Drei Fragen
„Nicht auf Migrationsdruck reagiert“
Das Land müsse dringend verpflichtende Sprachstandserhebungen bereits für Vierjährige einführen, fordert der Geschäftsführer der industrienahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Thorsten Alsleben.
Herr Alsleben, seit 21 Jahren gibt es den Bildungsmonitor der INSM, diesmal mit einem Sonderkapitel zu Migration, wieso haben sie jetzt explizit darauf abgehoben?
Durch immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund sinkt das Bildungsniveau. Dafür können nun die Kinder oder Lehrer nichts, sondern die Bildungspolitik hat nicht richtig reagiert, oder besser, sie hat gar nicht reagiert, obwohl diese Entwicklung im Vorfeld durch die hohen Migrationszahlen absehbar war. Ich will nicht falsch verstanden werden, Migration ist nicht das Problem, sondern Kinder, die aus Elternhäusern kommen, in denen zu wenig oder auch gar nicht Deutsch gesprochen wird, in denen es keinen genügenden Bildungshintergrund gibt. Diese Kinder senken dann automatisch in den Schulen das Bildungsniveau, weil sie die Sprache nicht können.
Sie sagten es bereits: Das war absehbar. Was sollte jetzt aus Ihrer Sicht sofort passieren?
Diese Kinder und natürlich auch die betroffenen Schulen mit einem hohen Migrationsanteil müssen gezielt gefördert werden, damit das Bildungsniveau wieder steigt. Es ist auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit gegenüber den betroffenen Kindern und ihrer Mitschüler. Ein erster Schritt: Wir müssen dringend verpflichtend Sprachstandserhebungen bereits für Vierjährige einführen, dann bleiben noch zwei Jahre Zeit, um zumindest die Sprachhürden bis zur Einschulung abzubauen, damit auch deren Bildungschancen steigen.
Die verpflichtende Sprachstandserhebung ist das eine. Aber wo sollen die Kinder denn Deutsch lernen?
Wird dieses Defizit erkannt, dann muss das betreffende Kind in die frühkindliche Erziehung, also Vorschule oder Kita. Doch laut unserer Studie haben wir momentan genau eine gegenteilige Entwicklung festgestellt. Bei Drei- bis Sechsjährigen mit vollen Sprachkenntnissen haben wir beinahe eine hundertprozentige Kita-Abdeckung. Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist der Anteil von 85 auf 78 Prozent gesunken, genau die gegenteilige Entwicklung. Wir befürchten, dass sich diese noch verstärken könnte. Allerdings wird die verpflichtende Sprachstandserhebung in Hamburg bereits mit Erfolg praktiziert und auch Berlin will sie einführen.
Interview: Sven Bargel
Prognose: Markt für saubere Energie vervierfacht sich
Der Weltmarkt für saubere Energietechnologien wird nach Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) von knapp 650 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf über 1,85 Billionen Euro im Jahr 2035 anwachsen. Außerdem werde sich der Handel mit Technologien für saubere Energie wie Fotovoltaik, Windturbinen, Elektroautos, Batterien und Wärmepumpen in einem Jahrzehnt mehr als verdreifachen und knapp 530 Milliarden Euro erreichen, meldet die IEA. „Der Markt für saubere Technologien wird sich in den kommenden zehn Jahren wertmäßig vervielfachen und zunehmend zu den Märkten für fossile Brennstoffe aufschließen“, sagte IEA-Direktor Fatih Birol. „Während die Länder versuchen, ihre Rolle in der neuen Energiewirtschaft zu definieren, werden drei wichtige Politikbereiche – Energie, Industrie und Handel – immer stärker miteinander verknüpft.“ Dabei versuchten die Länder laut IEA, ihre Energiesicherheit zu erhöhen, ihren wirtschaftlichen Vorsprung zu halten und die Emissionen zu reduzieren. China bleibe auf absehbare Zeit Zentrum der Weltproduktion sauberer Energietechnologien.
Kleiner Hoffnungsschimmer
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht das überraschende Wachstum der deutschen Wirtschaft im dritten Quartal als Hoffnungszeichen. „Das ist bei Weitem noch nicht das, was wir brauchen, aber immerhin ein Lichtblick“, sagt der Grünen-Politiker. „Die Wirtschaft zeigt sich robuster als bislang prognostiziert, die von vielen erwartete technische Rezession bleibt aus.“ Gleichzeitig zeige sich deutlich, dass „wir weitere Maßnahmen brauchen, das ist bei allen angekommen“, sagt Habeck. „Investitionsanreize, Innovationsförderung und Entbürokratisierung – wir sollten hier gemeinsam agieren und den Standort Deutschland stärken.“ Die deutsche Wirtschaft ist nach Daten des Statistischen Bundesamts im dritten Quartal um 0,2 Prozent gewachsen, gemessen am Vorquartal. Noch im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt gesunken. Viele Ökonomen hatten erwartet, dass die deutsche Wirtschaft im Sommerquartal erneut schrumpft. Bei zwei Minusquartalen in Folge sprechen Volkswirte von einer „technischen Rezession“.
