Elena Carrière (28) zählt zu den erfolgreichsten deutschen Models und Content Creators. Im Interview erzählt die Hamburgerin, warum sie statt für viele namhafte Brands nur noch für bewusst ausgewählte arbeitet und wieso sie sich für Themen wie Frauengesundheit, Mental Health, Ernährung und Female Empowerment einsetzt.

Liebe Elena, Du warst 2016 Zweitplatzierte bei „Germany’s Next Topmodel“ und arbeitest seit Deiner Teilnahme dort sehr erfolgreich als Model und Content Creatorin. Welche interessanten Aufträge hattest Du in der letzten Zeit?
Ehrlicherweise sind meine interessantesten Aufträge oft losgelöst vom Modeln oder Influencer-Dasein. Sie belaufen sich aktuell eher auf Panel Talks, Keynotes, Moderation-Jobs oder Talkshow-Einladungen, weil ich dort meine Themen am besten rüberbringen kann – in letzter Zeit war ich zum Beispiel bei „dir und deutlich“ und habe meine Verhütungsgeschichte erzählt. Dann war ich im TV auf Vox und habe einen Appell für Gleichberechtigung bei Verhütung ausgesprochen, und ich habe auf der Bühne für Frauen 100 im Panel Talk gesessen und über die Pille danach gesprochen.
Du berichtest – vor allem in Real-Talk-Videos – neben Verhütung auch sehr offen über weitere wichtige Themen wie mentale Gesundheit, die Sexualität von Frauen, Patriarchat und Essstörungen. Wie kamst Du dazu?
Ich habe mich immer schon für sozial relevante Themen interessiert. Ich denke nur, mir ist erst kürzlich klar geworden, wie ich dieses auch wirklich in meinen Job integrieren kann und meine Plattform aktiv dazu nutzen kann. Es ging damals los mit Veganismus, Yoga und mehr Achtsamkeit. Mittlerweile sind wir eben bei hochpolitischen und sozialen Themen angelangt, für die ich jeden Tag brenne, weil ich eben auch betroffen bin– zum Beispiel Essstörungen –, so wie die meisten Frauen es leider sind. Ich denke, was das Ganze noch auf eine ganz andere Ebene gebracht hat, war meine eigene Horror-Erfahrung mit der Kupferspirale Anfang dieses Jahres, nachdem sich für mich mein Weltbild, was Gleichberechtigung angeht, echt noch einmal verändert hat und ich angefangen habe, alles noch mal neu zu hinterfragen und zu recherchieren.
Wie reagieren Deine Follower auf diese Themen, erhältst Du sehr viel Feedback?
Seitdem ich noch klarer und ehrlicher über diese Themen spreche, umso mehr erreichen mich Fluten an Nachrichten persönlicher Geschichten von Menschen, vor allem von Frauen, die sich angesprochen fühlen, die mir danken, denen ich Mut machen kann und die viele Dinge, die ich anspreche, sogar gar nicht wussten. Ich bin keine Expertin, aber ich weiß, wie ich die Dinge recherchieren kann, damit ich sie an meine Community weitertragen kann, um zumindest zum Teil aufzuklären. Insbesondere bei Themen, über die meiner Meinung nach einfach viel zu wenig gesprochen wird. Das erfüllt mich wirklich jedes Mal mit so viel Glück und Dankbarkeit, dass ich genau weiß, wofür ich das alles tue!
Folgen Dir überwiegend Frauen?
In den Jahren nach „Topmodel“ hatte ich eine geschlechtlich ziemlich ausgewogene Followerschaft. Seitdem ich mehr über Frauenthemen spreche, folgen mir aber immer mehr Frauen.
In Deinem Instagram-Profil findet sich kaum noch Werbung, obwohl Du sehr gefragt bist – steht da eine bewusste Entscheidung dahinter?
