Die deutschen Biathleten müssen sich in der angebrochenen vorolympischen Saison voraussichtlich weitgehend erneut mit Nebenrollen begnügen. Nach dem Verlust einer weiteren Galionsfigur befindet sich besonders das Männer-Lager im Umbruch.

Die deutsche Biathlon-Ikone Laura Dahlmeier schreibt weiter Erfolgsgeschichten. Mittlerweile darf sich die zweimalige Olympiasiegerin und siebenfache Weltmeisterin nun auch Weltrekordlerin nennen, denn in nur wenig mehr als zwölf Stunden war die passionierte Bergsteigerin in Nepal beim Anstieg vom 4.576 Meter hoch gelegenen Basislager auf den 2.235 Meter höheren Ama Dablam so schnell wie keine Frau vorher.
Als Gipfelstürmerin ist die Partenkirchenerin zum Leidwesen der deutschen Biathlon-Fans seit mehr als fünf Jahren schon nur noch in Gebirgsmassiven unterwegs. Dahlmeiers Karriereende war 2019 allerdings nur der Anfang einer Reihe von beinahe im Saisonrhythmus erfolgender Rücktritte langjähriger Erfolgsgaranten: Zwei Jahre später stellten die Asse Simon Schempp und Arnd Peiffer Ski und Gewehr in die Ecke, 2022 folgte Erik Lesser ihrem Beispiel, wiederum zwölf Monate darauf verließ Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick die Loipe, und am Ende der vergangenen Saison verabschiedete sich Benedikt Doll als letzter deutscher Weltmeister in den sportlichen Ruhestand.
Dolls Rücktritt hinterlässt im Männer-Team eine vorerst kaum zu schließende Lücke. Hinter seinen bisher weniger konstanten Teamkollegen ist im Nachwuchsbereich noch kein neuer Siegläufer erkennbar. Bei den Frauen gilt in der neuen Saison, deren Auftaktwoche im finnischen Kontiolahti am zweiten Advent endet, vor allem wieder Franziska Preuß als große Hoffnungsträgerin für den kurzfristigen Erfolg. Mit Blick auf die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand/Cortina d’Ampezzo aber begleiten auch die 20-jährige Selina Grotian bereits hohe Erwartungen.
Die Männer bereiten Sorgen
Die umformierten Aufgebote des Deutschen Ski-Verbandes haben auf dem Weg zur WM im Februar in Lenzerheide/Schweiz aus der vergangenen Saison einen Rucksack von Aufgaben mitgenommen. DSV-Sportdirektor Felix Bitterling sprach zum Ausklang des zurückliegenden Winters von „einigen Baustellen“. Schwächen wurden besonders für alle Wettbewerbsformen in schnellen Schießduellen identifiziert, die laut Bitterling „mit Vehemenz“ angegangen werden sollten. „Nachholbedarf“ hätte auch im Laufbereich durch Defizite im Kraft- und Ausdauersektor bestanden. „Wir werden den Kampf wieder aufnehmen“, kündigte Bitterling für die neue Saison schon an.
Die noch auf mäßigem Niveau zu registrierende Zuversicht basiert auch auf den gegenüber 2023 verbesserten Gesamtbilanzen des Vorwinters. Mit neun Einzelpodesten hatten die Männer ihre Vorjahresergebnis von fünf Podiumsplatzierungen fast verdoppeln können und dabei gleich viermal ganz oben gestanden, nachdem 2023 die Erfolgsausbeute mit nur einem Sieg recht bescheiden ausgefallen war. Die Frauen erreichten in Jahr eins nach Herrmann-Wick ohne ihre jahrelange Vorläuferin sogar ein Treppchenresultat mehr, blieben aber erstmals seit drei Jahren wieder einen ganzen Winter lang ohne einen Sieg. Platz zwei für die Männer und Rang vier für die Frauen in den Nationenwertungen sowie sieben Aktive unter den besten 15 im Gesamtweltcup bewertete Bitterling als „aller Ehren wert“.
Fraglos die größten Sorgen für die gerade angebrochene Saison bereiten die Männer. Nach der enttäuschenden WM in Nove Mesto und der anschließend ebenso freudlosen Restsaison könnte das Team einen Anführer wie bislang Doll gut brauchen. Ein natürlicher „Erbe“ ist allerdings nicht vorhanden. „Einen zweiten Doll gibt es nicht“, konstatierte Staffel-Olympiasieger Michael Rösch ein Vakuum und riet zu einer Verteilung von Dolls Rolle „auf mehrere Schultern“.
