Leroy Sané könnte mit seinem Potenzial ein absoluter Weltstar sein. An guten Tagen spielt er auch überragend. Doch er zeigt diese Leistung nicht konstant.

Es ist sowohl unter Kommentatoren und Experten als auch unter Fans eines der meist bemühten Urteile: „Der spielt mal Weltklasse und mal Kreisklasse.“ Leroy Sané ist jemand, über den dieses Urteil schon mehr als einmal gefällt wurde. Wie ein Fußballer aus der Kreisklasse spielt der Nationalspieler natürlich selbst an schlechten Tagen nicht. Die Weltklasse, die zweifellos in ihm steckt, zeigt er aber viel zu selten. Und deshalb steht der Offensivspieler des FC Bayern München an einem Wendepunkt seiner Karriere. Wieder mal und immer noch. Denn der inzwischen 29 Jahre alte Sané hat seine Extraklasse schon oft zelebriert, manchmal auch über Wochen. Aber er hat auch immer wieder Phasen, in denen ihm wenig bis gar nichts gelingt, in denen er zaudert oder hadert und nur ein Schatten seiner selbst ist.
Mit 29 Jahren noch nicht auf dem Zenit

Die Fähigkeit zum Profi-Sport wurde Leroy Sané schon in die Wiege gelegt. Seine Mutter Regina Weber hat ihm Beweglichkeit und koordinative Fähigkeiten vererbt. Sie wurde in der Rhythmischen Sportgymnastik 32-mal deutsche Meisterin und war durch Silber bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles bis zum Gold-Coup von Darja Varfolomeev in Paris die einzige deutsche Olympia-Medaillengewinnerin. Das fußballerische Talent gab ihm sein Vater Souleyman Sané mit, der für die Nationalmannschaft Senegals stürmte und dann in Freiburg, Nürnberg und Wattenscheid zu einem Publikumsliebling in der Bundesliga wurde. Den Akzent auf dem „e“ – der Name wird „Sanee“ ausgesprochen – ignorierte man damals in Deutschland übrigens beharrlich. Sané senior war allen Fußball-Fans nur unter dem Namen „Sammy Sahne“ bekannt. Was sich manchen offenbar so einbrannte, dass auch sein einstiger Freiburger Sturmpartner Joachim Löw zu seinen Zeiten als Bundestrainer immer noch von „Leroy Sahne“ sprach.
Dass dieser sich „Sanee“ ausspricht, ist längst allen geläufig. Und Leroy, der seinen Vornamen angeblich dem Nationaltrainer seines Vaters Claude Le Roy verdankt, hat aus seinem vererbten Potenzial durchaus eine Menge gemacht. Sein älterer Bruder Kim und sein jüngerer Bruder Sidi sind auch im Fußball gelandet, aber längst nicht so erfolgreich. Kim hat es nie über die Regionalliga hinaus geschafft. Der erst 21 Jahre alte Sidi kam beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig im Vorjahr zehnmal zum Einsatz, in dieser Saison wegen eines im Sommer erlittenen Kreuzbandrisses noch gar nicht.
Abseits des Platzes eher still

Leroy hat also aus den genetischen Anlagen mit Abstand am meisten gemacht. Und dennoch verfolgt ihn seit Jahren beharrlich die Kritik, er mache viel zu wenig aus seinem Talent. Nachdem er mit 18 zu seinem Bundesliga-Debüt für den FC Schalke 04 gekommen war, schoss sich Sané am 10. März 2015 mit einem fußballerischen Urknall auf die internationale Bühne. Im Achtelfinale der Champions League hatten die Schalker das Hinspiel gegen Real Madrid zum Megastar Cristiano Ronaldo zu Hause mit 0:2 verloren und schienen schon ausgeschieden. Im Rückspiel kam Sané nach 28 Minuten beim Stand von 1:1 für den verletzten Eric Maxim Choupo-Moting ins Spiel. Die Partie nahm einen halbwegs normalen Verlauf, Real führte nach 53 Minuten durch zwei Treffer von Ronaldo und einen von Karim Benzema mit 3:2. Dann erzielte Sané plötzlich das 3:3 und leitete das 3:4 durch Klaas-Jan Huntelaar ein. Sané und Weltmeister Benedikt Höwedes hatten dann sogar das 3:5 auf dem Fuß, dass Schalke sensationell weitergebracht hätte. Doch auch so ist es ein Spiel, von dem sie in Gelsenkirchen bis heute und wohl noch in 50 Jahren schwärmen. Und Sané war danach in aller Munde. Den Schwung nahm der gebürtige Essener mit, spielte eine starke Saison 2015/16, wurde Nationalspieler und war bei der EM 2016 dabei. Direkt danach wurde Sané mit einer Ablöse von 50 Millionen Euro im Alter von nur 20 Jahren zum bis dahin teuersten deutschen Spieler. Investiert hatte sie niemand Geringerer als Pep Guardiola als Teammanager von Manchester City. Der baute den Youngster weiter gut auf. Nach 20 Startelf-Einsätzen in der ersten Saison folgte eine überragende zweite. Die Citizens wurden Meister, Sané war an 33 Pflichtspiel-Treffern direkt beteiligt und wurde zum besten jungen Spieler der Premier League gewählt. Sein Marktwert wurde damals, mit 22 Jahren, auf rund 100 Millionen Euro taxiert. Doch für die WM in Russland nominierte Löw ihn überraschend nicht. „Bei der Nationalmannschaft war er bisher noch nicht so ganz angekommen“, sagte der Bundestrainer, nachdem er den Sohn seines alten Sturmpartners aus dem vorläufigen Aufgebot gestrichen hatte: „Vielleicht schießt er nicht so schnell in die Höhe, wie manche denken.“

