Im Kampf ums Berliner Abgeordnetenhaus umgarnte die CDU die Autofahrer. Zwei Jahre danach zeigt sich: Ganz so eindeutig ist die Sache nicht. Was geblieben ist von den Ankündigungen und welche Projekte eben doch kommen.
Die Botschaft war klar: „Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten.“ So stand es 2023 auf zahlreichen Wahlplakaten, die die CDU in der Hauptstadt aufhängen ließ. Zwar hatte keine Partei ein solches Verbot gefordert. Doch der zaghafte Wandel, den die rot-rot-grüne Landesregierung angestoßen hatte – Radwege ausbauen, Parkplätze verringern, Tempo-30-Zonen einrichten – war vielen Berlinerinnen und Berlinern offenbar zu viel gewesen. 2023 wählten sie eine Koalition aus CDU und SPD ins Rote Rathaus.
Hin und Her um Tempo-30-Zonen
Als eine ihrer ersten Amtshandlungen stoppte die neue CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner den Bau von Radwegen. Nach einem öffentlichen Aufschrei ruderte sie wieder zurück. Jetzt werden 16 der betroffenen 19 Projekte doch umgesetzt. Schreiner selbst trat wegen einer Plagiatsaffäre im April 2024 zurück. Wie es unter ihrer Nachfolgerin Ute Bonde weitergeht, ist noch offen. Bonde leitete zuletzt den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), hat also Erfahrung im öffentlichen Personennahverkehr. Befindet sich die Berliner Koalition also tatsächlich auf einem „Auto-Kreuzzug“, wie es der Umweltverband BUND in einem Blogbeitrag formuliert? Oder bleibt vielleicht doch alles beim Alten?
Besonders kritisch sieht der Radverband ADFC die derzeitige Verkehrspolitik. „Auch bei den Grünen ging es langsam voran“, sagt die Berliner ADFC-Vorsitzende Hannelore Lingen. „Aber da war wenigstens der Wille da.“ Um Verkehrstote zu vermeiden, bräuchte es viel mehr sichere, abgetrennte Radwege. „Gerade für Schulkinder wäre das wichtig“, sagt Lingen, „aber da passiert kaum etwas.“ Die festen Ausbauziele, die das Mobilitätsgesetz der Vorgängerregierung festschreibt, sieht sie in Gefahr. „Wir sind nicht damit einverstanden, dass Radwege nur saniert statt neu gebaut werden“, betont Lingen. Fällt ihr auch etwas Positives zur aktuellen Regierung ein? „Nö.“
Nicht ganz so hart urteilt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). „Rückgängig gemacht wird die Verkehrswende nicht“, sagt der Regionalvorsitzende Heiner von Marschall. „Aber es kommen eben auch keine neuen Planungen hinzu.“ Man müsse der Regierung zugestehen, dass sie alte Projekte überprüft. „Unter Rot-Rot-Grün herrschte oft das Gefühl, dass vor allem für den Radverkehr etwas getan wird“, sagt von Marschall. Seine Hoffnung: Da die neue Verkehrssenatorin aus dem Öffi-Bereich kommt, könnte sich beim Ausbau von U-Bahnen und Trams etwas tun.

Eine ähnliche Sicht vertritt Roland Stimpel vom Fußgängerverein FUSS e.V.: „Die Grünen wollten ein Sechstel aller Verkehrsteilnehmer verwöhnen, die CDU versucht es bei einem Drittel.“ Gemeint sind Radfahrer und Autofahrerinnen – reine Klientelpolitik, findet der Fußgängeraktivist. An diejenigen, die zu Fuß gehen oder den Bus nehmen, denke niemand. Vor allem die geplante Rücknahme von Tempo-30-Abschnitten stört Stimpel. Im Februar hatte die damalige Verkehrssenatorin angekündigt, an rund 30 Hauptstraßen könne künftig wieder Tempo 50 gelten, da die Luftgrenzwerte eingehalten würden. Stimpel hat dafür kein Verständnis: „Es ist doch paradox. Die Luft wird besser, die Unfallzahlen gehen zurück, und jetzt ist schnelles Durchfahren plötzlich wichtiger als ein gutes Leben.“
Noch ist aber nichts entschieden. Laut Auskunft der Senatsverwaltung befindet sich die Rückumwandlung derzeit in Prüfung. Sollten Schulen, Kitas oder Pflegeheime an die Straße grenzen, könnte dort Tempo 30 bleiben. Oder auch nicht. Ganz einig scheint sich die Berliner Koalition diesbezüglich nämlich nicht zu sein. Im Herbst 2024 berichteten mehrere Medien darüber, dass die SPD weiterhin für Tempo 30 vor Schulen plädiert, Stichwort: Verkehrssicherheit.
Kritik an mangelnder Zusammenarbeit
Der Autoclub ADAC hat sich zuletzt ebenfalls für eine Beibehaltung der Tempo-30-Zonen vor Schulen, Pflegeheimen und Kitas ausgesprochen. „Sollte es Bemühungen geben, Tempo 30 in diesen Bereichen zurückzunehmen, verurteilen wir dies auf Schärfste“, sagte Pressesprecherin Claudia Löffler im „Berliner Kurier“. An anderen Stellen sieht es der ADAC nicht ganz so eng: „Wenn Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, müssen Einschränkungen zurückgenommen werden.“ Auch sonst kann der Autoclub der neuen Verkehrspolitik durchaus einige positive Aspekte abgewinnen: „Wir begrüßen die Rückkehr zu einer sachbezogenen Politik. Man sollte erst einmal Alternativen schaffen, bevor man versucht, Autos aus der Stadt zu drängen.“ Also alles bestens? Nicht ganz. „Was absolut fehlt, ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Senat und den Bezirken“, sagt Löffler. Bei Baustellen gebe es oft nur eine mangelnde oder gar keine Absprache.
Der Bezirksstadtrat für Berlin-Mitte, Christopher Schriner, spürt die schwarz-rote Verkehrspolitik vor Ort. „Für bestimmte Projekte bekommen wir kein Geld mehr vom Land“, klagt der Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Beispiel Südliche Charlottenstraße: „Die Planung für eine Fahrradstraße ist fertig, aber die Mittel werden uns nicht zugewiesen. Dabei geht es hier nicht um abstrakte Ideologie, sondern um saubere Luft, Klimaschutz und Verkehrssicherheit.“ Ein bereits geplanter Radweg in der Beusselstraße in Moabit werde nach dem vorübergehenden Planungsstopp nun aber doch gebaut, räumt Schriner ein.
Sichere Radwege, Vorfahrt fürs Auto oder doch mehr ÖPNV? Knapp zwei Jahre nach der Wahl des Abgeordnetenhauses scheint noch immer unklar, wie und ob es mit der Mobilitätswende weitergeht. Auf Nachfrage antwortet die Berliner Senatsverwaltung mit einer diplomatischen Phrase. Man mache „eine Verkehrspolitik für alle Berlinerinnen und Berliner“, sagt die Pressesprecherin.