Eigentlich wollte er nur die Vorstellungskraft seiner Kinder fördern, nun hat ein Künstler aus Mexiko eine fantastische Berliner Bilderwelt für alle geschaffen.

Eduardo Gómez Sánchez liebt seine Kinder und seine Frau. Das ist die Antwort auf alle Fragen. „Mein Grund ist die Familie“, sagt der Mann, dessen Kunst gerade dabei ist, den Weg in die Öffentlichkeit zu finden. „Am Anfang“, sagt der 42-Jährige, „habe ich diese Tiere nur für meine Kinder gemalt.“ Diese Tiere, das sind unter anderem ein Seepferdchen mit Hirschkopf, ein Zebra mit Flossen, ein Hund mit Tentakeln, ein Hund mit Geweih, ein Jaguar mit Gefieder, ein Krokodil mit Flügeln.
Der Künstler nennt sie „kleine Frankensteine“
Es gebe Menschen, die seine Bilder gruselig finden, sie als Monster wahrnehmen, als Wesen, wie sie in Albträumen auftauchen. „Kleine Frankensteine“ nennt Eduardo seine Geschöpfe manchmal. Es seien aber immer Erwachsene, die es gruselt. „Kinder lieben es, finden es lustig“, erzählt Eduardo. Bisher habe er kein Kind kennengelernt, dass Angst vor seinen Fabelwesen hat. Im Gegenteil: Wenn Erwachsene skeptisch auf einen Bär schauen, der Schmetterlingsflügel halt, rufen Kinder hellauf begeistert: „Hey, der kann fliegen!“
Nach und nach hat Eduardo dann angefangen, seine Wesen in Berliner Architektur zu integrieren – der Fernsehturm ist ein beliebtes Motiv in diesen Werken, das Brandenburger Tor auch. Als Vorlagen für seine digitalen Collagen nutzt er alte Zeichnungen und Gemälde, setzt sie neu zusammen. Das Ergebnis schickt er durch einen leistungsstarken Computerdrucker. Das Ganze passiert in einer Wohnung im vierten Stock eines Altbaus in Neukölln, in der Eduardo mit seiner Frau und den drei Kindern lebt.

Eduardo kommt aus Mexiko. Dort hat er auch seine Frau kennengelernt. Seit 18 Jahren sind sie zusammen, vor 13 Jahren haben sie geheiratet, und vor zwölf Jahren sind sie nach Berlin gekommen. Eduardos Frau kommt zwar aus Süddeutschland, die beiden haben sich bei ihrer Rückkehr aber bewusst für Berlin entschieden. Damals war gerade das erste Kind unterwegs. In Deutschland, sagt Eduardo, ist es sicherer für Kinder als in Mexiko – und die Schulen sind besser. Und Berlin ist einfach eine coole Stadt, erklärt er.
Wobei er mit cool nicht das wilde Nachtleben meint. „Ich habe drei Kinder. Da stürze ich mich nicht ins Partyleben. Aber es gibt so viele Möglichkeiten in Berlin, viel Kultur, auch für Kinder – und vieles ist kostenlos“, schwärmt er. Nach Berlin wollten seine Frau und er damals, weil sie die Stadt bei Besuchen als „sehr multikulti“ erlebt haben. Für zwei Menschen, die Kunst studiert und in Mexiko gelebt haben, klang das verheißungsvoll. Er habe diese Entscheidung nicht bereut, sagt Eduardo. Auch wenn am Anfang nicht alles so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat.
Die Idee war, hochwertiges und fair gehandeltes mexikanisches Kunsthandwerk nach Deutschland zu importieren und damit zu handeln. Nach zwei Jahren sei klar gewesen: „Das hat nicht so geklappt.“ Also hat Eduardo versucht, von der eigenen Kunst zu leben. Er hat Fotos von Berlin an Touristen verkauft und Keramikkacheln mit Berliner Motiven hergestellt. Seine Frau hat sich dann entschieden, noch mal zu studieren. Sie wird Lehrerin, macht gerade ihr Referendariat. Eduardo kümmert sich um die Kinder. „Ich bin erst mal Vater, dann Künstler“, sagt er.
Aber Familienleben und Kunst gehen ineinander über. Seine Kinder bezeichnet Eduardo auch als seine „kreativen Partner“, denn sie inspirieren ihn, weil sie große Freude an seinen Werken – und manchmal auch einen konkreten Wunsch haben. Als eins seiner Kinder in der Schule in die Chamäleon-Klasse kam, wollte sie von Papa ein Chamäleon, das fliegen kann. Also hat er dem Tier Libellenflügel verliehen. Wobei es vor allem darum gehe, die Vorstellungskraft der Kinder anzuregen, also dem Geist Flügel zu verleihen.
Mit Fantasie und Liebe zur Kunst nach Berlin

„Die Idee ist ganz einfach“, sagt Eduardo und erklärt: „Menschen sind vom Charakter her wie Tiere: sehr verschieden.“ Und manchmal finden sehr unterschiedliche Menschen zusammen. Seine Familie zum Beispiel: „Meine Frau ist Deutsche, ich bin Mexikaner – und unsere Kinder?“ Der eine sei wie ein Vogel, ein anderer wie eine Katze. „Meine Kinder sprechen Deutsch, ich lerne es immer noch“, sagt Eduardo. Gerade hat er den dritten Versuch gestartet, ein Buch auf Deutsch zu lesen. Aber trotz der unterschiedlichen Sprachkenntnisse finden alle zusammen.
Dafür steht für Eduardo auch Berlin: „Es ist wie in dieser Geschichte aus der Bibel: Alle sprechen andere Sprachen wie in Babylon. Und das historische Babylon ist auch ein Zentrum gewesen.“ Deshalb hat er sein Kunstprojekt „Berliner Babylon“ genannt. Auf den Märkten, auf denen er seine Kunst verkauft, sind Verkäufer aus aller Welt, schwärmt er. Und jeder hat etwas anderes mitgebracht in diese Stadt.
Eduardo hatte unter anderem die Fantasie und die Liebe zur Kunst dabei, als er nach Deutschland kam. „In Mexiko gibt es viel Fantasie und Kunsthandwerk“, sagt er. Fabeltiere, wie die, die er erschafft, gebe es in ähnlicher Form auch in seiner Heimat. Aber nicht nur dort. Jemand aus Süddeutschland habe ihm gesagt, dass ihn diese Kreaturen an Wolpertinger erinnern, die mysteriösen Mischwesen aus Bayern. Wo die Wolpertinger herkommen, ist unklar. Eduardos Tiere entstehen digital. Er zeichnet zwar auch ab und zu auf Papier, aber für seine Kunst, ist „der Computer mein Werkzeug“, sagt er. 40 bis 50 Tiere sind so entstanden und einige üppige Berlin-Bilder. Er hat auch ein Buch mit fantastischen Geschichten illustriert und ein Whiskyflaschen-Etikett gestaltet.
Es sind auch schon Menschen zu einem seiner Stände auf einem der Berliner Märkte gekommen, die sich eins seiner Tiere haben tätowieren lassen und ihm das voller Freude zeigten. Das bringt ihm zwar kein Geld, aber Eduardo liebt diese Momente. Wenn sich diese Menschen an seiner Kunst erfreuen, dann freut ihn das auch. Dennoch: Eigentlich entwirft er immer neue Tiere und immer neue Berliner Fantasiewelten vor allem für seine Kinder und seine Frau. Und für sich selbst. „Ich bin selbst ein Kind und ein Sammler“, sagt Eduardo Gómez Sánchez.