Manches schmeckt eben nur orts- und situationsgebunden
Kibbeling schmeckt nur in Holland. Aber der Reihe nach: Neulich war ich ein paar Tage am Meer. Mal durchschnaufen, frische Seebrise um die Nase wehen lassen und so. Die Haare vom Herbstwind zerzaust, feinen Sand in den Ohrmuscheln und zwischen den Zähnen, erklimme ich eine Düne und rieche … verheißungsvoll duftendes Frittierfett. Ich lasse den Blick schweifen und entdecke die Imbissbude, die man riecht, bevor man sie sieht. Etliche Dünenwanderer stehen dort an. Ich rede mir ein, das sei ein gutes Zeichen, und geselle mich zur Warteschlange.
Es gibt Kibbeling. Das sind mundgerechte Fischfiletstücke im Backteigmantel, die in einem Fett frittiert werden, das – so riecht es nun von Nahem – schon mal eine komplette Saison halten muss. Nichtsdestotrotz munden die fetttriefenden Kibbeling-Stücke fantastisch. Also koste ich wenige Wochen darauf nochmal Kibbeling, der im Rahmen eines handelsüblichen deutschen Weihnachtsmarktes angeboten wird. Aber: Riesen-Enttäuschung! Offensichtlich kriege ich dieses Kibbeling-Zeug nur nach einem Strandspaziergang im Herbstwind runter – und wenn mir beim Essen feinster Dünensand zwischen den Zähnen knirscht.
Ich nehme an, Sie kennen diesen Effekt: Manches Essen schmeckt nur ortsgebunden. Das gilt übrigens auch für Getränke. Von einem Adria-Urlaub hatte ich mir ein paar Flaschen Malvasia-Wein mitgebracht, musste zuhause aber feststellen, dass der nur schmeckt, wenn man gleichzeitig über Pinienwipfel auf eine türkisblaue Badebucht schaut. Verköstigt man ihn mit Blick auf einen südwestdeutschen Tannenwald, ist der Wein die reinste Plörre. Die Aromen der Adriaküste müssen irgendwo auf der A8 zwischen Rosen- und Pforzheim verloren gegangen sein.
Oder nehmen wir das sagenumwobene irische Schwarzbier. In einer westirischen Kleinstadt habe ich mich einmal von der keltischen Melancholie anstecken lassen und gegen diese dann, wie von den Einheimischen empfohlen, mit Guinness angekämpft. Das lief wie Apfelsaft! Zurück zu Hause jedoch, wo ich wieder meinen üblichen Grundoptimismus pflegte, schmeckte dann Pils doch wieder besser als das schwermütige Schwarzbier. Vielleicht sollte ich mal eine Gegenprobe starten und versuchen, ein Kölsch in den schottischen Highlands zu trinken, oder Bratkartoffeln à la Oma am subtropischen Palmenstrand zu futtern. Mal schauen, ob’s immer noch so schmeckt wie daheim.
Folgender Selbstversuch ging bei mir jedenfalls gründlich schief: Ich bin eigentlich kein Fan von Weihnachtsmärkten, deshalb gehe ich zu höchstens vier bis fünf pro Jahr. Dort trinke ich dann, zugegebenermaßen mit Genuss, weißen Winzerglühwein! Bei nasskaltem Dezemberwetter in geselliger Runde brauche ich höchstens drei davon, schon wird mir wunderbar warm ums Herz, obwohl mir der kalte Regen durch die Jacke suppt. Eventuell aufkeimende Zweifel an Weihnachten („ist nur noch Kommerz und völlig unbesinnlich“) lösen sich nach wenigen Weihnachtsmotiv-bedruckten Tassen Winzerglühwein sanft auf. Jemand aus dem Kollegen- oder Freundeskreis sagt: „Ich besorg uns noch ne Runde“, und gemeinsam fühlen wir uns selig. Also kauft jeder noch zwei Literflaschen Winzerglühwein mit aufgedruckter Zubereitungsanleitung und Serviervorschlag für zu Hause.
Eine der beiden auf dem Weihnachtsmarkt erworbenen Flaschen habe ich inzwischen beim Wichteln weiterverschenkt. Die andere hatte ich zu Hause geöffnet, in einen Topf gegossen und die vorgeschlagenen Zutaten beigemischt. Der Effekt: keine Spur von Seligkeit oder Weihnachtsgefühl. In meiner Küche und ohne nette Gesellschaft funktioniert selbst der beste Winzerglühwein nicht. Dabei waren zwei der besuchten Weihnachtsmärkte keine zwanzig Fußminuten von meiner Wohnung entfernt. Offensichtlich kriege ich das Glühzeug nur runter, wenn es mir dabei leise in den Hemdkragen nieselt.
Und was ist damit bewiesen? Nichts Dramatisches – außer, dass der Kibbeling-Effekt sich nicht allein ortsspezifisch erklären lässt. Kulinarischer Genuss ist offenbar auch situationsbedingt. Also schnell raus und schauen, wo es noch Vorweihnachtsglühwein im Freien gibt. So gut schmeckt er erst wieder nächstes Jahr, im heimischen Dezemberregen.