Die Leichtathletik in Deutschland siecht seit vielen Jahren dahin. Erfolge werden immer seltener. Der frühere Olympiateilnehmer Claus Dethloff will das verkrustete System mit einem Lizenzmodell reformieren.
Die Krise der deutschen Leichtathletik ist selbst mit größtem Wohlwollen nicht zu leugnen. Auswertungen der Medaillenausbeute von Aktiven des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in den vergangenen Jahrzehnten bei Olympia und Weltmeisterschaften machen das längst von vielen als strukturelle Misere wahrgenommene Siechtum nur allzu deutlich.

Schlugen bei Sommerspielen für Deutschland 1992 noch zehn Podestplätze zu Buche, bedeuteten zuletzt 32 Jahre später in Paris vier Plaketten nicht einmal mehr die Hälfte. Ein ähnlicher Trend ist bei WM-Veranstaltungen zu beobachten: 1993 beim Heimspiel in Stuttgart holten deutsche Teilnehmer acht Medaillen, vor zwei Jahren in Budapest stellte eine blamable Nullnummer den absoluten Tiefpunkt des DLV in der immerhin auch schon 40-jährigen Historie der Titelkämpfe dar.
Im Kampf um Perspektiven für die deutsche Leichtathletik hat der frühere Hammerwerfer Claus Dethloff mit dem Aufbau eines Gegenentwurfes zu den ergebnisarmen Zukunftskonzepten der verkrusteten und beinahe schon hoffnungslos überfordert wirkenden Verbände begonnen. Seit mehreren Jahren schon sorgt der zweimalige Olympia-Teilnehmer mit dem Franchise-Modell „Germany Athletics“ für Aufsehen in der Szene.
In Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Ostwestfalen-Lippe bestehen entsprechende Filialen mit einem völlig veränderten Förderansatz. 2026 sollen in München und Leipzig weitere Clubs unter das gemeinsame Athletics-Dach schlüpfen, ähnliche Pläne existieren auch für Berlin und Hamburg.
„Wir sind leistungsorientiert. Wir wollen für Topathleten und Toptrainer bessere Rahmenbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass wir auch zukünftig Topathleten haben“, beschrieb Dethloff zuletzt in mehreren Interviews die grundlegende Motivation seines Engagements.
„Die letzten 20 Jahre wurden verschlafen“
Seine tiefgehende Analyse der komplexen Problematik führte den Unternehmer zu einem klaren Ergebnis und ebenso deutlichen Schlussfolgerungen: „Um bei Olympia 2028 und vor allem 2032 in Brisbane konkurrenzfähig zu sein, müssen wir mehr Talente von außerhalb gewinnen und entwickeln. Das Ziel muss also sein, in acht bis zehn Jahren Athleten international dabei zu haben, die heute noch gar nicht daran denken.“
Dafür haben Dethloff und seine Mitstreiter ein Vier-Säulen-Modell entwickelt. Im nicht organisierten Kinder- und Jugendsport sollen „die Weltmeister und Olympiateilnehmer von morgen“ (Dethloff) ebenso gesucht und gefunden werden wie durch eine Schulsport-Offensive. Als entscheidende Faktoren für die Entwicklung von Potenzialen sind dezentralisierte Trainingseinheiten einerseits und die Bildung eines Pools von hochqualifizierten und geografisch flexibel einsetzbaren Trainern andererseits in die Strategie eingebettet.
Das Gesamtkonzept will Dethloff ausdrücklich als Antwort auf die erfolglosen Bemühungen von Verbandsseite in den vergangenen Jahren verstanden wissen. Bei seiner Kritik nimmt der 56-Jährige jedenfalls kein Blatt vor den Mund. „Die Leichtathletik hat die letzten 20 Jahre verschlafen, und die Ist-Situation scheint schlimmer als ursprünglich gedacht. Wir haben im existierenden System keine wirksame Qualitätskontrolle und sehen einen Rückgang in der Qualität des Sportmanagements und -betriebs sowie das Sterben von Vereinen in der Peripherie“, rechnete der deutsche Ex-Meister mit den etablierten Funktionären ab.

