Private Verbindungen zwischen Berater und Kunde können möglich sein
Ein Wort gibt das andere. Martin und Ben tauschen ironische Bemerkungen über ihren 40. Geburtstag aus. Martin hat ihn bereits gefeiert, Ben steht er noch bevor. Sie teilen Erinnerungen an ihre Studienaufenthalte im Ausland – Martin war in Australien, Ben im benachbarten Neuseeland. Alles fühlt sich so vertraut an. Warum also nicht einfach privat etwas zusammen unternehmen? „Er ist doch mein Kunde“, denkt Martin. „Er ist doch mein Berater“, denkt Ben. Ein Bier trinken? Ins Kino gehen? Vielleicht ist es besser, nicht zu fragen und eine professionelle Distanz zu wahren. Doch könnte es auch anders gehen?
Betrachten wir das Thema in einem größeren Rahmen: Neue Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigen, dass sich jeder dritte Mensch zwischen 18 und 53 Jahren zumindest teilweise einsam fühlt, mit steigender Tendenz. Gleichzeitig verschärft sich der Wettbewerb unter Unternehmen, Kunden zu gewinnen. Hierzu setzen sie immer mehr auf ausgefeiltes Storytelling: Persönliche Geschichten schaffen im Beratungsgespräch größere Nähe, Emotion und Identifikationsfläche für den Kunden. Dazu kommt die im Verkauf – wenn auch in Deutschland manchmal weniger sichtbar – stärker ausgeprägte Freundlichkeit. All dies führt dazu, dass Kunden bisweilen denken, die erlebte Kommunikation und Beziehung sei außergewöhnlich. Gefährlich – denn natürlich ist das in aller Regel ein Trugschluss.
Dennoch: Was gilt es zu tun, wenn man das Gefühl hat, die Verbindung könnte mehr als nur geschäftlich sein? Das Bauchgefühl und der gesunde Menschenverstand sind hierbei hilfreich. Die Interaktion zwischen Berater und Kunde ähnelt grundsätzlich dem Kennenlernen von Menschen im Privatleben. Dennoch sollten bestimmte Faktoren besonders beachtet werden, bevor man einen ersten Schritt zu einer persönlicheren Bekanntschaft oder Freundschaft wagt. Einige Fragen können helfen, die Lage besser einzuschätzen: Wirkt die Freundlichkeit, die man erfährt, echt oder aufgesetzt? Kennt man sich schon eine Weile und nicht erst seit einem Tag? Führt man häufiger Gespräche, die über geschäftliche Themen hinausgehen, und fühlt sich dabei wohl?
Wer diese Fragen mit „Ja“ beantwortet, kann etappenweise vorgehen: mit kurzen, wenig aufwendigen Aktivitäten wie einem Kaffee in der Mittagspause. In solchen ersten, freundschaftsähnlichen Treffen lässt sich prüfen, ob die Verbindung dem Alltag standhält. Ist das nicht der Fall, kann man ohne Risiko wieder einen Schritt zurückgehen – dieser Schritt ist so klein, dass er auf keiner Seite Irritationen hervorruft. Blüht die Verbindung allerdings auf, können Dauer und Intensität der Aktivitäten langsam gesteigert werden: vom Kaffee über ein gemeinsames Tennismatch bis hin zum Grillabend zu Hause.
Wichtig ist: Wer seinem Kunden beziehungsweise Freund vor den Augen der Kollegen besondere Vorteile gewährt oder allzu lockere Themen anspricht, könnte verdächtigt werden, die Ziele des Unternehmens zu vernachlässigen. Ebenso sollten geschäftliche Angelegenheiten nicht ständig in sehr privaten Situationen angesprochen werden. Wenn Ben von Eheproblemen berichtet, sollte Martin nicht im gleichen Atemzug die attraktivsten Aktienfonds platzieren. Eine gewisse Ausklammerungskompetenz ist demnach der goldene Schlüssel für eine solche Konstellation. Außerdem sollte man sich bewusst sein: Eine positive Geschäftsbeziehung wirkt sich häufig positiv auf die Freundschaft aus und umgekehrt.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Ja, Freundschaften zwischen Kunden und ihren Beratern sind möglich. Es erfordert jedoch Fingerspitzengefühl, klare Kommunikation und die Fähigkeit, berufliche von privaten Momenten zu unterscheiden. Wer diese Balance beherrscht, kann nicht nur erfolgreiche Geschäftsbeziehungen aufbauen, sondern auch wertvolle private Beziehungen entwickeln. Letztlich kommt es darauf an, authentisch zu bleiben, ohne dabei zu früh persönliche Grenzen zu überschreiten. Nur so entsteht eine Situation, die für alle Beteiligten bereichernd ist.