Es geht um viel Geld, drei Titel und eine Revanche: Diesmal ist es kein WM-Vereinigungskampf, doch für Spannung und Brisanz ist auch beim zweiten Duell zwischen Oleksandr Usyk und Tyson Fury gesorgt.

Tyson Fury sitzt im roten Trainingsanzug beim Psychiater und knibbelt nervös an seinen Händen. „Worüber möchten Sie sprechen“, fragt ihn der Psychologe. Der Boxstar richtet den Blick nach oben und sieht seinen Gesprächspartner starr an. Szenenwechsel. Nun liegt Fury im Hospital, eine Krankenschwester tritt an sein Bett und sagt: „Ah, Sie sind aufgewacht, Mr. Fury.“ Beim Vorbeugen transformiert sich ihr Gesicht in das von Dreifach-Weltmeister Oleksandr Usyk, der ihm zuflüstert: „Jetzt kommen wir zurück.“ Szenenwechsel. Nun sitzt Usyk im Taxi, im Rückspiegel sieht er das gruselige Grinsen von Fahrer Fury, der ihn fragt: „Wie war dein Flug?“ Auch in den anschließenden Szenen auf der Straße, im Supermarkt, ja sogar in den heimischen vier Wänden – überall sieht Usyk seinen Rivalen Fury und Fury seinen Rivalen Usyk. Beide treiben sich gegenseitig förmlich in den Wahnsinn. Aus lauter Verzweiflung ruft Usyk dann Fury an und fordert: „Wir müssen das beenden!“ Der antwortet: „Ay, ich werde dich beenden!“
Ein Duell der Superlative
Im neuesten Werbetrailer für den mit Spannung erwarteten Rückkampf der beiden Schwergewichts-Boxer haben die Macher keine Kosten und Mühen gescheut. Das von zahlreichen Horror-Elementen bestückte Video trägt den Titel „The Obsession“ – die Besessenheit. Als Hintergrundmusik läuft passenderweise der Kylie-Minogue-Song „Can’t Get You Out of My Head“ (Ich bekomme dich nicht aus meinem Kopf). Auch die Boxfans sind verrückt nach dem zweiten Kräftemessen der beiden aktuell besten Kämpfer der Königsklasse am 21. Dezember. Erneut hat sich das Königreich Saudi-Arabien die Austragung des superteuren Mega-Fights gesichert, in der Kingdom Arena von Riad werden die beiden Athleten aufeinander einprügeln. Offiziell läuft der Kampf unter dem Namen „Reignited“ (wieder entzündet). Das erste Duell im vergangenen Mai wurde unter dem Namen „Ring of Fire“ (Ring aus Feuer) vermarktet. Es war ein höchst seltener und reichlich spektakulärer WM-Vereinigungskampf, in dem gleich vier WM-Gürtel auf dem Spiel standen. Jetzt hat auf dem Papier nur Usyk etwas zu verlieren.

Der Ukrainer vereinte im ersten Fight die vier wichtigen Gürtel der Verbände WBA, WBO, IBF sowie WBC und kürte sich zum ersten „Undisputed Champion“ seit 25 Jahren. Damals war Lennox Lewis der unumstrittene Schwergewichtschampion gewesen. Spätestens mit diesem Sieg stieg Usyk in die Riege der ganz großen Boxstars wie Lewis, Muhammad Ali und Mike Tyson auf. Sie alle waren zwar unterhaltsamer und charismatischer als Usyk, doch der 37-Jährige ist sportlich das Maß aller Dinge in seiner Generation. In 22 Kämpfen ist er noch unbesiegt, 14 davon beendete er mit einem Knock-out. Besonders beindruckend ist die Tatsache, dass Usyk schon im etwas leichteren Cruisergewicht der alles dominierende Athlet gewesen war und den Schritt zu den „schweren Jungs“ scheinbar mühelos vollzog. So wie einst auch Evander Holyfield.
