Thüringen übertrifft mit seinen 450 Burgen und Schlössern auf engstem Raum alle Länder Europas. FORUM-Autorin Ursula Wiegand hat sich ein paar besonders interessante der mittelalterlichen Prestige-Bauten angeschaut.
Die Burgen-Schätze verdankt Thüringen den Grafen, Vögten und Adligen, also kleinen Herrschern, die sich vor allem im Mittelalter hier ansiedelten und sich beeindruckende Bauten errichten ließen, möglichst prächtigere als die der Nachbarn.
Auch Architekten und Künstler wetteiferten miteinander und schufen ein Netz aus Prachtbauten. Noch immer besitzt Thüringen etwa 450 Burgen und Schlösser auf einer Fläche von nur 16.000 Quadratkilometern und übertrifft damit alle Länder Europas.
Also gleich zur weltbekannten, fast tausendjährigen Wartburg stürmen? Als Einstieg wäre das womöglich zu viel des Guten. Andere Burgen sind ebenfalls einzigartig, beispielsweise die Veste Heldburg oberhalb von Coburg, errichtet im Jahr 1317 auf einem ehemaligen Vulkankegel.
Eine barocke Zitadelle
Im 16. Jahrhundert begann unter Herzog Georg II. ein Umbau der Burg im französischen Stil. Die zahlreichen Fenster fallen besonders auf. Noch interessanter ist die Hofseite mit den von Reliefs geschmückten Erkern und dem Wendelstein.
Seit dem Jahr 2016 besitzt die Veste Heldburg jedoch ein außergewöhnliches Highlight: das Deutsche Burgenmuseum. In einer Dauerausstellung werden rund 350 besondere Exponate gezeigt. Die Besucher sehen außerdem die freigelegte evangelische Kapelle, in der der Herzog zusammen mit dem Volk den Gottesdienst feierte.
Als totaler Kontrast erweist sich dann die barocke, zur Stadt Erfurt gehörige Zitadelle Petersberg. Gegründet hat sie 1665 der kurmainzische Kurfürst und Erzbischof Johann Philipp von Schönborn. Um Erfurt zu schützen, entstand auf 213 Meter Höhe die größte und modernste Festung Europas mit ihren sternförmig angeordneten Bastionen. Noch vom Dritten Reich und zu DDR-Zeiten wurde sie militärisch genutzt und gilt als die besterhaltene ihrer Art. Doch dort tut sich was.
Zunächst zeigt Gästeführer Wolfgang Schultz das moderne gläserne Besucherzentrum, das mit dem historischen Kommandantenhaus verbunden wurde. Dieses punktet nun mit der Ausstellung „Der Petersberg – eine spannende Zeitreise“. Spannend ist aber auch der unterirdische Horchgang, in dem einst die Soldaten das Kommen von Feinden hören konnten.
Andererseits ging Großartiges verloren. 1813 wurde die von den Benediktinern um 1060 gegründete Klosteranlage zerstört. Doch die dazugehörige Kirche St. Peter und Paul, Thüringens größter romanischer Sakralbau, ist wieder instand gesetzt, und nun erfreut sie mit der Schau „Paradiesgärten – Gartenparadiese“. Noch mehr begeistert der Blick vom Petersberg auf Erfurts Dom St. Marien.
Nun ist auf der Zitadelle Nachnutzung angesagt. Staatliche Ämter und das feine „Hotel Kehrs“ sind in die militärischen Gebäude gezogen. Sanierte Kasernen bieten Wohnungen und Büros, und sogar Startups werden alsbald den Petersberg bevölkern.
Initiativen entwickeln aber die „echten“, zumeist sehr beliebten Burgen, und das ist ein Muss. Sie zu erhalten oder gar instand zu setzen, ist teuer. Die Stiftungen übernehmen einiges, auch das Land Thüringen hilft sowie manch ein Förderverein. Gelegentlich stellt sogar die Bundesregierung einige Millionen zur Verfügung.
Dennoch müssen sich die Burgen auch selbst etwas einfallen lassen, um die Besucher zu erfreuen und die Kassen zu füllen. Veranstaltungen sowie Essen und Trinken zu bieten kommt gut an, und die Führungen zeigen, wie sehr den Beschäftigten ihre Burg am Herzen liegt. Jahreszeitliche Feste sind generell beliebt, insbesondere die Weihnachtsmärkte.
Besonders aktiv zeigt sich die fast tausendjährige Leuchtenburg, und das an 365 Tagen im Jahr. Dort leuchtet nicht nur das Schloss mit dem Bergfried im Sonnenschein. Drinnen glänzt auf 3.000 Quadratmetern die „Porzellanwelt“, die bereits von der internationalen Jury des Europäischen Museumsrates gelobt wurde. Alte chinesische Kostbarkeiten erstaunen ebenso wie die weltweit kleinste und größte Porzellanvase. Auch die moderne, weltweit einzigartige Porzellankirche beeindruckt, ein Werk von Designer Michael J. Brown.