Viele würden jetzt wahrscheinlich sagen, ich habe mich ganz bewusst für etwas entschieden. Dennoch war es bei mir eher ein schleichender Prozess. Was mir schon vor sehr vielen Jahren klar war, ist, dass mich das Influencer-Dasein an sich nie besonders interessiert oder emotional gepackt hat, auch habe ich mich schon sehr früh – bevor es zum Trend wurde – dazu entschieden, hauptsächlich nachhaltige Produkte zu vermarkten, wenn überhaupt. Die Werbepartner kommen mittlerweile auf mich zu, weil ich eben nicht für alles Werbung mache und ich denke, diese Entscheidung lässt sich auch klar davon ableiten, dass ich meine Plattform eben für wichtigere Dinge nutzen möchte. Dennoch hat Vermarktung auf Social Media ihre absolute Daseinsberechtigung und hat auch lange meine Miete gezahlt. Daher möchte ich es auf gar keinen Fall schlechtreden.
Welche Deiner Beiträge sind die beliebtesten?

Als Content Creator meint man, ein gutes Gefühl dafür zu haben, was als Beitrag funktionieren wird und gutes Geld generiert und was nicht … Ich muss aber ernüchternd immer wieder sagen, dass es wirklich fast jedes Mal wieder überraschend sein kann, wofür die Menschen brennen! Als ich damals meine Erfahrung mit der Kupferspirale geteilt habe, hätte ich niemals gedacht, dass das Video so viral geht! Und ja, viele meiner Real-Talk-Beiträge sind mittlerweile sehr viel beliebter als der ganze „bedeutungslose“ ästhetische oder Lifestyle-Content, den ich die Jahre davor manchmal gepostet habe … Aber dann passiert es trotzdem ab und zu, dass ein Video, was ich um 4 Uhr morgens in New York aus Jetlag-Langeweile geschnitten und hochgeladen habe, drei Millionen Views erzielt, wobei ich in dem Video mir und meinem Freund bloß die Haare färbe. So etwas kann man tatsächlich kaum planen. Daher denke ich, durchschnittlich kann man sagen, meine nahbaren Beiträge sind die erfolgreichsten Beiträge.
Wenn Du Dinge an Social Media und im Modebusiness verändern könntest – welche wären das?
Am liebsten würde ich das Mindset aller Userinnen und User verändern, sodass sich nicht alle ständig vergleichen oder beweisen müssten, was am Ende nur dazu führt, dass man eine Fake-Art der Validierung bekommt, wodurch sich andere Menschen dann schlechter fühlen. Realistisch gesehen müsste die Modeindustrie ein klares Zeichen setzen, welches normale Körpergrößen und normales Aussehen fördert, damit es nicht immer weiter in die Anorexia-Nische geht – was leider immer noch der Fall ist in Paris, Mailand und New York. Social- Media-Unternehmen müssten viel klarere Grenzen setzen, zu welchem Content, wo und wie viel verbreitet werden darf. Das ist natürlich eine Mammut-Aufgabe und leichter gesagt als getan, da diese Unternehmen ja auch nur auf User-Engagement und Consumerism gepolt sind. Daher kann ich, glaube ich, als Antwort zu dieser Frage nur sagen, dass sich der User und dessen Mindset anpassen muss. Denn das System zu verändern, ist fast unmöglich …
Hast Du das Gefühl, Models werden in den letzten Jahren mehr als Persönlichkeiten wahrgenommen und nicht nur als bloße „Kleiderständer“? Hat sich hier etwas verändert im Vergleich zu Deiner Anfangszeit?
Das ist definitiv so, und ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass die Brands, die diese Persönlichkeiten buchen, spüren, dass Influencer genau wie früher die großen Filmstars als Werbegesichter funktionieren. Influencer sind die neuen Stars, da sie sehr nah an den Followern beziehungsweise den Verbraucherinnen sind. Das ist authentisch und schafft natürlich eine irrsinnige Kaufkraft.
Wie ist dies bei Deinen Jobs im Bereich Fashion und Beauty – fühlst Du Dich immer angemessen behandelt und wertgeschätzt oder hast Du auch schon negative Erfahrungen gemacht?
Ich habe mich schon vor langer Zeit aus diesem Bereich rausgezogen, da es mir definitiv nicht gutgetan hat und meine mentale Gesundheit und mein Body-Image eher schädigte. Aber ich muss sagen, ich persönlich habe nie direkt negative Erfahrungen mit einzelnen Menschen gemacht. Kolleginnen, die aber tiefer in der Model-Branche drin sind – vor allem in anderen Ländern –, haben auf jeden Fall Dinge berichtet, vor allem was Übergriffe von Fotografen oder despektierliche Behandlung von Stylisten und so weiter angeht. Es passiert auf jeden Fall immer noch viel.