Im Vergleich zum Briten Fury oder zu anderen Schwergewichtsboxern fehlt es Usyk etwas an körperlicher Größe und Reichweite. Doch das macht er mit einer überragenden Athletik wett. Der Brite Anthony Joshua zum Beispiel sieht zwar muskulöser aus, doch mehr Power steckt in Usyks Körper. Das bewiesen auch seine zwei gewonnenen Kämpfe gegen Joshua. Darüber hinaus zehrt Usyk von seiner boxerischen Ausbildung. Der Mann aus Simferopol hat im Amateurbereich unfassbare 350 Kämpfe bestritten und sich auch dort zum Weltmeister (2011) und sogar zum Olympiasieger (2012) gekürt. Er macht weniger Faxen und TamTam – ganz anders als sein Widersacher Fury. Das stärkt seine Konzentration, niemand in der Szene ist derart fokussiert wie der Ukrainer. „Usyk ist ein großartiger Kämpfer, er hat eine großartige Mentalität hinter sich“, schwärmt auch Ex-Weltmeister Lennox Lewis.
Dazu kommt die Extra-Motivation durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Usyk kämpft nicht nur für sich und seinen Erfolg, sondern stellvertretend für sein ganzes Volk. „Es war eine so große Möglichkeit für mich, für meine Familie und mein Land“, sagte er unmittelbar nach seinem Sieg gegen Fury im vergangenen Mai.
Usyk kämpft auch für seine Heimat

Diesen hatte er den ukrainischen Soldaten im Kampf gegen Russland gewidmet: „Ruhm der Ukraine!“ Auch diesmal wird er mit der ukrainischen Landesflagge den Ring besteigen und in Gedanken bei seinen Landsleuten sein. Für Wladimir Klitschko, früher selbst Schwergewichts-Champion, stehen Usyks Triumphe symbolisch für den Krieg in der Heimat: „Wir werden nicht nur im Boxring kämpfen und einen Sieg erringen, sondern auch in dem sinnlosen Krieg, den Russland begonnen hat.“ Nach dem ersten Kampf hatte Fury in einer spontanen Reaktion angedeutet, ein Opfer genau dieser Symbolik geworden zu sein. Er habe die meisten Runden gewonnen, behauptete der Brite, aber Usyks Heimatland befinde sich „im Krieg. Die Menschen sind auf der Seite des Landes, das sich im Krieg befindet.“ Faktisch lässt sich diese steile These nicht belegen, Usyks Sieg war keinesfalls unberechtigt. Im Rückkampf setzt Usyk seine Titel der Verbände WBC, WBO, und WBA aufs Spiel. Den IBF-Titel musste der 37-Jährige inzwischen niederlegen, weil er seine obligatorische Pflicht-Verteidigung nicht einhielt, um das Re-Match gegen Fury nicht zu gefährden. Und so stieg der britische Interims-Champion Daniel Dubios im Juni zum unangefochtenen IBF-Weltmeister im Schwergewicht auf. Beim Rückkampf sieht Lewis überraschenderweise etwas größere Chancen für den Herausforderer. „Ich denke, Fury wird auf den ersten Kampf zurückblicken und erkennen, dass es ein paar Dinge gibt, die er hätte tun sollen und tun wird“, sagte der 59-Jährige. „Fury weiß, was er tun muss. Er war ganz unten, er war ganz oben, jetzt ist er ganz unten, und er weiß, was er tun muss, um an die Spitze zu kommen, er kennt den Weg dorthin.“ Fury schmerzt es noch immer, dass ihm der WBC-Gürtel im vergangenen Mai nach der Split-Decision abgenommen wurde. Für die bislang einzige Niederlage in seiner Karriere will sich der 36-Jährige nun revanchieren. „Ich habe jemanden, der einen Sieg über mich errungen hat, der mich gebrochen und meine Jungfräulichkeit genommen hat und sie dorthin mitgenommen hat, wo auch immer er lebt“, sagte Fury und kündigte an, Usyk auf die Bretter zu schicken. „Ich muss Usyk ausknocken, und ich werde für einen guten K. o. trainieren.“ Der exzentrische Brite erinnerte an den Knock-out im Kampf gegen Wilder 2021, den er ebenfalls im Vorfeld angekündigt hatte. „Und genau das werde ich jetzt auch tun.“
