Die Finnin Meri Valkama hat ein Buch über ein Leben in der DDR geschrieben. Im Roman „Deine Margot“ geht es nicht nur um Liebe und Betrug, um große Leidenschaft und den Zerfall einer Familie. Er erzählt auch vom sozialistischen deutschen Staat.
Frau Valkama, ihr Buch spielt zu großen Teilen in Ostberlin. Welche Verbindung haben Sie denn zur DDR?
Ich war drei Jahre alt, als meine Familie nach Ostberlin zog. Das war 1983 in der Zeit des Kalten Krieges, und wir lebten hier vier Jahre lang. Mein Vater war Journalist und Korrespondent für eine kommunistische finnische Zeitung. Meine Eltern haben mir erzählt, dass damals mein Deutsch besser war als mein Finnisch. Das ist es heute nicht mehr (lacht). Ich ging in einen ostdeutschen Kindergarten und hatte natürlich auch deutsche Freunde.
Sie waren sehr jung, als ihre Familie wieder nach Finnland zurückging. Hatten sie auch nachher eine Beziehung zu Deutschland?
Ja, als ich sieben war, gingen wir nach Finnland zurück. Aber Deutschland blieb in meinem Leben. Wir sind fast jeden Sommer zurückgekehrt, ich habe im Erwachsenenalter hier gelebt, ich habe hier Freunde, und auch meine beiden Brüder haben hier gelebt und als Basketballtrainer gearbeitet (Meri Valkamas Bruder Tuomas Iisalo ist aktuell einer der erfolgreichsten Basketballtrainer Europas, Anm. d. Red.).
Ist all das der Grund, dass sie die DDR als Ort der Handlung gewählt haben?
Ich muss vorab klarstellen, dass das Buch ein Roman ist und nicht die Geschichte meiner Familie. Aber natürlich hatte die Tatsache, dass ich hier als Kind gelebt hatte, einen Einfluss. Ich war seitdem interessiert an der dortigen Gesellschaft, und immer wenn etwas über Deutschland in den Nachrichten kam, dachte ich: „Ah, sie reden über mein Vaterland“. Doch meine eigene Erfahrung war nicht der eigentliche Grund, warum ich das Buch schreiben wollte. Das war zwar ein Startpunkt, doch der Hauptgrund war, dass mich die allgemeine Interpretation der Geschichte nach dem Fall der Mauer gestört hat.
Hatten Sie das Gefühl, dass die DDR unfair behandelt wurde?
In gewisser Weise ja. Alles Schlechte, das man der DDR zuschrieb, stimmt. Die ganzen Stasi-Sachen und die Tatsache, dass man nicht reisen konnte, das stimmt alles. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Gleichzeitig gab es auch positive Dinge in der Gesellschaft und auch Errungenschaften, die wir im Westen nicht hatten. Also in Finnland (sie unterbricht, überlegt und spricht dann weiter) … damals hatten wir sogar noch ein gutes Gesundheitssystem. Inzwischen ist es aber völlig kaputt gegangen. Die DDR jedenfalls hatte ein funktionierendes Gesundheitssystem. Oder die Wohnsituation. Oder die Tatsache, dass jeder Arbeit hatte. Über all das durfte man nach der Wiedervereinigung nicht mehr reden.
Was meinen Sie denn genau damit, wenn Sie sagen, „dass man darüber nicht mehr reden“ durfte?
Ich spreche jetzt nur über Finnland. Wenn man da in den 90er-Jahren eine Verbindung zur DDR, der Sowjetunion oder auch in die Tschechoslowakei hatte, war es in Ordnung, wenn man über die schlechten Seiten dort redete und sagte „es war furchtbar dort und man hatte keine Rechte“. Aber über das, was funktionierte sollte man nicht reden.
Würden Sie Ihr Buch als politisches Buch bezeichnen oder geht es doch mehr um Beziehungen?
Es ist beides.
Ist Ihr Buch dann auch ein politisches Statement?
Ich war so frustriert und gelangweilt über die typischen Geschichten, die über die DDR erzählt wurden. Es gibt viele Filme über die DDR, die ich liebe, beispielsweise das „Leben der Anderen“. Den Film liebe ich wirklich, ich finde den ganz groß. Aber alles, was ich gelesen habe, also zumindest alles, was ins Finnische übersetzt wurde, wurde aus dieser Blickrichtung erzählt. Alles war schlecht und die Leute waren böse. Darüber war ich wirklich wütend. Ich denke nicht, dass die Ostdeutschen schlechte Menschen waren. Sie konnten doch nicht wählen, in welche Gesellschaft sie hineingeboren wurden. Genauso wie wir auch, genauso wie Palästinenser, Israelis oder wer auch immer. In vielen Büchern und Filmen gab es die Erwartungshaltung, dass sich die Ostdeutschen allein deshalb schuldig fühlen müssten, weil sie in der DDR geboren wurden. Ich glaube, das ist nicht fair. Auf diese Art ist mein Buch schon ein Statement. Ich wollte zeigen, dass die Ostdeutschen ganz normale Menschen waren, genau wie die Menschen im Westen. Es sind nicht nur der Osten, oder der Kommunismus, oder der Sozialismus schuld daran, dass es Fehler und Unzulänglichkeiten gibt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich die DDR verteidigen muss, aber ich möchte die Leute, die dort lebten, verteidigen.
Würde Ihr Buch denn mit einem anderen Ort als Schauplatz der Handlung funktionieren?
Vermutlich nicht. Berlin beziehungsweise Ostberlin ist wie eine Romanfigur. Ich weiß gar nicht, wie ich es besser erklären kann. Natürlich könnte die Liebes- und Familiengeschichte als solche überall spielen, aber die gesellschaftliche Situation und die Politik der Zeit haben einen Einfluss auf die Familiengeschichte. In dem Buch scheitern das Gesellschaftssystem und die Familie zum selben Zeitpunkt. Und das ist der zentrale Punkt des Buches.
Ihr Buch war in Finnland ein großer Erfolg, warum kann man mit dem Thema DDR dort so viele Leser ansprechen?
Die Leute haben das Buch gekauft, weil es gut ist (lacht). Ich erzähle die Geschichte einer finnischen Familie, die in Ostberlin lebt. Ich denke für die Finnen ist es deswegen nicht nur ein Buch über die DDR, es ist auch ein Buch über eine sozialistische finnische Familie.