In Lillehammer beginnt am Wochenende die Weltcup-Saison der Skispringer. Bei den deutschen „Adlern“ um Vorspringer Andreas Wellinger stehen traditionell die Vierschanzentournee sowie die WM im Februar in Norwegen im Fokus – und das Comeback von Ex-Weltmeister Markus Eisenbichler.

Die „Herren der Lüfte“ steigen wieder auf: Für die deutschen Skispringer beginnt am Wochenende in Lillehammer (23. November) die Weltcup-Saison. Außerdem gibt es noch zwei weitere Countdowns: Die deutsch-österreichische Vierschanzentournee zwischen den Jahren wirft bereits jetzt ihre langen Schatten voraus. Und an den Olympia-Schanzen von 1994 finden auch schon die ersten Runden des internen Ausscheidungswettkampfes um die Plätze bei den nordischen Weltmeisterschaften im Februar im ebenfalls norwegischen Trondheim statt.
Im Team von Bundestrainer Stefan Horngacher stehen vor allem zwei Stars im Blickpunkt. Der zweifache Olympiasieger und Weltmeister Andreas Wellinger plant ein Jahr nach seinem zweiten Platz in der Tournee-Endabrechnung den seit über 20 Jahren jede Saison mehr herbeigesehnten ersten Triumph eines Deutschen bei dem Winterspektakel nach dem Grand-Slam-Triumph von Sven Hannawald 2002. Für die Fans der Horngacher-Gilde sind die Auftritte von Markus Eisenbichler: Nach einer auch wegen Knieproblemen völlig verkorksten Vorsaison und zwangsläufig aufgekommenen Rücktrittsgedanken meldet sich der Rekordweltmeister in Lillehammer im „Adlerhorst“ zurück.
„Ich habe endlich wieder richtig Lust“
Den geliebten Schnee konnte „Eisi“ schon in der Vorbereitung förmlich riechen. „Ich habe wieder richtig Lust, endlich wieder richtig Lust. Meine Vorfreude ist riesig“, sagte der sechsmalige WM-Champion kurze Zeit vor dem ersehnten Comeback im monatelang unerreichbaren Weltcup-Kader. Nicht ein einziges Weltcup-Springen absolvierte Eisenbichler im zurückliegenden Winter, bei der Vierschanzentournee war der 33-Jährige erstmals seit 2012 wieder nur Zuschauer.
Bei der Suche nach den Ursachen für die schwerste Krise seiner imponierenden Laufbahn fanden sich noch andere Gründe als nur die schmerzhaften Knorpelprobleme im Knie und die Erfolglosigkeit im Kampf um die erhoffte Form. „Ein Haufen Zeug“, meint Eisenbichler im Rückblick, habe sich zu der Misere verdichtet, „private Sachen, über die ich nicht spreche, die aber gerade in meinem Sport schon eine Rolle spielen können, weil man dabei mental fit sein muss“.

Klarheit über seinen weiteren Weg verschaffte sich Eisenbichler im vorigen April unmittelbar nach seinem „schwarzen Jahr“, in dem im vorigen Januar ein indiskutabler Platz 47 beim zweitklassigen Continental-Springen in Garmisch-Partenkirchen einen vorher kaum für möglich gehaltenen Tiefpunkt darstellte, eine Hüttentour auf den nordnorwegischen Lofoten. „Das war sensationell, und danach habe ich mit dem Training für den Winter begonnen.“
Naheliegende Überlegungen zu einer Beendigung seiner Karriere waren nach der Heimkehr kein Thema mehr, auch wenn ein Rücktritt zuvor durchaus als eine Exit-Option erschien. „Natürlich habe ich daran gedacht, als ich das Gefühl hatte, dass da medial auf mich eingeprügelt wird. Ich dachte mir, ‚Lasst mich doch einfach mal in Ruhe‘, und dann kommt dann so ein Gedanke auf: Das will ich nicht, das musst Du nicht mehr haben, das musst Du Dir nicht mehr antun“, erzählte der Oberbayer.
Letztlich gaben Leidenschaft und Liebe zum Sport den Ausschlag zur Fortsetzung der Laufbahn – und seine sportliche Wiedergeburt durch überraschende Siege und Podestplätze im ungeliebten Continental Cup. „Schon da habe ich im Januar gemerkt, dass ich wieder und noch extrem Bock auf Skispringen habe. Es macht mir immer noch extrem viel Spaß und lässt mich noch nicht ganz los.“ Umso leichter fiel Eisenbichler auch der Neuanfang: „Was im letzten Jahr gewesen ist, war letztes Jahr und interessiert mich nicht mehr.“
Mit dieser Haltung überstand Eisenbichler auch Horngachers öffentliche und deswegen nur wenig hilfreiche Kritik an den Bemühungen seines einstigen Vorzeigespringers um einen erfolgreichen Abschluss seiner Berufsausbildung bei der Bundespolizei. „Ich bin jetzt Kommissar“, meint Eisenbichler mit spürbarem Stolz. „Das war mir wichtig, ich muss auch an meine berufliche Zukunft denken.“
Unerschütterlicher Glaube an sich selbst

