Bei seiner Verpflichtung haben viele die Stirn gerunzelt. Ein Eishockeyspieler aus Großbritannien? Doch Liam Kirk entpuppt sich als Verstärkung für die Eisbären Berlin.
Jiri Dopita hatte in seiner Karriere viele gute Tage. Der 21. Februar 1998 war so einer, als der heute 56-Jährige sich mit der tschechischen Nationalmannschaft zum Eishockey-Olympiasieger kürte. Oder der 13. Mai 2001, als er zum dritten Mal Weltmeister wurde. Einen Titel oder eine Goldmedaille gewann der Stürmer zwar am 12. November 1994 nicht, aber dennoch zählt auch dieser Tag zu den Meisterstücken des Tschechen. Im Trikot der Eisbären Berlin gelangen ihm beim 9:3 im Spiel gegen die Augsburg Panther sechs Tore – Rekord in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Allein viermal netzte Dopita im ersten Drittel ein. 30 Jahre später trat ein Eisbär in seine Fußstapfen – zumindest ein wenig. Erstmals seit Dopita damals traf wieder ein Berliner Eishockeyprofi viermal in einem Spiel: Liam Kirk. Der Angreifer konnte seine Gala-Vorstellung beim 7:3 gegen die Schwenninger Wild Wings im letzten Heimspiel des Jahres selbst kaum fassen.
„Es war mein erster Hattrick“
„Es war mein erster Hattrick im Profibereich und somit auch das erste Mal, dass ich vier Tore in einem Spiel erzielt habe“, sagte der Brite über sich selbst erstaunt: „Der Puck wird einen besonderen Platz zu Hause bekommen.“ Die Fans feierten den Matchwinner mit einem eigens umgedichteten Text nach der Melodie des berühmten Opus-Songs „Live Is Life“: „Liam Kirk, lalalalala“. Der Besungene wollte allerdings nicht so viel Wind um seinen Viererpack machen. „Ich freue mich, dass ich meiner Mannschaft helfen konnte, die Partie zu gewinnen“, sagte Kirk genauso mannschaftsdienlich, wie er sonst auf dem Eis agiert. Auch wegen dieser Bescheidenheit und Einstellung hält Eisbären-Trainer Serge Aubin große Stücke auf Kirk, der sich endlich für seine harte Arbeit mit dem belohnt, was für Stürmer am wichtigsten sind: Tore. „Ich freue mich für Liam Kirk“, sagte Aubin: „Und es ist sehr gut, dass sich Liam für seine guten Leistungen belohnt.“
Seit dem Spiel gegen Schwenningen scheint beim Sommer-Neuzugang endlich der Knoten geplatzt zu sein. Es folgten fünf weitere Spiele, bei denen er sich in die Scorerliste eintragen konnte. Beim 2:3 nach Verlängerung bei der Düsseldorfer EG riss jedoch die Erfolgsserie. Kirk blieb erstmals seit längerer Zeit wieder ohne Scorer-Punkt. Doch der Trend geht bei ihm ohne Zweifel nach oben. Spektakulär war auch sein Dreierpack beim 9:3 bei den Adler Mannheim. Beim höchsten Eisbären-Sieg gegen die Adler in der DEL-Geschichte war Kirk zudem mit zwei Assists und insgesamt fünf Scorer-Punkten der Mann des Abends. Beim 3:2 gegen Iserlohn beschenkte sich Kirk mit einem Treffer an seinem 25. Geburtstag sogar selbst. Das Tor zum 1:2-Anschluss im Nachsetzen war die Initialzündung für eine am Ende erfolgreiche Aufholjagd nach einem 0:2-Rückstand. „Ich versuche einfach, so viel für die Offensive zu tun, wie ich kann“, sagt Kirk. Immer öfter gehen entscheidende Aktionen von ihm aus, was die Verantwortlichen beim deutschen Rekordmeister freudig stimmt. Denn zwischenzeitlich hatten nicht wenige Experten und Fans schon daran gezweifelt, dass der junge Linksschütze in der DEL tatsächlich groß rauskommt.

