„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“: Was könnte sich hinter einem so sperrigen Titel verstecken? Tatsächlich sind es zwölf Erzählungen, deren Protagonisten sich dieselbe Frage stellen: Was wäre, wenn man nicht diese eine Entscheidung im Leben getroffen hätte? So etwa Dilek, die türkische Reinigungskraft, die fast ihrer Tante Özlem in eine andere Zukunft mit Büchern und Bildung gefolgt wäre, dann aber mit ihrem Mann in Wien gelandet ist, bei Frau Sehner die Wohnung putzt und beschließt, nicht mehr in die Türkei zurückzugehen. Oder Georg, der an einem gemütlichen Abend mit seiner Frau plötzlich für ihn selbst überraschend verkündet, dass er seinen Job kündigen will. Und dann ist da die titelgebende Witwe, die am Grab ihres Mannes ihr Leben Revue passieren lässt und überlegt, ob sie mit dem Herrn von der anderen Grabstelle Schwarzwälder Kirschtorte essen soll. In einer Erzählung geht es auch um Saša Stanišic selbst, der während seiner Sommerferien auf einem Hochsitz zwischen Wald und Weinberg von Helgoland träumt, Heinrich Heine liest und fast unfreiwillig zum Schriftsteller wird.
Stanišic spielt die verschiedensten Geschichten um völlig unterschiedliche Menschen durch. Immer kommen die Erzählungen mit Leichtigkeit daher, sind aber gleichzeitig sprachlich ausgefeilt. Geschickt werden Umgangssprache, Jargons verschiedenster Milieus mit inneren Monologen verwoben, ganz nebenbei große Themen wie Herkunft, Identität oder Einsamkeit verhandelt. Das Ganze gewürzt mit Witz und subtilem Humor, der die Protagonisten nie dem Gespött ausliefert. Am Ende fließen alle Geschichten ineinander, weshalb man sie unbedingt der Reihe nach lesen sollte.
Bei der Lektüre wird klar, warum der 1978 im östlichen Bosnien geborene und seit 1992 in Deutschland lebende Autor vielfach ausgezeichnet wurde. Gerade wurde ihm auch der Wilhelm Raabe-Preis der Stadt Braunschweig zuteil. Völlig verdient!