Er hatte früh davor gewarnt, vorgezogene Neuwahlen kämen zur Unzeit. Nun ist die Unzeit eingetroffen, und Robert Habeck verkündet am Küchentisch seine Ambitionen.
Es gibt nicht wenige in der ehemaligen Grünen-Parteispitze, die sich spätestens nach dem Ampel-Aus dieser Tage ärgern, Ende September einfach die Nerven verloren zu haben. Der gesamte Bundesvorstand trat nach den Wahlpleiten bei den Landtagswahlen im Osten damals zurück. In Thüringen und Brandburg flogen die Grünen gleich ganz aus den Landesparlamenten. Ricarda Lang und Omid Nouripour als Parteivorsitzende übernahmen die Verantwortung, die anderen Vorstandsmitglieder folgten ihnen.
Seitdem ist die Partei führungslos und sucht nicht nur nach personeller Neuorientierung. Einzig der nun noch geschäftsführende Vorsitzende Nouripour versucht jeden Montagmittag in der Parteizentrale – nach der Sitzung des Rumpfvorstandes – noch irgendwie eine Parteilinie zu erklären, die es nur noch als überkommende Parteitagsbeschlüsse von vor zwei Jahren gibt.
Hätte die Grünen-Führungsspitze Ende September einfach versichert, aus den andauernden Wahldebakeln zu lernen, und die Parole ausgegeben „Augen zu und durch“ wäre womöglich vieles bei Bündnis 90/Die Grünen nicht so verfahren, wie es derzeit ist. Von den verlorenen Landtagswahlen würde heute kaum noch jemand sprechen.
Vakuum vor dem Parteitag
Doch nun ist selbst nach dem Aus der Ampel und den feststehenden Neuwahlen fast keiner der grünen Spitzenleute bereit, Position zu beziehen. Es sei denn, dass Ricarda Lang Social Media nutzt, um gegen den ehemaligen Finanzminister Christian Lindner zu frotzeln.
In diesem Vakuum vor dem Grünen- Parteitag mit Neuwahlen des Vorstands setzt Robert Habeck seine Akzente und erklärt, was sich längst abgezeichnet hat. Habeck bewirbt sich per Video am Küchentisch als Spitzenkandidat der Grünen, „und wenn Sie möchten, auch als Kanzler“.
Mit der ehemaligen Grünen-Kanzlerkandidatin und -Außenministerin Annalena Bearbock soll er sich schon früh darauf verständigt haben, dass die nächste Spitzenkandidatur an ihn geht. Eigentlich ein ziemliches Unding, wenn zwei Führungskräfte der Bundesregierung das unter sich regeln und erwarten, dass die Partei dann folgt. In der aktuellen Situation drängt sich Habecks Kandidatur aber fast zwingend auf.
Und die Parteizentrale der Grünen dürfte froh sein, nach den Rücktritten überhaupt noch eine Leitfigur zu haben. Seitdem schaltet und waltet sie offenbar wesentlich nach seinen Vorgaben. Im weiteren Schritt entwickelte sich der „Kinderbuchautor“, wie er gern auch von eigenen, parteiinternen Kritikern despektierlich verulkt wird, zu einem echten Machtklempner.
Ein Coup gelang ihm mit der Kandidatur von Franziska Brantner zur neuen Co-Vorsitzenden der Grünen. Die 45-Jährige aus Heidelberg ist eine enge Vertraute von Habeck, er holte sie vor drei Jahren als parlamentarische Staatssekretärin ins Bundeswirtschaftsministerium. Brantner gilt als pragmatische Realpolitikerin und hat ihr Handwerk unter keinem Geringeren als dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gelernt. Mangels bislang anderer prominenter Kandidatinnen gilt ihre Wahl zur Parteivorsitzenden auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden als sicher.
