Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 155 Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet. Meistens sind es Ex-Partner, die die Trennung nicht hinnehmen wollen. In Spanien wird durch elektronische Überwachung gegen solche Femizide vorgegangen. Geht es nach der CDU Saar, soll das auch bald in Deutschland der Fall sein.
Ana Orantes ist 60 Jahre alt, als sie im spanischen Fernsehen über die häusliche Gewalt und den sexuellen Missbrauch spricht, die sie in ihren 40 Jahren Ehe erlebte. Es ist der 4. Dezember 1997. 13 Tage später ist Ana Orantes tot. Ermordet durch ihren Ex-Ehemann. Er fesselte sie an einen Stuhl, schlug sie und zündete sie an. Lebend. Der Tod der siebenfachen Mutter löste in Spanien eine große Welle der Bestürzung aus, sorgte schließlich dafür, dass Gewalt gegen Frauen einen neuen Stellenwert im spanischen Strafrecht bekam.
155 vollendete und über 900 versuchte Femizide
Ana Orantes starb durch einen Femizid. Sie wurde ermordet, weil sie eine Frau ist. Femizide erfolgen meist durch einen Partner oder Ex-Partner, der eine Trennung nicht hinnehmen will, das Sorgerecht für ein gemeinsames Kind verloren hat oder aus reiner Eifersucht und Besitzdenken handelt. „Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 155 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Die Zahlen steigen jedes Jahr“, sagt Anja Wagner-Scheid, Landtagsabgeordnete der saarländischen CDU und Landesvorsitzende der Frauen Union, und verweist auf das aktuelle Lagebild des BKA aus dem November. „Im Saarland waren es zwei vollendete und sieben versuchte Femizide. Das sind besorgniserregende Zahlen, die uns zeigen, dass wir auch in Deutschland reagieren müssen.“
Vorbild dafür: die Spanier. Seit 2009 gibt es in Spanien die Möglichkeit, eine gerichtlich verhängte Bannmeile per elektronischer Fußfessel zu überwachen. „Der Aufenthaltsort des Mannes kann dann in Echtzeit kontrolliert werden. In Spanien läuft es sogar so, dass die Frauen ein Armband, ähnlich einer Smartwatch, tragen und dann zeitgleich mit der Polizei darüber erfahren, wenn sich der Täter nähert“, erklärt Wagner-Scheid. Eine Maßnahme, die Wirkung zeigt: Im Jahr 2022 wurden in Spanien „nur“ 49 Femizide begangen, seit über zwölf Jahren ist die Zahl rückläufig. Von den Frauen, die der elektronischen Überwachung zustimmten, war seit 2009 keine betroffen. „Opferschutz geht hier vor Täterschutz“, so die Unions-Politikerin weiter. Das habe auch die CDU/SPD-Landesregierung in Hessen so gesehen, wo das Anliegen bereits als Bundesratsinitiative eingebracht wurde. „An dieser Initiative haben wir uns auch orientiert bei dem Gesetzesentwurf, den wir im Plenum eingebracht haben“, sagt die 50-Jährige. Dieser soll die nötigen Rahmenbedingungen im SPolDVG (Saarländischen Gesetz über die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Polizei) schaffen, um eine solche Überwachung bei häuslicher Gewalt überhaupt rechtlich möglich zu machen. „Der nächste Schritt ist dann die Änderung des Gewaltschutzgesetzes hin zum spanischen Modell durch den Bundesgesetzgeber.“
Dahinter steht auch die Bundespartei. „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat aktuell einen Antrag mit 24 Forderungen vorgelegt, der unter anderem auch das Thema elektronische Fußfessel beinhaltet. Die erschreckend hohen Zahlen machen dies unbedingt erforderlich“, sagt Wagner-Scheid. „Dieser Antrag kann noch vor der anstehenden Bundestagswahl beschlossen werden.“
Doch die Fußfessel sei nur eine von vielen Stellschrauben, an denen man drehen müsse, betont die Politikerin, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen: „Wir haben uns unlängst mit Generalsekretär Carsten Linnemann bei der Kreisvorsitzendenkonferenz der Frauen Union in Berlin über dieses Thema intensiv ausgetauscht. Dabei ging es auch um die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen. Wir wollen gemeinsam das Gewaltschutzgesetz weiterentwickeln und schnellstmöglich ein Gewalthilfegesetz auf den Weg bringen. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz und Beratung. Bundesweit fehlen 14.000 Frauenhausplätze. Wichtig sind aber auch bewusste und sensible Gerichte und eine bewusste und sensible Polizei. Es braucht niedrigschwellige Beratungsangebote und eine Fülle an Maßnahmen.“ Dazu gehöre auch Prävention und Aufklärung. „Gewalttätige Beziehungen entwickeln sich oft weiter und werden immer schlimmer. Es gibt viele Facetten von Gewalt: körperliche, psychische und verbale Gewalt, Stalking, soziale Isolation und finanzieller Druck“, betont die Abgeordnete. „Dinge, die passieren, weil ein Mann sagt: Wir sind ein Paar. Wir haben geheiratet. Du gehörst mir! Das hat was mit einem tradierten und patriarchalen Rollenbild zu tun. Und hier fängt es bereits bei der Erziehung von Mädchen und Jungen an. Das muss in den Familien angelegt sein, aber meiner Meinung nach auch in Kindergärten und Schulen. Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein Menschenrecht. Ein Mann darf nicht über einer Frau stehen.“
Aufklärung und Prävention
Dieses Rollenbild lasse sich auch nicht auf bestimmte Personengruppen oder Gesellschaftsschichten runterbrechen: „Das geht durch alle Schichten“, sagt Wagner-Scheid. Und durch alle Bundesländer. Deutschlandweit sind die Fallzahlen geschlechtsspezifischer Gewalt steigend. Das gilt von Sexualstraftaten und häuslicher Gewalt über Menschenhandel bis Mord. „Wir dürfen nicht mehr nur darüber reden, wir müssen handeln“, sagt Wagner-Scheid, die beim Landesparteitag der CDU Saar 2023 dazu einen Antrag gestellt und die Zustimmung der Delegierten dafür erhalten hatte. „Unser Gesetzesentwurf schöpft die Möglichkeiten aus, die wir landesrechtlich haben, um elektronische Fußfesseln auch bei häuslicher Gewalt zeitlich befristet auf maximal vier Wochen durch ein Gericht anordnen lassen zu können.“ Eine bundeseinheitliche und umfassendere Lösung nach dem Spanischen Modell kann es aber nur im Bund durch eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes geben. Auch aus infrastruktureller Sicht: „Es gibt derzeit in Deutschland eine zentrale Überwachungsstelle für diese elektronischen Fußfesseln“, sagt Wagner-Scheid. „Da laufen alle Meldungen zusammen und von dort aus wird die Polizei dann informiert.“ Dort müsste dann personell sicherlich aufgestockt werden, sagt die CDU-Politikerin, dennoch sei es aber für die Polizei eine Entlastung: „Es ist viel aufwändiger, einen Straftäter rund um die Uhr zu überwachen, als eine solche Fußfessel anzuwenden. Dann braucht es keine Polizistinnen und Polizisten, die eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung machen, sondern das Gerät ersetzt diese Präsenz. Das ist am Ende dann auch eine Effizienzsteigerung der Arbeit der Polizei“, sagt sie.
Das spanische Modell ist derzeit auch Thema in Frankreich und der Schweiz. „Femizide sind ja kein neues Phänomen, das ist seit vielen Jahren in vielen Ländern weltweit ein Thema“, sagt Wagner-Scheid. „Und immer mehr Länder, auch wir hier in Deutschland, sehen anhand der Zahlen, dass wir reagieren müssen.“ Große Unterstützung gibt es dabei vom „Weißen Ring“, der eine Kampagne für Fußfesseln gestartet hat. Doch auch die Medien seien sensibler geworden: „Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ hat beispielsweise eine ganze Reihe an Berichten gemacht, die aktuelle Fälle untersucht und auswertet“, sagt Wagner-Scheid. „Dort konnte man aber auch in den verschiedenen Fällen sehen, dass ein einfaches Näherungs- und Kontaktverbot eben nichts genutzt hat, weil der Mann sich trotzdem der Frau genähert und sie getötet hat. Eine Fußfessel hätte das vielleicht verhindern können. Zum einen, weil die Polizei und die Frau informiert worden wären, zum anderen aber auch, weil der Täter genau gewusst hätte: Wenn ich diese Bannmeile betrete, erfährt es die Polizei und kommt“, sagt sie. „Ich bin davon überzeugt, dass eine elektronische Fußfessel in besonders schweren Fällen häuslicher Gewalt eine Möglichkeit sein kann, weitere Taten zu verhindern. Wenn diese Maßnahme dazu beiträgt, dass Frauen geschützt werden und weiterleben dürfen, dann ist das für mich jeden Euro Wert. Jede Frau sollte sich überall sicher fühlen können.“