Fury will weniger Show machen
Dieser „Lärm“ dient Fury scheinbar nicht nur dazu, den Kampf weiter zu vermarkten oder Verunsicherung beim Gegner zu schüren. Er redet sich mit solchen Sätzen auch selbst stark. „Erst dran glauben. Sieh’ es zuerst in deinem Kopf, und führe es dann da draußen aus“, erklärte er seine mentale Strategie. Und wie ist es um seine körperliche Fitness bestellt? Schließlich lässt sich der mit riesigem Talent ausgestattete Instinkt-Boxer zwischen seinen Kämpfen gern mal gehen, regelmäßiges Training ist nichts für den „Gipsy King“. Oft schleppt er auch zu viele Kilos auf den Rippen mit sich herum. „Ich habe getan, was ich tun musste“, sagte Fury dazu. „Es wird keine Ausreden geben. Ich war in einem fantastischen Trainingscamp. Ich habe mich nie über irgendwelche Probleme beschwert – weil es sie nicht gab.“

Viel lieber berichtete Fury über seine riesige Motivation, es diesmal Usyk, der Box-Welt und auch sich selbst zu beweisen: „Wahrscheinlich brauchte es diese Entscheidung, um mich aufzuwecken und mir wieder die Aggressivität zu geben, mit der ich jemandem eine reinhauen will.“ Der 2,06-Meter-Riese kündigte im Interview mit dem Sender „TNT Sports“ gar an, den Kampf „im Zerstörungs-Modus“ angehen zu wollen. Doch so eine Herangehensweise spielt dem Taktiker und Konterboxer Usyk in die Karten. Deshalb dürfte Furys Stil sich in Wahrheit gar nicht so sehr ändern, zumal er im ersten Kampf seine Reichweitenvorteile clever ausgespielt und Usyk phasenweise in arge Bedrängnis gebracht hatte. Doch mit den Psycho-Spielchen schien er sich selbst etwas aus dem Konzept zu bringen. Das soll nun nicht mehr passieren. „Alles, was ich tun muss, um die Revanche zu gewinnen, sind kleine Anpassungen. Das heißt: nicht so viel herumalbern mit meinen Händen auf dem Rücken. Mehr Fokus auf meinen Job“, sagte Fury in einem anderen Interview. „Einfach nur eine seriösere Version von dem, was ich schon gemacht habe.“
Sollte Usyk aber auch diesen Kampf verlieren, könnte es das Ende seiner Karriere bedeuten. Schon nach der Niederlage im ersten Duell ließ er offen, ob er überhaupt noch mal in den Ring zurückkehrt. „Wo soll das alles enden? Hundert Kämpfe und ein Hirnschaden, in einem Rollstuhl? Ich bin mir nicht sicher“, hatte er in einem seltenen Anflug von Selbstreflexion gesagt. Klar ist, dass Geld ein gewichtiges Argument zum Weitermachen ist. Laut der britischen Zeitung „Sun“ teilen sich Fury und Usyk nun die Kampfbörse von umgerechnet rund 180 Millionen Euro. Und selbst im Falle einer Niederlage könnte Fury noch einmal richtig abkassieren: Die Boxszene – vor allem die in Großbritannien – wartet noch sehnsüchtig auf das Duell Fury vs. Joshua. Doch ob diese „Battle of Britain“ jemals stattfinden wird, ist offen. Joshua muss sich zunächst von seiner krachenden K.-o.-Niederlage gegen Wilder rehabilitieren, und Furys voller Fokus gilt einem anderen Widersacher: „Ich mache mir keine Sorgen über Joshua und was er tut. Ich habe einen Mann, der gerade meine Eier hält.“