Als eine weitere wichtige Ursache für den Niedergang stuft Dethloff den eklatanten Mangel an zugkräftigen Veranstaltungen von Spitzenformat und mit internationalem Flair ein. Tatsächlich nimmt eine breite Öffentlichkeit die Leichtathletik gerade noch im jährlichen Wechsel bei Welt- und Europameisterschaften sowie alle vier Jahre bei Olympia-Wettbewerben wahr. Schon das seit einiger Zeit als „Familientreffen“ geltende Wochenende der Deutschen Meisterschaften spielt in der schrillen und schnelllebigen Medienwelt und damit auch in der Gesellschaft keine nennenswerte Rolle mehr.
Entsprechend sieht Dethloff Handlungsbedarf, „damit wir nicht in zehn Jahren wirklich da sind, worauf wir eigentlich zusteuern: eine Bedeutung der Leichtathletik, die mit Crossfit und Parkour vergleichbar ist“. Anders als bei den Sommerspielen in Paris mit einer „wunderschönen, einzigartigen und brillant mit einem DJ inszenierten Veranstaltung“ seien „in Deutschland angebotene Leichtathletik-Wettkämpfe nicht attraktiv. Es gibt viel verschenkte Zeit, Wettkämpfe sind für Zuschauer langweilig und undurchsichtig. Selbst Foul und Abseits im Fußball sind einfacher. Es fehlt ein Eventcharakter, das Präsentationsformat ist einfach nicht ansprechend“, lautet sein ernüchterter Befund.
„Die Leichtathletik muss sich besser vermarkten, sich von innen nach außen präsentieren und einfach sichtbarer werden, aber es fehlt in der deutschen Leichtathletik an Ideen und Mut, mal etwas Neues zu machen.“
Dadurch, bilanziert Dethloff, könnten Nachwuchsathleten auch kaum noch Anreize empfinden und Ehrgeiz entwickeln. „Es gibt keine Persönlichkeiten, dabei sind Protagonisten sehr wichtig. Wir brauchen Vorbilder. Es fehlt nicht nur an einem Anker, sondern auch an Angeboten und Präsenz. Es mangelt an Energie, aber ohne Motor kann kein Auto fahren“, erklärt der gebürtige Lübecker.
„Von Jahr zu Jahr mehr Förderer“

Abhilfe soll seinen Vorstellungen zufolge ein für die deutsche Leichtathletik innovatives Wettkampf-System schaffen. „Wir können doch ändern, dass die Leichtathletik nur einmal im Jahr im Rampenlicht steht. Wir müssen die Frequenz und die Präsenz erhöhen. Warum nicht eine deutsche Leichtathletik-Liga nach Vorbild der Amerikaner?“, fragt Dethloff etwas provokant, aber bereits mit Plänen für genau ein solches Projekt im Hinterkopf. „Das Format mit mehreren Wettkampftagen müsste Elemente attraktiver Ballsportarten bieten. Pro Wettkampftag wird jeweils eine Disziplin aus unterschiedlichen Disziplinblöcken ausgetragen, die Veranstaltung mit einer bestimmten Anzahl von Mannschaften und immer auch Topstars dauert nicht länger als zweieinhalb Stunden, und immer danach gibt es eine neue Tabelle.“ Als Clou hofft Dethloff auf signifikant steigende Zuschauerzahlen. „Wettbewerbe in angepasst handhabbaren Zeitintervallen, die ein Streaming-Dienstleister professionell aufbereitet, wären von Vorteil für unsere fantastische Sportart. Wenn das alles richtig vermarktet und präsentiert wird, kann diese Liga auch für mehr Zufluss von Geldern in die Leichtathletik sorgen“, sagt Dethloff, der Inhaber einer Kölner Ratingagentur ist, seinen Business-Plan.
Für sein Projekt hat Dethloff inzwischen einige Prominenz gewinnen können. Die Hochspringer Tobias Potye und Imke Onnen und Sprint-Ass Yannik Wolf schlossen sich bereits vor einiger Zeit an verschiedenen Standorten der Athletics-Gruppe an. seit Jahresbeginn gehören auch der frühere Stabhochsprung-Vizeeuropameister Bo Kanda Lita Baehre sowie der Weltklasse-Marathonläufer Hendrik Pfeiffer „zur Familie“.
So sehr glaubt Dethloff an seine Vision, dass der Wirtschaftspsychologe die Anfänge zunächst von „Cologne Athletics“ und später „Germany Athletics“ mit einem „sechsstelligen Betrag“ aus eigener Tasche finanzierte. Inzwischen steuern nach Angaben des Franchise-Gründers auch „Investoren und frühere Weggefährten aus der Wirtschaft, die das Ganze als unterstützungswürdig befinden,“ Mittel zur „Leichtathletik-Revolution von unten“ bei.
An Rückhalt dürfte es Dethloff nicht mangeln, und deshalb ist er auch überzeugt davon, dass seine Idee gar nicht scheitern kann: „Wir haben von Jahr zu Jahr mehr Förderer.“