Ulrich, genannt Ulli, Knapp hat in zweifacher Hinsicht viele Talente: Das eine sind Sportler – ihnen verhilft der Leichtathletik-Trainer des Jahres 2024 zu immer neuen Erfolgen. Zu den anderen, seinen ganz persönlichen, gehört die Musik.
Seit vier Jahren trainiert der Saarländer Ulli Knapp Deutschlands beste Weitspringerin Malaika Mihambo. In dieser Zeit hat er sie zur weltweit Besten ihrer Disziplin gemacht. Allein in der zurückliegenden Saison 2024 feierte das Duo mit dem Gewinn des EM-Titels in Rom und der nach einer schweren Corona-Infektion sensationell erkämpften olympischen Silbermedaille von Paris zwei hochkarätige Erfolge. Mihambos EM-Siegweite von 7,22 Metern, der zweitbesten Weite ihrer Karriere, ist immer noch der Weltjahresbestwert 2024. 2021 holte sie bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold– ebenso bei der Weltmeisterschaft 2022 in Eugene/USA. Auch dank Ulli Knapp.
„Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe dieses Mal wirklich nicht damit gerechnet“, beteuert Knapp angesichts seiner Auszeichnung zum Trainer des Jahres durch den Deutschen Leichtathletik Verband (DLV). Zusammen mit dem Weitsprung-Bundestrainer aus Kirkel wurde Iris Manke-Reimers, Trainerin von Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye, ausgezeichnet. „Ich habe mich sehr darüber gefreut. Auch darüber, dass zwei Leute ausgezeichnet wurden. Manchmal ist es nämlich nicht ganz einfach abzuwägen, was eventuell höher zu bewerten ist“, findet Knapp.
Schwerpunkt nach Mannheim verlegt
Die überaus erfolgreiche Zusammenarbeit mit Malaika Mihambo nahm 2020 ihren Anfang. Damals trainierte Knapp am Olympiastützpunkt in Saarbrücken eine Trainingsgruppe, der auch die Sprinterinnen Laura Müller, Sina Mayer, Abigail Adjei und Lisa Maihöfer sowie Hochspringerin Lea Halmans und Weitspringerin Saskia Woidy angehörten. „In den wichtigsten Wochen des Jahres bin ich dann zu Malaika nach Mannheim gefahren – beziehungsweise bin ich zwischen Saarbrücken und Mannheim gependelt“, erinnert sich Knapp. Der Knackpunkt folgte etwa zwei Monate vor den Olympischen Spielen in Tokio 2021, als Mihambo „nur“ Neunte der Weltrangliste war. „Ich sagte zu ihr: ‚Wenn wir in Tokio ins Finale wollen, müssen wir zu einhundert Prozent all-in gehen.‘“ Dazu gehörte, den Schwerpunkt seiner Arbeit für diese Zeit nach Mannheim zu verlegen. Nach dem Gewinn der Goldmedaille in Tokio war klar: So muss es nun weitergehen, um das Maximale herauszuholen.
Seither pendelt er „nur noch“ zwischen seinem Wohn- und Heimatort Kirkel und Mannheim – ohne den Umweg über Saarbrücken. Die Betreuung der Athletinnen am Sportcampus schlich langsam aus, als Ansprechpartner steht er aber seinen früheren Schützlingen aber noch heute gern zur Verfügung. In der Regel fährt er pro Woche dreimal, in den „heißen Phasen“ vor wichtigen Wettkämpfen bis zu fünfmal nach Mannheim. Hinzu kommen die Wettkämpfe an sich. Über 100.000 Kilometer hat Knapp so in den vergangenen zwei Jahren mit seinem Dienstwagen abgerissen. Ein Bandscheibenvorfall und ein Nabelbruch gehen wohl auf das Konto der vielen Stunden im Auto. „Man kann den Trainer-Job nun einmal nicht mit 80 Prozent machen. Um Erfolg zu haben, müssen es 110 Prozent sein“, weiß Knapp.