Einbürgerungsstau
Seit Juni dieses Jahres hat Deutschland laut Bundesregierung ein modernes Einwanderungsrecht, das auch mit Kanada konkurrieren kann. Zumindest in der Theorie. Bundesweit spricht der Verwaltungsalltag eine andere Sprache. Laut einer Umfrage unter den 25 großen Städten Deutschlands ist die Zahl der Einbürgerungsanträge binnen zwei Jahren um 50 Prozent gestiegen. Allein in Berlin stellten vor zwei Jahren 81.000 Personen einen Einbürgerungsantrag, in diesem Jahr sind es bislang 122.000. Doch seit der Einbürgerungsreform hätten sich die Antragszahlen „noch einmal deutlich gesteigert“, sagt ein Sprecher des Berliner Landesamtes für Einwanderung. Ähnlich sieht es in anderen deutschen Städten aus. Doch das heißt nicht, dass auch die Anzahl der Mitarbeiter mehr geworden ist. Darum kommen die Behörden bundesweit mit der Bearbeitung kaum hinterher. Mehr als 217.000 Anträge sind laut Umfrage allein in 20 Städten anhängig.
10.000 Tonnen zusätzlicher Müll durch Kaffeekapseln
Allein im Jahr 2022 wurden in Deutschland 2,8 Milliarden Kaffeekapseln in deutschen Haushalten verbraucht. Dadurch ist ein vermeidbarer Müllberg von fast 10.000 Tonnen aus Plastik, Aluminium und Pappe entstanden, so die jüngsten Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Berechnungen basieren auf der Grundlage von Marktdaten und eigenen Gewichtsmessungen der gängigsten Kaffeekapselmarken. Nun will die Umwelthilfe den Deutschen den Kaffeegenuss nicht vermiesen, sondern fordert die Hersteller auf, wiederbefüllbare Mehrwegkapseln in die Regale zu bringen. Längst existieren Alternativen aus Kunststoff oder Edelstahl, die mit gängigen Kapselautomaten kompatibel sind und die über ein Pfandsystem vertrieben werden könnten. Etwa fünf Prozent des Kaffees in Deutschland wurde 2022 in kleinen Kapseln verkauft. Diese erzeugen im Durchschnitt 15-mal so viel Verpackungsabfall wie eine 500-Gramm-Verpackung für Röstkaffee.
Koalitionsgespräche
Gegenwind für Woidke
Obwohl die Brandenburger drei Wochen nach Sachsen und Thüringen gewählt haben, ist der SPD-Wahlsieger, Ministerpräsident Dietmar Woidke, dort früher in die Koalitionsverhandlungen mit dem BSW eingestiegen als die CDU in Sachsen und Thüringen. Doch nun gibt es für Woidke innerhalb der Bundes-SPD Gegenwind gegen eine mögliche Koalition mit dem Bündnis. Es geht um den beschlossenen Friedenspassus, der in den zukünftigen Koalitionsvertrag einer möglichen SPD-BSW-Landesregierung übernommen werden soll. „Allein das Brandenburger Sondierungspapier stellt in mehrfacher Hinsicht einen Bruch mit der Politik des Bundeskanzlers und der SPD dar“, schimpft der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD). Roth geht es dabei um die sogenannte Wagenknecht-Lüge, „wonach unsere Ukraine-Politik ausschließlich aus Waffenlieferungen bestehe und ignoriert damit die klare Linie des Kanzlers: Waffenlieferungen und Diplomatie sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagt Roth. Auch in Teilen des SPD-Bundesvorstands ist man mit dem vereinbarten Passus offenbar unzufrieden.
Haushaltslage angespannt
Saar-Finanzminister Jacob von Weizsäcker kann mit Mehreinnahmen für die kommenden Jahre rechnen. Das ändert aber nichts an der angespannten Haushaltslage des Landes. Erfreulich ist, dass dem Saarland 200 Millionen Euro mehr zustehen, weil die Bevölkerungszahl über eine Million gestiegen ist. Unerfreulich ist, dass die Steuereinnahmen aufgrund schwächelnder Konjunktur zurückgehen. Zieht man diese Mindereinnahmen nach der regionalisierten Steuerschätzung ab, bleiben dem Land noch Mehreinnahmen von über 140 Millionen in diesem Jahr übrig. Das ist aber für den Finanzminister „kein Anlass zur Euphorie“, weil im Haushalt nach wie vor eine dreistelligen Millionen-Deckungslücke bleibt. Nach den jüngsten Berechnungen werden die Kommunen voraussichtlich über den Kommunalen Finanzausgleich mit zusätzlich 20 Millionen Euro rechnen können, dazu werden höhere Einnahmen durch eigene Steuern zwischen 30 und 50 Millionen Euro erwartet.
