Auf und neben der Strecke macht es sich Jan Lukas Becker nicht leicht. Der Langstreckenläufer aus Saarbrücken braucht manchmal mehrere Anläufe, bevor er so richtig durchstartet.
Gleich bei seinem ersten Marathon kam der Saarländer Jan Lukas Becker als bester Deutscher ins Ziel. Auf der Ziellinie Ende Oktober in der Frankfurter Festhalle reckte der Läufer von der LSG Saarbrücken-Sulzbachtal stolz die Arme in die Luft: Mit 2:15:20 Stunden kam der 31-Jährige mit einer beachtlichen Debüt-Zeit als Gesamt-17. ins Ziel. „Mit der Platzierung kann ich gut leben, und ich bin mit dem Gesamtauftritt schon zufrieden“, sagt Becker, gibt aber auch zu: „Was die Zeit angeht, hätte ich mir eine bessere gewünscht. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, um die 2:12 Stunden zu laufen.“ 2023 wurde Becker erstmals für das Nationalteam nominiert und nahm an einem Europacup teil.
Auch fernab der Rennstrecke hat Jan Lukas Becker ein bewegtes Leben. Geboren und aufgewachsen ist er in Saarbrücken – genauer auf der Hohen Wacht. Über seinen Vater Thomas Schmidt, früher selbst Laufsportler im Leistungsbereich für die LSG Saarbrücken-Sulzbachtal, kam Becker zur Leichtathletik. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich auch bei ihm das Lauftalent als das fördernswerteste heraus. „Damals bin ich ihm bei seinem Training mit meinem Kinderfahrrad nachgefahren, heute begleitet er mich bei meinem Training mit dem Fahrrad“, merkt Becker an, der noch zwei Schwestern hat, die ebenfalls Sport treiben.
Handwerkliche Begabung
Sein Abi machte Becker 2012 am Otto-Hahn-Gymnasium und bewusst nicht, wie es viele andere Sporttalente im Saarland tun, am Sportzweig des Gymnasiums am Rotenbühl. „Mit jetzt fast 20 Jahren Abstand zu dieser Entscheidung kann ich für meine Disziplinen nicht feststellen, dass der Sportzweig viele hochkarätige Talente hervorgebracht hat“, stellt er fest, „Sicher gab es andere, die während ihrer Schulzeit professioneller trainiert haben als ich, die laufen mit 18 mal ’ne gute Zeit, werden Deutscher Meister und sind dann, wenn es interessant wird, weg vom Fenster.“ Lange wurde Becker von seinem Vater trainiert, der großen Wert darauf legte, dass sein Sohn sich und seinen Körper in jungen Jahren nicht überbelastet.

Nach dem Abi absolvierte er ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) beim LAZ Saarbrücken. „Das gab mir die Möglichkeit, ein Jahr länger zu überlegen, was ich denn beruflich machen werde – außerdem war das eine echt coole Sache“, blickt er zurück. Nach dem FSJ versuchte sich Becker erstmals an einem Studium. Zwar reizte ihn eine handwerkliche Ausbildung mehr, aber die Aussicht, eine 40-Stunden-Woche in einem Knochenjob mit dem Leistungssport in Verbindung zu bringen, ließ ihn diesen Traum zurückstellen. Es folgte ein Jahr an einer Hochschule in Texas/USA. „Das hatte leider nicht so gut geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte, und aus dem nächsten Leistungsschritt wurde erstmals nichts. Das war sehr frustrierend“, sagt Becker. Und fügt an: „Es war, im Nachhinein betrachtet, vielleicht etwas zu früh, mit gerade einmal 21 Jahren ein ganz neues Kapitel in einem anderen Land aufzuschlagen.“
Zurück im Saarland begann er ein Physiotherapie-Studium an der Berufsakademie für Gesundheits- und Sozialwesen – doch auch das war nicht das Wahre und wurde nach nur einem Jahr beendet. Um Nägel mit Köpfen zu machen, musste nun endlich eine handwerkliche Ausbildung her. Becker entschied sich für eine Schreinerlehre, die er nach seinem Vereinswechsel zur LG Region Karlsruhe in Karlsruhe absolvierte und Ende 2020 erfolgreich abschloss. „Das war der richtige Weg. Das Einzige, was mich ärgert, ist, dass ich es nicht früher gemacht hatte“, sagt er rückblickend. Und ergänzt: „Auch wenn ich jetzt während meiner Laufkarriere nach einem Bürojob suche, werde ich nach dem Ende im Leistungssport in die Schreinerei zurückgehen. Am Ende eines jeden Tages kann man sehen, was man geleistet hat, und das Gefühl ist unbezahlbar.“
Mit dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein folgte im Januar 2021 der zweite Sprung über den großen Teich– dieses Mal mit konkreten und realistischen Vorstellungen und Möglichkeiten. Als Vollstipendiat kam Jan Lukas Becker in den Genuss optimaler Förderbedingungen. Die berufliche Ausbildung und parallel dazu die sportliche Karriere konnte er in dieser Zeit bestmöglich weiterverfolgen. „Das war dort alles hervorragend abgestimmt, keiner der beiden Schwerpunkte hat gelitten – das ist in Deutschland so nicht möglich, wenn man nicht gerade Sportsoldat oder Sportpolizist sein möchte“, sagt Becker. Außerdem sind die Aufnahmekriterien für Läufer in die Fördergruppe der Bundeswehr eine sehr hohe Hürde.
EM-Teilnahme als klares Ziel
Seit Anfang August 2024 hat er seinen Bachelor in der Tasche und befindet sich als studierter Innenarchitekt auf Jobsuche. Vornehmlich im Raum Düsseldorf, Köln, Leverkusen, wo er sich demnächst auch einem neuen Verein anschließen möchte. „Ich hatte mir schon gedacht, dass ich bei der Jobsuche etwas schneller erfolgreich sein würde und mit meiner abgeschlossenen Ausbildung und dem Studium ganz gut aufgestellt sein würde“, fügt er hinzu. Leidvoll musste er hingegen feststellen, „dass die Baubranche derzeit nicht gerade auf einem goldenen Boden steht. Und wenn entweder Geld oder Handwerker fehlen – wer braucht da Architekten?!“
Bis Fachkräfte wie er wieder gebraucht werden, wird sich Jan Lukas Becker mit seinen Einnahmen als Profisportler und mit kleinen Nebenjobs durchschlagen. Sportlich möchte sich der 31-Jährige, der nach zwischenzeitlichen Wechseln zum LAZ Saarbrücken und der LG Region Karlsruhe wieder der LSG Saarbrücken-Sulzbachtal angeschlossen hat, noch zwei Jahre auf höchstem Niveau angreifen. Sein Ziel: die Teilnahme an Europameisterschaften auf der Bahn und auf der Straße. Nach den zwei Jahren folgt dann eine „harte Analyse, ob sich der Aufwand gelohnt hat“ und ob es sich lohnt, diesen für zwei weitere Jahre aufrechtzuerhalten. Dann mit der Perspektive, sich den größten Traum eines jeden Sportlers zu erfüllen: der Teilnahme an Olympischen Spielen, die 2028 in Los Angeles stattfinden werden.
Allerdings ist die Konkurrenz um die wenigen Starplätze groß: „Wir haben hier schon gute Jungs in Deutschland“, sagt Becker, der 2025 noch einmal alles daran setzen wird, über 5.000 Meter eine neue Bestzeit aufzustellen. Perspektivisch zieht es ihn aber auf die Straße, hin zu den längeren Distanzen beim Halbmarathon und Marathon. Der Startschuss hierzu ist ja bereits Ende Oktober in Frankfurt gefallen.