Am 29. Oktober 2024 verwandelten Niederschläge von bis zu 700 Liter pro Quadratmeter vor allem das südwestliche Umland von Valencia in ein riesiges Katastrophengebiet. Dabei kamen mindestens 230 Menschen ums Leben – auch, weil zu spät gewarnt wurde.
Im Laufe des 28. Oktober hatte die amtliche spanische Wetterbehörde AEMET mehrfach auf die anstehende Gefahr extremer Niederschlagsmengen für die gesamte iberische Mittelmeerküste aufmerksam gemacht. Der damit verbundenen Unwetterwarnung schien allerdings niemand sonderlich große Aufmerksamkeit zu schenken. Starkregen während der Herbstmonate aufgrund des in Spanien wohlbekannten Wetterphänomens „DANA“, das im Volksmund meist noch immer als „gota fría“ (kalter Tropfen) bezeichnet wird, ist für viele nichts Ungewöhnliches. Vereinfacht gesagt trifft hierbei feucht-kalte Polarluft, die sich aus dem Hauptstrom wie ein Tropfen abgelöst hat, auf aus dem Mittelmeer aufgestiegene feucht-warme Luftmassen. Dabei bilden sich prall mit Wasser gefüllte Wolken, die mit ihrem gewaltigen Niederschlagspotenzial nach Angaben des spanischen Wetter- und Klimaforschers Jorge Olcina durchaus „vergleichbar mit einem karibischen Hurrikan oder einem asiatischen Taifun“ sein können. Das Problem bei einer „DANA“ bestehe darin, das vorab nur sehr schwer vorhersehbar sei, wann, wo und mit welchen Niederschlagsmengen sie sich manifestieren werde. In der Vergangenheit hatte es daher schon häufiger Unwetterwarnungen gegeben, die sich dann als harmlose Schauer entpuppten.
Am frühen Morgen des 29. Oktober setzten Regenfälle im Großraum Valencia ein, der mit 800.000 Einwohnern drittgrößten spanischen Stadt am Mittelmeer. Bereits um 7.30 Uhr hatte die AEMET an diesem Dienstag die höchste Unwetterwarnstufe Rot für Teile des Hinterlandes von Valencia verkündet, weil dort im Tagesverlauf mit Regenmengen von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter gerechnet werden musste. Dass es letztlich im Schnitt mehr als die doppelte Menge und in lokalen Spitzen sogar mehr als 700 Liter pro Quadratmeter werden sollten, konnte nicht einmal die AEMET voraussehen.
Kleinstadt nahezu vollständig zerstört
Das südwestliche Umland Valencias mit den Landkreisen L’Horta, Requena-Utiel und Ribera waren am stärksten betroffen, weil sich dort normalerweise nahezu ausgetrocknete Flüsse binnen weniger Stunden in reißende Ströme verwandelten. Obwohl bereits gegen 14 Uhr erste Notfallanfragen aus schon überschwemmten Gemeinden bei der valenzianischen Regionalregierung eintrafen, der militärische spanische Katastrophenschutz UME gegen 15 Uhr in Bereitschaft gesetzt wurde und danach erste Krisensitzungen abgehalten wurden, zu denen der verantwortliche Regionalpräsident Carlos Mazón wegen eines ausgiebigen Mittagsmahls mit einer Journalistin erst gegen 19 Uhr hinzustieß, erhielt die betroffene Bevölkerung erst um exakt 20.11 Uhr mittels des Notfall-Systems ES-Alert eine Warnmeldung auf ihre Smartphones.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die spanische Jahrhundertflut längst ihren Lauf genommen. Zwar war der befürchtete Bruch des Staudamms Forata ausgeblieben, doch war der Rio Magro infolge der heftigen Regenfälle zu einem gewaltigen Strom geworden, der auf seinem Weg von Utiel nach Alemesi und in den Jücar-Fluss alles mit sich riss und dabei diverse Rinnsale oder trockene Flussbetten wie den Barranco del Poco sowie knapp 80 Ortschaften regelrecht überflutete. Am schwersten traf es die Kleinstadt Paiporta mit ihren 29.000 Einwohnern zehn Kilometer südwestlich von Valencia, die nahezu gänzlich zerstört wurde. Hier wälzten sich die Wassermassen meterhoch durch die Straßen und hinterließen hier wie andernorts eine Spur der Verwüstung, der weder Häuser oder Brücken noch zahllose Autos gewachsen waren. Der Baranco del Poyo war dabei von 200 Kubikmetern Wasser pro Sekunde um die Mittagszeit auf unvorstellbare knapp 2.300 Kubikmeter pro Sekunde gegen 19 Uhr angeschwollen – eine Menge, die dem Vierfachen des Stromflusses des Ebro entsprach.