Signale für besseres Weihnachtsgeschäft
Etwas Hoffnung für die in den vergangenen Jahren gebeutelten Einzelhändler: Pünktlich zum Beginn der Vorweihnachtszeit wird die Stimmung der Verbraucher in Deutschland etwas besser. Das geht aus dem aktuellen Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) hervor. Demnach macht das HDE-Barometer den Rückgang der Kauflaune seit dem Sommer zu etwas mehr als der Hälfte wieder gut, besser als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr, meldet der Handelsverband. Grund für die neue Kauflaune bei den Konsumenten: Die Verbraucher wollen laut der HDE-Erhebung weniger sparen, da sie eine Verbesserung ihrer finanziellen Einnahmesituation erwarten. Dieses Geld wollen sie für den Konsum nutzen. Passend zur leicht verbesserten Konsumstimmung haben in vielen deutschen Innenstädten bereits am ersten Novemberwochenende Weihnachtsmärkte eröffnet, die sich allerdings Licht- oder Wintermarkt nennen. Offiziell beginnt die Weihnachtsmarktsaison erst in der letzten Novemberwoche nach dem Volkstrauertag und dem Totensonntag.
Abschiebungen
Erfassungspflicht gefordert
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin fordert eine verpflichtende Erfassung der Anwesenheit in Flüchtlingsunterkünften. Um geplante Abschiebungen erfolgreich umsetzen zu können, müssten diese tagesaktuell sein und an die Ausländerbehörde gemeldet werden, so die Vorstellungen des Berliner GdP-Landeschefs Stephan Weh. Bundesweit scheitern regelmäßig Abschiebungen, weil die Polizisten ausreisepflichtige Menschen nicht an den ihnen bekannten Aufenthaltsorten antreffen und dann wieder unverrichteter Dinge abziehen müssten. Was seit Jahren bekannt ist: Die Ausreisepflichtigen werden frühzeitig über soziale Medien und Messengerdienste gewarnt. „Wenn wir dieses Frühwarnsystem nicht abschalten, wird es bundesweit nicht mehr Abschiebungen geben, egal welche Gesetze diesbezüglich verschärft werden“, warnt Stephan Weh. Als Beispiel nannte er jüngste Zahlen aus Berlin: Ende August wurden 42 Abschiebungen per Charter nach Moldau vollzogen, geplant waren aber laut GdP 330. Die fehlenden 288 Personen sind seitdem in die Illegalität abgetaucht.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Nach der US-Präsidentenwahl ist Europa so schlau wie zuvor. In allen 27 EU-Hauptstädten ist nur eines klar: Es ist so gut wie nichts klar. Denn wie das künftige Team im Weißen Haus mit den transatlantischen Partnern genau umzugehen gedenkt, bleibt nebulös.
Die Lehre daraus heißt: Wie bisher kann es für uns in Europa nicht weitergehen. Alle Signale zeigen, dass unsere Zukunft nicht mehr länger von den Launen einer Supermacht abhängig sein darf. Die USA werden den Blick bald von ihrer Ostküste weg in Richtung Westen über den Pazifik nach China fokussieren.
Unterdessen erodieren wir auch selbst. Vor allem in Osteuropa ist die EU kein begehrter Sehnsuchtsort mehr. Im Mitgliedsland Bulgarien ist fast jeder dritte Abgeordnete ein extremer EU-Gegner. Ungarns Viktor Orbán setzt mehr auf Russland und China als auf die EU. Auch die Slowakei unter Robert Fico setzt sich ab. Das EU-Beitrittsreferendum beim Mitgliedsaspiranten Moldau ging nur hauchdünn positiv aus. Beim anderen EU-Interessenten Georgien ist das Pro-Russland-Lager am Ruder.
Das alles sollte keine Kopfschmerzen bereiten, sondern die eigene Nase jucken lassen. Fassen wir uns an dieselbe, müssten wir erkennen: Das europäische Modell hat an Strahlkraft verloren. Vorbei sind die Zeiten, als Brüssel nur die Arme ausbreiten musste, um Beitrittswillige aufzufangen. Millionen Menschen – auch den vielen internen Links- und Rechtspopulisten – ist die EU zu intransparent, zu komplex, zu träge. Brüssel, wir haben ein Problem!
Deshalb: Sattheit und Zurücklehnen reichen nicht mehr. Die EU muss sich neu erfinden und wieder echte Anziehungskraft bieten. Lasst uns daran arbeiten!
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.