Denkst Du, dass sich Diversität immer mehr durchsetzen wird und verschiedene Modeltypen – zum Beispiel besondere Typen, Plus-Size-Models und Best-Ager-Models– in großen Kampagnen und auf den großen Laufstegen zur Normalität werden? Wie erlebst Du das?
Ich würde gerne sagen, dass sich dieser Trend durchgesetzt hat und nun normal ist. Dennoch bin ich leider der Meinung, dass dieser komplett am Ziel vorbeigeschossen ist. Als Plus-Size Trend wurde, haben plötzlich alle großen Marken für zwei Saisons überdurchschnittlich große Frauen auf den Laufsteg und in die Magazine gebracht, nur um wieder mal ein unrealistisches Bild einer Frau zu zeigen, das genauso ungesund ist wie die viel zu dünnen Ladys. Das soll kein Bodyshaming sein. Im Gegenteil. Ich finde, wir sollten zelebrieren, was vor allem auch in der Mitte dieser beiden Extreme stattfindet. Und zwar 90 Prozent der Frauen dieser Welt, die eben weder so dünn noch so übergewichtig sind. Nach diesen zwei Saisons hat man ja auch gesehen, dass der Trend wieder gegangen und nur noch wenig zu sehen ist. Ich finde aber, um es mal positiv zu sehen: In Deutschland haben sich schon einige Agenturen in die Richtung „mid-size“ gewandelt. Dies wollen auch immer mehr Kunden, und das finde ich gut.
Durch soziale Medien ist ein neuer, stärkerer Druck nach Selbstoptimierung entstanden. Die Schönheitsideale werden immer unrealistischer, viele sehen bei Instagram & Co. durch Filter anders aus als in Wirklichkeit, und sogar erste, am PC erschaffenen KI-Models feiern Erfolge. Wie stehst Du zu diesen Dingen?
Ich habe eine lange, persönliche Geschichte mit Selbstoptimierung und ich glaube, das alles hier darzulegen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Um es kurz zu fassen: Es gab eine Zeit, in der ich der Meinung war, Selbstoptimierung sei absolut wichtig und notwendig, um ein besserer Mensch zu sein. Dies hat sich mittlerweile aber grundlegend geändert. Zur Erklärung: Ich habe zum Beispiel in der Corona-Zeit meine mentale Gesundheit dadurch balanciert gehalten, dass ich eine sehr strikte Morgen-Routine hatte, bei der ich mir sehr viel Zeit für vermeintliche Self-Care genommen habe, die ich dann strikt zu befolgen hatte. Nur wenn ich diese absolviert hatte, habe ich mich gut genug gefühlt. In dem Moment war mir noch nicht klar, wie toxisch die Realität dahinter ist, hinter dem „That-girl“-Trend … Mittlerweile halte ich eine gesunde Distanz zwischen mir und allem, was Media-Selbstoptimierung nahekommt. Ich finde Longevity super spannend und mache selbst viele Dinge, die einen gesunden Lifestyle fördern wie zum Beispiel Eisbaden, Öl ziehen, Zucker reduzieren, sehr viel Kraftsport, meditieren, in die Natur gehen … Aber ich tue diese Dinge eben nicht aus einem Selbstoptimierungs- oder optischen Grund wie damals, sondern weil mir diese Dinge wirklich aus tiefstem Herzen Spaß machen und ich mich gut fühle.
Mir ist natürlich auch klar geworden, was für eine riesige, kapitalistische Maschinerie hinter dem ganzen Thema Selbstoptimierung steckt. Das System möchte uns verkaufen, dass wir selbst für unser absolutes Glück verantwortlich sind, indem wir unterschiedliche Produkte kaufen oder Kurse machen oder Bücher lesen, anstatt uns auch auf die sozialen Missstände zu fokussieren, die durch den Kapitalismus entstehen – zum Beispiel eine alleinerziehende Frau aus sozial niedrigeren Verhältnissen kann es sich nicht leisten, eine vierstündige Morgenroutine mit Matcha, Meditieren und Yoga zu machen.