Weiteres Mitglied im Team Habeck ist Michael Kellner, ebenfalls seit 2021 parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Er ist der Drahtzieher innerhalb der Partei für Habeck. Kellner war acht Jahre lang politischer Geschäftsführer der Grünen, in den anderen Parteien nennt man das Generalsekretär. Dank dieser Funktion kennt er die Partei intern wie kein anderer, und vor allem hat er zweimal maßgeblich sehr erfolgreich den Bundestagswahlkampf für seine Partei geführt.
Kellner wurde früher mal dem linken Flügel seiner Partei zugerechnet. Doch mittlerweile löst er anstehende Aufgaben lieber ohne ideologisches Dogma zielorientiert, wie er es selbst im Gespräch mit FORUM während des letzten Bundestagswahlkampfes umschrieben hat. Für Habeck also ein idealer Mann im Hintergrund, der zwar große Bühne kann, aber eben nicht muss, und auch gern im Hintergrund werkelt.
Einen ersten Geschmack seiner Strategiefähigkeit gab es bereits direkt nach dem Platzen der Ampelregierung. Keine 48 Stunden danach wurde per Social Media ein Video freigeschaltet, in dem Robert Habeck, an einem Küchentisch sitzend, seine Kanzlerkandidatur bekannt gab. Nun ist das Filmchen kein Schnellschuss aus der Hüfte – nach Feierabend mal eben mit dem Smartphone gemacht – , sondern professionell produziert. Die Vermutung liegt nicht nur nahe, sondern es kann als gegeben angesehen werden, dass das Video bereits vor dem offiziellen Ampel-Aus entstanden ist. Es sollte wohl im Vorfeld des Bundesparteitages geschaltet werden.
Habeck zieht sein Ding durch
Nun hat Habeck damit einen Punkt gesetzt. Über das Küchenvideo und sein Angebot, auch mal bei seinen Kritikern zu einem Plausch an deren Küchentisch vorbeizukommen, hat er in einer Phase einen Akzent gesetzt, zu dem sich andere noch mit gegenseitigen Vorwürfen beharkten oder über Wahltermine stritten.
Nun muss die Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden Habeck noch offiziell zum Kanzlerkandidaten küren– und einen kompletten Bundesvorstand neu wählen. Der gerade frisch gewählte neue Bundesvorstand der Grünen Jugend – der alte war ebenfalls zurück- und seine Mitglieder aus der Partei ausgetreten – hatte dem Bundesparteitag in Wiesbaden frischen Wind von vorn versprochen. Doch das war vor dem Ampel-Bruch. Mittlerweile gab es innerhalb einer Woche 5.500 Partei-Neueintritte, so die Grüne Emily Büning gegnüber „Bild“. In Anbetracht von Neuwahlen heißt es jetzt für die Grünen, die Reihen fest zu schließen und bloß keinen Streitparteitag abzuhalten. Streit auf offener Bühne und ein beschädigter Kanzlerkandidat würde die derzeit ohnehin dürftigen Wahlchancen noch weiter schmälern. Dazu gehört dann eben auch ein Robert Habeck, der unbeirrt sein Ding durchzieht.
Vor drei Jahren hatte er Annalena Baerbock den Vortritt gelassen. Die war mit deutlich besseren Umfrageergebnissen gestartet, als er sie jetzt hat. Das gibt immer die Chance, nicht wie Baerbock mit schwächerem Ergebnis herauszukommen. Aber nicht nur diese Vorzeichen haben sich geändert. Die Grünen, damals noch auf einer gewissen Sympathiewelle, sind nun zum Lieblings-Bashing-Objekt geworden. Und daran ist Habeck nicht ganz schuldlos. Beispielhaft dafür steht das „Heizungsgesetz“. Und in Zeiten von Rezession und Unsicherheiten steht vielen nicht mehr so sehr der Sinn nach grünem Aufbruch zur Klimarettung.
Die neue Parteispitze wird nicht die Zeit haben, sich öffentlich zu profilieren. Damit hängt (fast) alles am Spitzen- und Kanzlerkandidaten.