Durch Willenskraft und den letztlich doch unerschütterlichen Glauben an sich selbst kann Eisenbichler wieder sein Flugsystem auf die Schanze und in die Luft bringen. Trondheim ist zwar noch nur ein Fernziel, aber auch eine Art Endstation Sehnsucht: „Eine Medaille mit dem Team wäre optimal.“
Die Erfüllung dieses Traums hält das deutsche Idol Martin Schmitt keineswegs für ausgeschlossen. Auf dem Weg nach Trondheim rät der zweimalige Gesamtweltcupsieger jedoch vorerst noch zu kleinen Schritten. Da Eisenbichler die Schanzen der ersten Saisonwettbewerbe in Lillehammer und im finnischen Ruka gut kenne, „hat er den perfekten Start, was die Rahmenbedingungen angeht, dort kann er seine Qualitäten ausspielen, nachdem er gut trainieren und sein Niveau stabilisieren konnte. Es wäre schon gut, wenn er da Top-20-Ergebnisse schafft. Sein Basisziel aber muss zunächst einfach sein, immer zu punkten“, meinte Schmitt im Vorfeld des Saisonstarts zu Eisenbichlers Ausgangslage.
Ganz anders blickt natürlich Wellinger auf den vorolympischen Winter. Nach seinen Erfolgen in der vergangenen Saison macht der 29-Jährige aus seinen Ambitionen keinen Hehl: „Ich bin zuletzt Zweiter bei der Vierschanzentournee geworden. Wenn ich jetzt sagen würde, ich will unter die besten Zehn, dann würde mir das doch niemand glauben. Es ist doch aber auch logisch, dass ich das Ding gewinnen will“.
Seine Ansprüche passen zu seiner Rolle als „Vorspringer“ in Horngachers Team. Im zurückliegenden Winter bestätigte Wellinger, wie Eisenbichler ein Oberbayer, durch Siege beim Tournee-Auftakt in Oberstdorf und in Willingen sowie Rang drei im Gesamtweltcup seinen Platz an der Spitze der deutschen Mannschaft.
Die Vorbereitung auf seine zwölfte Weltcup-Saison verlief anders als nach seinem Olympia-Gold von 2018 ohne größere Verletzungen störungsfrei. Im Sommer-Grand-Prix, dem inzwischen traditionellen wie buchstäblichen Warm-up auf Europas Mattenschanzen, lieferte Wellinger – inklusive seines dritten Einzeltitels bei den deutschen Meisterschaften im vergangenen Oktober in Oberstdorf – zwar noch nicht überragende, aber dennoch vielversprechende Ergebnisse. „Es ist“, resümierte der Publikumsliebling seine Saisoneinstimmung zufrieden, „gerade in den letzten Wochen stark bergauf gegangen. Ich habe es geschafft, in den Wettkämpfen meine besten Sprünge zu zeigen.“
Bis zur Vierschanzentournee (ab 29. Dezember) will Wellinger in den ersten Wettbewerben der neuen Saison Selbstvertrauen tanken und sich Sicherheit holen. „So sehr ich mir es wünsche: Es wird sicher wohl erst in Oberstdorf sagen lassen, ob ich überhaupt in der Lage bin, in den Kampf um den Gesamtsieg einzugreifen.“
„Weitere Möglichkeiten zur Feinjustierung“

Gerüstet sieht sich Wellinger auf jeden Fall. Gegenüber der zurückliegenden Saison habe er für sich „weitere Möglichkeiten zur Feinjustierung entdeckt, die möglicherweise das letzte Puzzleteil sein könnten“, fasste der Hoffnungsträger sein Feintuning der vergangenen Monate zusammen.
Auf dieses letzte Puzzleteil setzt auch Horngacher seine Hoffnungen. „Irgendwann müssen wir das Ding wieder einfahren. Das steht ganz oben auf der Liste“, sagt der österreichische Coach und benennt damit die Zielvorgabe.
Seine ehrgeizige Ungeduld ist nachvollziehbar. Sechsmal in den vergangenen acht Jahren standen deutsche Adler auf dem Tournee-Podest, wie Wellinger im vorigen Winter waren 2016 Ex-Weltmeister Severin Freund, 2019 Eisenbichler und 2021 Karl Geiger nur noch einen Schritt vom ganz großen Wurf entfernt.
Wie Horngacher wartet noch einer auf den nächsten Tournee-Sieg für einen Deutschen: Sven Hannawald, der legendäre Sieger von 2022 mit Erfolgen in erstmals allen vier Wettbewerben, wünscht sich nur wenig noch mehr als den Ausstieg aus seiner Rolle als letzter deutscher Tournee-Gewinner: „Ich will diesen Rucksack endlich abgeben und einen deutschen Nachfolger bekommen.“