Was waren für Dich die Highlights in Deiner Karriere?
Es gab eine Zeit, in der ich dachte, dass das Hoch meiner Karriere schon gekommen sei. In dieser Zeit bin ich 70-mal im Jahr gereist und war nie länger als fünf Tage an einem Ort war, während ich mit Jetlag kämpfte, reiste zwischen New York und Tokio und war auf ein paar Magazinen zu sehen. Mittlerweile ist mir klar, dass das Hoch erst noch bevorsteht. Damals hat mich das viel gelehrt und ich hatte unglaublichen Spaß, aber es war auch viel Ego. Jeder Moment, in dem ich an den wichtigen Themen arbeite und diese in die Welt tragen kann, ist für mich jetzt ein Highlight!
Ich erinnere mich aber noch an bestimmte Situationen wie Festivals mit den Elevator Boys, meine erste L’Oréal-Party in Paris, die ich nachts mit einem jungen Schauspieler auf seiner roten Ducati-Maschine für unser erstes von vielen Dates verließ, Drinks mit Hailey Bieber auf dem Coachella oder Afterpartys mit Mesut Özil in seiner Suite im „Waldorf Astoria“. Das waren definitiv spaßige Zeiten.
Was hat es mit deinem Unternehmen „Dinner Convos“ auf sich?

Dinner Convos begann als Eventreihe, bei der ich mit Personen der Öffentlichkeit und Creators in kleinen, intimen Runden über tiefgehende Themen spreche. Ich arbeite jetzt seit acht Jahren mit Social Media und mich hat immer der Gedanke umgetrieben, dass diese Plattform so viel Potenzial hat und dennoch nicht für die wichtigen Dinge genutzt wird. Ich habe selbst sehr lange unter dem gelitten und möchte nun einen Bruch in der Oberfläche kreieren. Ich strebe danach, einen Safe Space zu schaffen, in dem wir uns über bedeutende Themen austauschen, emotionale Erfahrungen teilen und dann eben ein Sprachrohr für die Gesellschaft werden. Dies alles geschieht gemeinsam mit zehn bis zwölf Personen der Öffentlichkeit/Creators bei unseren intimen Dinner-Events, bei denen ich sowohl alle meine Gäste einzeln sowie eine Expertin über das bestimmte Thema des Abends interviewe, was im Nachhinein über alle möglichen Social-Media-Kanäle geteilt wird wie unsere Instagram-, TikTok-, Youtube-Accounts und die der anderen Gäste.
Wir vermarkten keinen Gegenstand, sondern das Gefühl von Community, Zusammenhalt, unterstützt und gehört zu werden. Im Gegensatz zu der einseitigen Creator-Dynamik, bei welcher die Zuschauerinnen und Zuschauer eher konsumieren, öffnen wir einen Diskurs, in dem schonungslos alle Perspektiven dargestellt werden. Denn jeder Mensch auf der Welt hat ganz individuelle Sichtweisen und Erfahrungswerte.
Dinner Convos ist mehr als nur ein Influencer-Event. Es ist eine Plattform, die tiefgründige Gespräche zu Themen wie unter anderem Frauengesundheit, Mental Health, Ernährung und Female Empowerment fördert.
Was steht als Nächstes bei Dir an, was planst Du für die Zukunft?
Aktuell bin ich sehr mit der Planung von Dinner Convos 2025 beschäftigt. Die Reihe findet alle zwei Monate mit unterschiedlichen Themen, Partnern und Experten statt. Daher gibt es da sehr viel, woran man immer feilen muss und darf! Darüber hinaus plane ich die Gründung meines Media-Unternehmens, bei dem ich danach strebe, auf unterschiedliche Weise Frauen zu stärken und ihnen eine Stimme zu geben. Unterschiedliche Moderationen, Shows und Panel-Talks stehen auch auf der Agenda, das bauen wir demnächst alles aus. Ich ziehe jetzt auch endlich in meine eigene Wohnung– das ist für mich auf jeden Fall auch ein Meilenstein, der unerwartet schnell und glücklich kam.