Dahlmeier blickt ganz ähnlich auf die Situation. „Es ist schwierig, wenn solch eine Führungsposition geht. Aber es kann auch eine Chance sein, wenn das Team enger zusammenrückt. Es ist wichtig, das als Chance zu sehen und ‚Benni‘ nicht zu viel nachzutrauern“, sprach sich die einstige Winterzweikampf-Königin nach dem Abschied des zweifachen Olympia-Dritten von Pyeongchang 2018 für eine konsequente Ausrichtung auf die Zukunft aus.
Zum neuen „Capitano“ ist der 33 Jahre alte Niederbayer Johannes Kühn von Männer-Bundestrainer Uros Velepec ausgerufen worden. „Das ist nicht nur eine Ehre, sondern auch eine Verantwortung“, nimmt der slowenische Coach den ehemaligen Junioren-Weltmeister in die Pflicht.
Für Erfolge sollen jedoch wieder vor allem Roman Rees und Philipp Nawrath nach ihren Erfolgen in der vergangenen Weltcup-Saison sorgen. Rees allerdings fehlte in der DSV-Reisegruppe in Kontiolahti, nachdem der erste Weltcup-Spitzenreiter des zurückliegenden Winters wegen Krankheit wichtige Abschnitte der finalen Vorbereitung verpasst hatte. Bei entsprechender Form darf der 31-Jährige allerdings zeitnah mit seiner „Beförderung“ ins A-Team rechnen.
„Das müssen alle Jungs verstehen“
Velepecs Hauptaugenmerk liegt bis auf Weiteres auf Verbesserungen der nicht nur von Bitterling monierten Schießleistungen. „Auf die ersten drei Plätze hat man ohne schnelles und sauberes Schießen keine Chance. ‚Benni‘ Doll hätte mit seiner alten Schnelligkeit im Schießen keinen einzigen Sieg geholt. Aber durch die gewonnenen sechs, sieben Sekunden konnte er zweimal gewinnen. Das müssen alle Jungs verstehen und daran arbeiten“, beschrieb der 57-Jährige seine Erwartungen vor dem Abflug nach Finnland und sagte seinen Aktiven einen Winter „mit viel Arbeit, Schweiß, Blut und Tränen“ voraus.
Sein Frauen-Kollege Kristian Mehringer setzt außer auf die Weltcup-Achte Vanessa Voigt vor allem auf die erfahrene Ex-Staffelweltmeisterin Franziska Preuß. Nachdem sich die 30-Jährige aufgrund ihrer wiederkehrenden Gesundheitsprobleme in der Saisonpause einer Nasennebenhöhlen-Operation unterzogen hat, blickt die Olympia-Dritte mit der Staffel durch die Verbesserung ihrer medizinischen Situation außer den Weltcup-Rennen auch der WM ambitioniert, aber gelassen entgegen: „Ich habe einen Grundanspruch, dem ich möglichst gerecht werden möchte. Ich habe in den vergangenen Jahren gesehen, was alles möglich ist und wozu ich in der Lage bin, wenn alles passt.“
Als zusätzliche Herausforderung hat der Weltverband IBU vor Saisonbeginn das Reglement der Startreihenfolge verändert. Für mehr Spannung in den entscheidenden Rennphasen werden die besten Aktiven bei den Individualwettbewerben später als bislang üblich starten. Laut IBU sollen die besten 15 der Weltcup-Gesamtwertung – zunächst auf eine Versuchsphase in den ersten vier Weltcup-Wochen im November und Dezember beschränkt – in Sprint und Einzel mit einer Startnummer zwischen 46 und 75 in die Loipe gehen.

Mit der neuen Regelung will die IBU verhindern, dass die Rennen wie oftmals in der Vergangenheit auf nachlassender Strecke für schwächere Läufer schon früh entschieden werden. Stattdessen seien nun „bis zum Schluss spannende Wettkämpfe gewährleistet“, betonten die Funktionäre ihre Absichten und Erwartungen.
Demnach sollen nunmehr die besten Athleten jedes Landes, die jeweils nicht zu den Top 30 der Weltcup-Wertung gehören, die Rennen eröffnen. Bei außergewöhnlichen Wetterlagen jedoch kann die Wettkampfjury auch beschließen, dass die 15 besten Athleten des Rankings gleich zu Beginn des Wettkampfs starten, damit den Elite-Aktiven keine Nachteile entstehen.
Bei den deutschen Assen stößt die Reform bisher nur auf wenig Gegenliebe. „Ich glaube“, meinte etwa Kühn vor seinen ersten Saisonrennen, „dass es aus sportlicher Sicht nicht ideal ist.“ Seine Teamkollegin Preuß machte aus ihrer Skepsis ebenfalls kein Hehl: „Rein sportlich kann ich die Entscheidung dafür nicht verstehen“, erklärte die frühere Massenstart-Vizeweltmeisterin, gab sich aber kompromissbereit: „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ist es aber akzeptabel.“