Die enormen Sachschäden wurden Anfang Dezember auf zwischen 22 und 28 Milliarden Euro taxiert. Die Wassermassen hatten eine Fläche von rund 450.000 Hektar in ein Katastrophengebiet verwandelt, mehr als 23.000 Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen und auch 120.000 Autos zerstört, deren Wracks zu langen Barrikaden verkeilt wurden. All das hätte wohl nicht verhindert werden können. Schon allein, weil geplante Präventionsmaßnahmen für das regionale Flussnetz nicht realisiert worden waren. Anders sah die Lage der Stadt Valencia aus: Hier hatte die Flutkatastrophe von 1957 mit 81 Todesopfern zu einer Verlegung des Río Turia in einen um die City herumführenden Kanal geführt. Entsprechend war das Zentrum Valencias von der aktuellen Katastrophe, die laut spanischen Experten in dieser dramatischen Ausprägung nur alle 1.000 bis 3.000 Jahre auftritt, verschont geblieben.
Hilfspaket über 16,6 Milliarden Euro
Durch eine rechtzeitige Warnmeldung an die Bevölkerung hätten aber auf jeden Fall Menschenleben gerettet werden können. Mit dem Anstieg der registrierten Todesopfer, deren Zahl Anfang Dezember mit 230 angegeben wurde, wuchs auch die Wut der Betroffenen auf die zuständigen staatlichen Institutionen und deren offensichtliches Versagen beim Krisenmanagement. Die Entsendung von Soldaten oder Mitarbeitern der Guardia civil erfolgte viel zu schleppend, während gleichzeitig aus allen Landesteilen freiwillige Helfer zu Tausenden herbeigeströmt waren, um vor allem der gigantischen Schlammlawine, die das Kanalsystem in den betroffenen Gemeinden fast vollständig außer Kraft gesetzt hatte, mithilfe von Schippen zu bekämpfen – lange bevor überhaupt Räumungsfahrzeuge und Pumpen eintrafen. Schätzungsweise vier bis fünf Millionen Kubikmeter Schlamm müssen entsorgt werden, wofür einige Wochen nach der Katastrophe endlich genügend professionelle Helfer aus Feuerwehr, Militär und Zivilschutz samt Lastwagen zusammengezogen wurden.
Obwohl vergleichsweise schnell die wichtigsten Reparaturen an zentralen Infrastrukturen wie dem Straßennetz, der Kommunikation oder der Wasser- und Stromversorgung gelang, hielt der Bürger-Protest rund um die Verantwortlichkeiten für die Katastrophe unverändert an und machte sich vor allem in von Hunderttausenden besuchten Demonstrationen im Zentrum Valencias Luft. Vor allem der konservative Regionalpräsident Carlos Mazón stand im Zentrum der Kritik, weil der Katastrophenschutz eigentlich Aufgabe der autonomen Regionalregierung ist. Aber auch die sozialdemokratische Zentralregierung unter Ministerpräsident Pedro Sánchez bekam ihr Fett ab, weil dieser erst eine Woche nach der Flut die Provinz Valencia zum Katastrophengebiet erklärt und darauf verzichtet hatte, den nationalen Notstand auszusprechen, wodurch Madrid die Zuständigkeit für die Koordination aller Hilfs- und Rettungsmaßnahmen erhalten hätte. Zur Beschwichtigung der Betroffenen hat die spanische Regierung allerdings ein Entschädigungsprogramm auf den Weg gebracht und Anfang Dezember ihr finanzielles Hilfspaket für die Region auf 16,6 Milliarden Euro aufgestockt.