Der Erfolg – oder besser – die Erfolge geben ihm Recht. Zur räumlichen kommt auch noch ein gewisser Grad an menschlicher Nähe, ohne die er seine Schützlinge nicht zu Höchstleistungen bringen könnte: „Das Wichtigste für einen Trainer ist, authentisch und ehrlich zu bleiben. Athleten haben ein Gespür, fast schon wie ein Instinkt bei einem Tier, meine Befindlichkeiten ganz genau zu erkennen“, meint er und beschreibt: „Die sehen mir an der Nasenspitze an, wenn ich mit ihrer Leistung zufrieden bin. Dieses gegenseitige Hochpuschen treibt das ganze System an.“ Beispiel: Am Tag nach dem Gewinn der EM-Goldmedaille in Rom bremste eine schwere Covid-Infektion das Duo Knapp/Mihambo abrupt aus. Drei Wochen lang ging gar nichts, noch vier Wochen vor den olympischen Spielen in Paris reichte es bei Mihambo gerade so für „Hausfrauen-Gymnastik“, wie Knapp erzählt. „Wir mussten jeden Tag auf Sicht fahren. Meine Angst war in dieser Zeit, dass sie die Olympia-Qualifikation, die ja auch für Spitzenathleten verpflichtend ist, zu viele Körner kostet“, erinnert sich Knapp. Und so war es auch. Eigentlich. Mihambo qualifizierte sich auf der letzten Rille im dritten und letzten Sprung für das Finale. Dass die 30-Jährige dort noch einmal ihre letzten Reserven für einen außergewöhnlichen Kraftakt bündeln konnte, der sie doch noch auf das Podium wuchtete, „war ihrer reinen Willenskraft zu verdanken“, lobt ihr Trainer anerkennend: „Sie kann bis an ihre Grenzen gehen und sich komplett verausgaben. Das hat sie an dem Tag gemacht.“ Der Preis: Direkt im Anschluss war sie körperlich am Ende. Medizinische Untersuchungen hatten ergeben, dass Mihambos Körper zu dieser Zeit und als Nachwirkung der Corona-Infektion nicht genug Sauerstoff aufnehmen konnte. Die Ärzte erteilten ihr absolutes Sportverbot. Mittlerweile ist Mihambo, die Knapp als Athletin bezeichnet, „wie man sie nur alle Jahrzehnte einmal bekommt“ und bei der alles zusammenkomme, „was man sich als Trainer nur wünschen kann“, wieder kerngesund.
Zeitpunkt zum Aufhören finden
Ein Trainer, dem es aufgrund der engen persönlichen Bindung immer wieder aufs Neue gelingt, das wirklich Maximale aus seinen Athleten herauszuholen– kann der zu gegebener Zeit in Ruhestand gehen? Das wäre bei Ulli Knapp nämlich in ziemlich genau einem Jahr so weit. „Ich sage es mal so: Bei Athleten, aber auch bei Trainern ist es ganz wichtig, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden. Das muss man von Jahr zu Jahr abwägen“, sagt er, fest entschlossen, diesen Zeitpunkt in spätestens zwei Jahren zu erkennen: „Ich habe ja auch noch eine Familie und vor allem eine Frau, die das alles schon seit 35 Jahren mitmacht. Sie muss mich tagtäglich mit anderen teilen und steht dabei selbst hintenan.“ Mit ihr will er künftig mehr Zeit verbringen, gemeinsam reisen.
Auch seinem großen Hobby, der Musik, will er sich dann wieder vermehrt widmen. Er spielt Gitarre und Klavier, hat auch mal drei Semester Musik studiert. Als Keyboarder der Band Vanden Plas war er in den 1980ern semiprofessionell unterwegs, trat unter anderem viermal beim „Schülerferienfest“ auf dem Halberg auf und war auch zweimal im SR Fernsehen zu sehen. „Das war eine tolle Zeit“, blickt er zurück. Noch heute macht er Musik und tritt im kleineren Rahmen auf. „Ich würde aber gerne wieder mehr selbst komponieren“, verrät er und merkt an: „Ich bin noch immer als Komponist bei der Gema angemeldet.“ Er könnte sich sogar vorstellen, zusammen mit Athletinnen und Athleten zu musizieren. Einen Vorgeschmack, wie das klingen könnte, gab es vor gut zwei Monaten: Eine spontane Gesangseinlage von Malaika Mihambo und Yemisi Ogunleye begleitete er mit der Gitarre. Ogunleyes Trainerin Iris Manke-Reimers filmte das auf einer Treppe im olympischen Dorf sitzende Trio – und das Video wurde ein Internet-Hit, ging auf Instagram viral. „Da war eine regelrechte Magie entstanden. Es kribbelte im Bauch und es lag eine ganz spezielle Spannung in der Luft“, beschreibt Ulli Knapp und findet: „Genau das macht eine besondere Trainer-Athlet-Verbindung aus.“ Die Harmonie muss eben stimmen.