleiderstangen, die ich finden konnte für meinen Fundus.
Wie sieht Deine Beauty-Routine aus?
Bevor ich das Haus verlasse, habe ich meine Rituale. Das hat für mich eine sehr spirituelle Komponente. Ich brauche meine Zeit vor dem Schmink-Spiegel, in der ich mich ganz auf mich konzentrieren kann, um mich für den Tag und für soziale Interaktion zu wappnen. Make-up und Styling waren für mich sehr früh ein Weg, um mich kreativ auszudrücken, und nach so vielen Jahren ist diese Transformation noch immer eine Quelle von Kreativität und auch von Stärke für mich.
Ich habe gelernt, dass es sehr wichtig ist, mir die Zeit zu nehmen, mich morgens in Ruhe fertig zu machen und mir sorgsam ein Outfit auszusuchen und abends meine Cremes und Tinkturen aufzutragen und diese Momente der Achtsamkeit bewusst wahrzunehmen.
Welche Make-up-Produkte benutzt Du – sind auch Standard-Produkte darunter oder handelt es sich um bestimmte Marken und Theater-Schminke?
Das variiert sehr stark. Je nach Anlass und Look benutze ich von Drogerie-Make-up über High-End-Marken bis zu Theater- und Bühnenschminke ganz verschiedene Produkte – was auch immer mir gerade nützlich erscheint. Mein ganzer Stolz ist eine riesige Sammlung an verschiedensten Glitzer-Pigmenten, die in allen Farben schimmern, schillern und funkeln. Außerdem sammle ich Swarovski-Kristalle, die vielen Looks buchstäblich den letzten Schliff geben.
Wie zaubert man so einen lang anhaltenden Porzellan-Teint ohne Verwischen – was sind Deine Geheimtipps?
Meine Allzweck-Waffe für den blassen Teint ist Babypuder – der Rest bleibt aber vorerst geheim!
Wenn Du Festivals besuchst, stehen die Fotografen Schlange. Wie lange brauchst Du für Make-up und Garderobe, bevor Du für Events gestylt bist?
Ich brauche für Events meist zwischen einer und zwei Stunden. Für historische Looks benötige ich immer länger, bis alle Lagen angelegt und geschnürt sind. Und weil ich meist mit Freunden reise, gibt es immer kleine Unterbrechungen für Sekt, Tratsch oder Nervenzusammenbrüche.
Gibt es andere Models und Designer, die Du bewunderst?
Davon gibt es einige! Ich habe das große Glück, von vielen unglaublich talentierten, kreativen und liebenswerten Menschen umgeben zu sein und auch viele tolle Künstler zu meinen engen Freunden zählen zu dürfen. Eine Künstlerin, die ich sehr bewundere, ist zum Beispiel meine liebe Freundin Annika (Manic Moth) mit ihrem Label „Vespermoth“. Sie ist als Schmuck-Designerin, Model, Fotografin und Make-up-Artistin eine echte One-Woman-Army, und ich habe unendlichen Respekt vor ihrer kreativen Energie und ihrem Mut.
Welche sind Deine Lieblingsevents und -messen?
Neben dem Wave-Gotik-Treffen besuche ich jedes Jahr gerne das M’era Luna Festival. Dort gibt es auch immer eine große Fashion-Show und Stände von alternativen Mode- und Schmuck-Designern. Über das Jahr hinweg gehe ich gern zu historisch inspirierten Picknicks, Bällen und Mittelaltermärkten jeglicher Art. Besonders zur Winterzeit gibt es nichts Schöneres, als einen Glühwein auf einem mittelalterlichen Weihnachtsmarkt zu trinken und im Fackelschein an den Ständen zu Dudelsack-Musik nach Schmuck oder Kristallen zu suchen.
Festivals wie das WGT oder M’era Luna und Fantasy-Events oder Mittelaltermärkte erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Findest Du, dass die Leute dadurch offener geworden sind, kannst Du einen großen Unterschied zu damals feststellen?
Ich denke einen Unterschied gibt es schon, insbesondere in den jüngsten Generationen. Es existiert inzwischen eine riesige Bandbreite an alternativen Fashion-Trends und Sub-Stilen, die heute durch die sozialen Medien viel zugänglicher und weiter verbreitet sind. Auch sieht man viel mehr Männer, die sich trauen, Make-up zu tragen, wohl auch nicht zuletzt normalisiert durch Trends wie K-Pop. Allerdings gibt es zur gleichen Zeit auch eine Verhärtung an den konservativen Fronten, und als extravagant gekleideter Mensch bin ich immer öfter mit Hass, offener Aggression und Anfeindung konfrontiert, die in den letzten Jahren sogar eher schlimmer als besser werden. Inzwischen meide ich tatsächlich öffentliche Räume so gut ich kann, so traurig das auch ist. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass sich diese Probleme in naher Zukunft legen werden.
Wie bist Du im Alltag unterwegs – erkennt man Dich immer oder bist Du auch mal unauffälliger und ungeschminkt?
Zwar trage ich nicht jeden Tag meine aufwendigsten Gewänder, aber ich bin sehr strikt darin, niemals ungestylt das Haus zu verlassen. Ungeschminkt schon gar nicht.
Auf der Arbeit bin ich zum Beispiel meist in meiner Version von Business-Chique unterwegs, unauffällig ist aber wohl kein passendes Wort für mich, zumal ich immer in der ein oder anderen Art glitzern werde.
Allerdings bin ich unterwegs höchstwahrscheinlich hinter einer Sonnenbrille und meinen Kopfhörern versteckt und meist in Gedanken vertieft.
Was sind die schönsten Komplimente, die Du je bekommen hast?
Ich wurde kürzlich auf der Straße von einer fabelhaft gestylten älteren Lady komplimentiert. Wir sind dann ins Gespräch gekommen, und sie hat mir einige Anekdoten zu ihren Accessoires erzählt, das war eine schöne Begegnung. Und es ist immer sehr rührend, von Kindern als Fabelwesen identifiziert zu werden. Sei es ein Elf oder ein Zauberer – das sind die schönsten Komplimente.
Womit bist Du aktuell beschäftigt?
Gerade plane ich wie wild verschiedene Gewänder für den venezianischen Karneval und einige Kostümbälle.
Und im Großen und Ganzen arbeite ich darauf hin, mich im kommenden Jahr wieder mehr auf mein eigenes Label „Elysion Arts“ zu konzentrieren. Vielleicht ist auch die ein oder andere Modenschau geplant …