Schon sein Start in Berlin wurde mit Skepsis begleitet. Zwar war Kirk aus der tschechischen Extraliga vom HC Litvinov nach Berlin gewechselt, doch seine ersten Schritte im Profi-Eishockey hatte er in seiner Heimat Großbritannien gemacht. „Natürlich gibt es zum britischen Hockey erst einmal Vorurteile“, zeigte Kirk Verständnis. Dass diese längst überholt sind, beweisen auch die guten Auftritte der britischen Nationalmannschaft, der Kirk auch angehört. Mit dem Team hat er bereits drei große Turniere gespielt und reichlich internationale Erfahrung gesammelt. Talent hatte er schon viel früher bewiesen. Sein Debüt in der höchsten britischen Liga gab er bereits mit 16 Jahren, was auch von den Scouts aus Nordamerika nicht unbemerkt blieb. Kirk wechselte 2018 als Teenager in die Nachwuchsliga OHL, im selben Jahr sicherten sich die Arizona Coyotes im NHL Draft die Rechte an dem schnellen und spielintelligenten Angreifer. Gezogen wurde er zwar „nur“ an Position 189, dennoch schrieb er damit britische Eishockey-Geschichte. Nie zuvor war ein in England geborener und ausgebildeter Spieler von einem NHL-Team gedraftet. Später erkämpfte sich Kirk auch einen NHL-Einstiegsvertrag bei den Coyotes, doch der Durchbruch in der stärksten Eishockey-Liga der Welt blieb ihm verwehrt. Den NHL-Traum hat er deswegen aber längst noch nicht aufgegeben.
Konstant gute Leistungen könnten ihn noch mal in den Fokus der NHL-Planer rücken, schließlich ist er mit nun 25 Jahren noch durchaus entwicklungsfähig. Und dass die Eisbären mit den Los Angeles Kings eine enge Kooperation pflegen, gar den gleichen Eigner haben und die Wege zwischen beiden Clubs kurz sind, weiß Kirk natürlich auch. „Hier sind oft Leute aus L.A., sie reden viel miteinander“, sagte er: „Das hat für mich eine große Rolle gespielt beim Wechsel.“
Harte Arbeit an sich selbst
Auf seine Karriere ist der Mann aus Maltby bei Sheffield schon jetzt stolz – und das nicht nur aus persönlichen Gründen. „Das ist mehr etwas für junge Spieler in England. Sie können sehen, dass es eine Chance gibt, wenn sie hart arbeiten und die richtigen Leute um sich haben, auch gedraftet zu werden“, sagte Kirk weitsichtig. In Berlin arbeitet er hart daran, seine Schwächen wie die Defensivarbeit abzustellen und seine Stärken auszubauen. „Das ist ein Grund, warum ich gekommen bin“, sagt Kirk. Im Fitnessbereich hat der eher schmächtig wirkende Profi noch Nachholbedarf. Dass bei den Eisbären in Danny Mawer ein Fitnesstrainer angestellt ist, den Kirk seit 13 Jahren kennt, ist dabei natürlich von Vorteil. „Das ist schon verrückt“, meinte Kirk. Die Eisbären sind jedenfalls froh, den Spieler mit der Rückennummer 94 verpflichtet und mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet zu haben. Er gibt dem Kader mit seiner manchmal unkonventionellen Spielweise eine neue Facette. „Er ist ein Torjäger, ein offensiv sehr schlauer Spieler“, lobte Sportdirektor Stéphane Richer. Ausschlaggebend für die Verpflichtung sei auch die Vielseitigkeit gewesen: „Er kann sowohl auf dem Flügel als auch auf der Centerposition spielen.“
Auch dank der Topform von Kirk führte die böse 1:6-Heimschlappe gegen Tabellenführer ERC Ingolstadt zwei Tage vor Heiligabend zu keinem Einbruch – im Gegenteil. Es folgten fünf Siege in Folge, erst durch das 3:5 bei den Kölner Haien riss diese Serie. „Im Laufe einer Saison gibt es immer Höhen und Tiefen“, sagte Trainer Serge Aubin. „Es liegt jetzt an mir, den richtigen Knopf zu drücken.“ Er hat ganz offensichtlich diesen Knopf gefunden. Die klare Niederlage gegen den vermeintlich größten Titelkonkurrenten aus Ingolstadt öffnete jedem Berliner noch mal die Augen, dass ohne hundertprozentigen Einsatz gegen die Topteams nichts zu holen ist. Auch offensiv war es viel zu harmlos, was die Eisbären gegen Ingolstadt zustande gebracht hatten. Erst mit dem 26. Schuss gelang ihnen das einzige Tor zum 1:3. Der Torschütze? Natürlich Liam Kirk.