In Thüringen haben sogar manche Ruinen Glück und noch eine Chance, so die Burg Hanstein hoch über der Werra. Der erhalten gebliebene Bergfried sorgt für weite Blicke, einige der wuchtigen Türme und der große Saal wurden wieder aufgebaut. „Zum Turm und Rittersaal“ steht drinnen an einer Holztür. Eine Wendeltreppe führt hinauf, dort oben können Paare heiraten.
Der Höhepunkt sind dort jedoch die Mittelalterspiele im Sommer. Geschlafen wird dann in Zelten auf der Wiese. „Die Leute würden am liebsten weiter in dieser Natur bleiben“, sagt Ritter Klemes von der Wiese (alias Jürgen Beckmann), der auch mal sein Schwert schwingt.
Eine andere, sehr erstaunliche Idee belebt auch die Burg Scharfenstein, seit 2002 im Besitz der Stadt Leinefelden-Worbis. Diese Burg steht im erzkatholischen Eichsfeld, das Papst Benedikt XVI. im September 2011 besuchen wollte. Also hoffte man, ihn auf der Burg Scharfenstein zu begrüßen, und wohl deswegen begann 2006 die Sanierung.
Der Papst kam bei dieser Deutschlandreise tatsächlich nach Thüringen, aber zunächst nach Erfurt und flog dann mit einem Hubschrauber ins Eichsfeld. Dort feierte er mit etwa 90.000 Gläubigen unter freiem Himmel vor der Wallfahrtskirche Etzelsbach eine Marianische Vesper, und das war’s.
Luthers Stube auf der Wartburg
Dennoch wurde die Burg Scharfenstein bis 2020 weiter saniert und umgebaut. Inspiriert von einem Kenner schottischen Whiskys begann dort die Whisky-Produktion. Bei der ausgiebigen Führung mit Verkostung zeigt sich seine Qualität. Statt Papstbesuch also Whisky-Erlebnisse, ein Gourmet-Restaurant und Zimmer zum Übernachten. Burg Scharfenstein ist insofern auch einzigartig.
Nach solch unterschiedlichen Erfahrungen nun auf zur Wartburg. 1067 soll sie angeblich „Ludwig der Springer“ gegründet haben. Von 1211 bis 1228 hat hier die später heilig gesprochene Fürstin Elisabeth gelebt.
Moritz von Schwind malte 1854/55 Elisabeths „Sieben Werke der Barmherzigkeit“. Beauftragt von Kaiser Wilhelm II schuf dann August Oetken von 1902 bis 1906 die farbenprächtigen Mosaike in der Elisabethkemenate. Schon als Babys wurden sie und ihr späterer Mann Ludwig von den Eltern einander versprochen. Ein Bild zeigt die beiden zusammen in einer Wiege.
Ein Hineinschauen verdient auch die karge Lutherstube, wo der als Ketzer gebannte Martin Luther unter dem Decknamen Junker Jörg 1521/22 das Neue Testament ins Deutsche übersetzte – 680 Seiten mit 140.00 Wörtern, eine Riesenleistung auch für die deutsche Sprache.
In diesem Jahr wird nun auf der Wartburg gefeiert, wurde sie doch vor 25 Jahren zum Unesco-Welterbe ernannt. Das zieht auch ausländische Besucher zunehmend an. Eine Sonderausstellung über Architektur und Baugeschichte der Wartburg läuft noch bis zum 12. Januar 2025. Fürs ganze Jahr werden etwa 476.000 Besucher erwartet.
Doch Überschwang ist fehl am Platz. Lange wurde die Wartburg nicht beachtet und verfiel. Erst 1838 entschloss sich Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, sie wieder herzustellen. Unter der Leitung des Architekten Hugo von Ritgen (1811 bis 1889) wurde sie im 19. Jahrhundert restauriert und der Bergfried gebaut. Erst 1983, zum 500. Geburtstag von Martin Luther, wurde die Wartburg mit staatlichen und kirchlichen Feiern wiedereröffnet.
Weitere Restaurierungsarbeiten in der gesamten Burg, auch im 1157 erbauten Palas, erfolgten 1979 bis 1982, und der ist der Wartburg größter Schatz. Dort befindet sich auch der Festsaal, in dem Wagner-Opern aufgeführt werden, so „Der Sängerkrieg auf der Wartburg“.
Ist nun alles getan? Offenbar nicht, plant doch die Wartburg-Stiftung weitere ausgedehnte Sanierungsmaßnahmen. Genaueres soll 2025 bekannt gegeben werden.