Nicht nur Löw stieß sich daran, dass der abseits des Platzes oft stille und zurückhaltende Sané auch eine gewisse Extravaganz an den Tag legte. Diese gipfelte darin, dass er sich 2017 ein Tattoo von sich selbst in Jubelpose über den gesamten Rücken stechen ließ. Vier Jahre später sagte er im „Spiegel“ selbst dazu: „Heute würde ich mich anders entscheiden. Ich war jemand, der vor allem in jungen Jahren erst einmal gegen die Wand laufen musste, auch wenn es wehtat, um daraus zu lernen.“ Ins DFB-Trainingslager 2018 kam er plötzlich mit Rasta-Löckchen, auch so etwas missfiel Löw. Mehr noch dann die Leistung im Testspiel gegen Österreich, als Sané, der eigentlich seine große Chance nutzen sollte, leichtfertig Bälle verlor und nicht entschlossen nachsetzte. Und schon ein Jahr vorher soll der Bundestrainer sich geärgert haben, dass Sané, den er als Anführer der jungen Garde vorgesehen hatte, lieber eine aufgeschobene Nasen-Operation durchführen ließ als zum Confed-Cup 2017 mitzufahren.
Hainer lässt Sané unerwähnt

Wie Löw störte sich auch Guardiola dem Vernehmen nach vermehrt an solchen Dingen. Und vor allem an der oft so lässig wirkenden Körpersprache Sanés oder an seiner Defensivarbeit. Ilkay Gündogan, Teamkollege in Manchester wie bei der Nationalmannschaft und ein Vorbild an Professionalität, erklärte öffentlich, der junge Kollege sei jemand, „der manchmal einen Tritt in den Allerwertesten braucht“. Ein Jahr später war Sanés Kurs gefallen, der FC Bayern München witterte seine Chance und wollte ihn für den offensiven Flügel als Nachfolger von Arjen Robben oder Franck Ribéry. Doch in der Vorbereitung erlitt er einen Kreuzbandriss. Ein Jahr später kam er doch, für 50 Millionen Euro. Und auch Löw sprach nun von „einer Attraktion für die Bundesliga“.
In den nun fünf Jahren für die Bayern hat Sané immer wieder überragende Spiele abgeliefert. In 194 Pflichtspielen war er an 104 Treffern direkt beteiligt, er gewann sieben Titel. Doch es gab zu viele Schwankungen. Auch in der Nationalmannschaft ist Sané mit inzwischen 67 Länderspielen immer irgendwie dabei, aber selten richtig präsent. Im Winter 2024 stufte das Fachmagazin „kicker“ ihn erstmals in der „Weltklasse“ ein. Im Sommer darauf und nun im Winter fehlte er jeweils komplett. So viel zum Klischee „mal Weltklasse, mal Kreisklasse“.
In München läuft sein Vertrag in diesem Sommer aus. Dass die Bayern offenbar erwägen, Sané ablösefrei gehen zu lassen, liegt auch, aber bei Weitem nicht nur an seinem sehr hohen Gehalt von angeblich 20 Millionen Euro. Symptomatisch schien die Rede von Präsident Herbert Hainer auf der Jahreshauptversammlung im Dezember. Er erwähnte Joshua Kimmich, Alphonso Davies und Jamal Musiala, mit denen allesamt über neue Verträge verhandelt wird, als Spieler, die „Leitplanken für die nächsten Generationen setzen“ sollen. Sané erwähnte er nicht. Auf Nachfrage erklärte er vielsagend: „Ich will heute nicht über jeden einzelnen Spieler sprechen. Ich habe diese drei angesprochen, weil ich der Meinung bin, dass sie prägende Gesichter des FC Bayern werden können oder schon sind.“ Sané also nicht?

Und auch die Experten äußerten sich skeptisch. Sky-Experte Dietmar Hamann sagte gewohnt offen: „Für mich gibt es an der Stelle der Bayern keinen Grund, den Vertrag mit Sané zu verlängern. Es hat in den bisherigen fünf Jahren nicht gepasst. Warum sollte es also plötzlich funktionieren? Vielleicht ist er potenziell der beste deutsche Spieler, aber er zeigt es einfach zu selten.“ Rekordnationalspieler Lothar Matthäus schrieb in seiner Sky-Kolumne, auf den offensiven Außenbahnen brauche München im Sommer „junges, frisches Blut“. Ein Jahr vorher, am Ende einer überragenden Hinrunde, hatte Matthäus Sané noch als einen Spieler bezeichnet, „der alles mitbringt, um auch mal bei einer Weltfußballerwahl oben dabei zu sein“.
So ist das eben mit der potenziellen Weltklasse. Man muss sie auch zeigen. Dauerhaft. Einen Markt gibt es wohl weiter für Sané. Auch in England. Aber egal, wo er ab Sommer spielt, das Entscheidende bei ihm wird nicht das Potenzial sein. Sondern die Konstanz.