Lutz Trabalskis offizieller Titel ist „Leiter Kundenservice bei Lotto Berlin“. Als solcher berät er frischgebackene Millionäre. Im Interview spricht er über das Problem mit dem deutschen Neid, warum ein Gewinn einsam machen kann und über die Gefahr der vorschnellen Kündigung des Arbeitsplatzes.

Herr Trabalski, ist ein Lottogewinnberater also gar nicht der Mann mit dem Geldkoffer?
Früher gab es hier noch eine Kasse mit Panzerglas, und man konnte sich bis zu 5.000 Mark in bar auszahlen lassen. Ich verstehe den Wunsch des Gewinners nach Bargeld. Damit ist das Gewinnerlebnis ein anderes. Deshalb bekommt man in Berlin bis zu 500 Euro ausbezahlt an der Annahmestelle. Größere Summen in bar auszuzahlen, verbietet mir auch das Geldwäschegesetz. Auch wenn Sie als Spieler höhere Summen in der Lotto-Stelle einsetzen, müssen sie eine Erklärung unterschreiben gemäß dem Geldwäschegesetz.
Wann hatten Sie Ihren letzten Lottogewinner vor sich sitzen?
Wir haben auch Gewinnerinnen (lacht). Aber es sind tatsächlich in der Vielzahl Männer, da Männer öfter Lotto spielen. Mein letzter Gewinner saß vor etwa vier Wochen hier und er gewann knapp 1,4 Millionen Euro. Im Jahr habe ich circa acht bis zwölf Gewinnerinnen und Gewinner, die im Bereich von Lotto Berlin einen Millionengewinn erzielt haben.
Wie läuft ein Lottogewinnerberatungsgespräch ab?
Am Anfang frage ich immer: „Wie haben Sie von Ihrem Gewinn erfahren?“ und „Wie geht es Ihnen jetzt?“. Dann überprüfe ich die Spielquittung. Ist alles korrekt, bekommt er von uns eine Gewinnbescheinigung – falls das Finanzamt fragt, woher plötzlich das viele Geld kommt. Formal ist meine wichtigste Information: Lottogewinne sind hierzulande steuerfrei. Und wir leiten die Überweisung ein. Von einer Überweisung aufs Girokonto raten wir ab.
Warum?
Erst kürzlich hatte ich eine Gewinnerin, die direkt nach dem Girokonto-Eingang des Gewinns von der Bank angerufen wurde. Und ein Anlageberater bot seine Hilfe an. Das fand die Frau verständlicherweise überhaupt nicht gut. Wir empfehlen ein Tagesgeldkonto. Da gibt es Zinsen, dann kann man das Geld dann erst einmal parken, und der Entscheidungsdruck ist weg.
Was ist ihr wichtigster Rat?
Diskretion zu bewahren und sich gut zu überlegen, wem sie vom Gewinn erzählen.
Das steht dem Wunsch entgegen, sein Lottoglück teilen zu wollen. Wie löst man als Gewinner diesen Konflikt?
Meiner Erfahrung nach ist Deutschland ein Land mit einem sehr großen Neidfaktor. Da ist es egal, ob jemand sich was erarbeitet hat oder wie eben beim Lotto einfach Glück hatte. Bis zu einer gewissen Grenze gönnt man, dann wird es schwierig. Ich werde niemanden zum Lügen verleiten, aber man sollte sich eine „Legende“ zurechtlegen, wie ich das nenne. Den Gewinn zugeben, aber nicht die Höhe. Ein paar hunderttausend Euro gönnt man jedem. Dann kann ich auch den plötzlichen Reichtum erklären – ohne dass es nach hinten losgeht.
Gibt es viele Gewinner, die sofort ihren Job kündigen wollen?
Ich warne davor, gleich alles zu kappen. Ja, wenn sie schon immer ihrem Chef Ade sagen wollten, dann tun sie es in Gottes Namen. Aber bedenken sie: Wir haben sehr viele soziale Kontakte über unsere Arbeit – Kündigung ist auch Entwurzelung. Wie strukturieren Sie dann Ihren Tag? Klar, wenn Sie hier rausgehen, haben Sie einige Sorgen weniger. Aber Sie haben dafür andere und müssen überlegen: Wie kriege ich mein Leben jetzt hin mit dem vielen Geld? Die meisten wollen ihr Leben nur etwas pimpen. Im Prinzip soll alles so bleiben, wie es ist. Denn es kommen natürlich nicht alle Unglücklichen dieser Welt zu mir ins Büro.

Trotzdem: Das Geld bringt Unruhe, und die Gewinnrealisierung erregt emotionale Aufgewühltheit beim Gewinner. Werden Sie dann auch gelegentlich zum Psychologen?
Ich hol’ hier nicht den Sekt raus. Das Büro ist bewusst nüchtern und sachlich eingerichtet. Vielleicht ist es diese Atmosphäre, vielleicht auch meine Art. Ich bin völlig neutral. Ich höre zu. Ich erfahre dann oft in kurzer Zeit sehr viel von den Menschen. Von familiären Problemen, Krankheiten oder Schicksalsschlägen. Eine Gewinnerin kam rein und sagte: „Wissen Sie, Herr Trabalski, das ist das erste Mal im Leben, dass ich richtig Glück hatte.“ Wenn ich daran denke, kriege ich jetzt noch Gänsehaut: Dann erzählt sie vom tragischen Tod ihrer kleinen Tochter, die beim Herumturnen auf der Teppichklopfstange, die in eine Mauer einbetoniert war, von der einstürzenden Mauer erschlagen wurde. Die Mutter hat vom Küchenfenster alles mitansehen müssen.
Bei Beratungsende haben Sie ein kleines Ritual? Was ist das?
Am Ende frage ich immer: Was machen Sie jetzt als Nächstes? Da rate ich dann, dass die Gewinner sich jetzt was gönnen. Schön essen gehen, sich etwas Langersehntes kaufen. Ich will, dass die Gewinner dieses einschneidende Erlebnis positiv besetzen. Bei der Frau, die zum ersten Mal Glück in ihrem Leben hatte, kam dann die Antwort, sie kaufe sich jetzt Serrano-Schinken. Verpackte Wurst, die sie bisher immer aus Geldknappheit kaufen musste, werde sie nie wieder essen.
Der kluge Umgang mit Geld ist nicht jedem in die Wiege gelegt. Stichwort „finanzielles Analphabetentum“. Gibt es auch Gewinner, die da überfordert sind?
Einzelne, ja. Mir geht es dann durch den Kopf: Mann, den kannst du jetzt so hier nicht rausschicken! Um zu helfen, fühle ich dann mal – ohne Namen zu nennen – bei der Hausbank des Gewinners vor, welche Beratungsmöglichkeiten es gibt. Aber: Finanzberatung mache ich nicht und darf es auch nicht. Da gibt es klare Regeln. Keiner soll denken, dass ich Provisionen von Brokern bekäme oder ähnliches. Ich sage den Gewinnern immer: Reden Sie zuerst mit ihrer Hausbank. Die kennen ihre Lebenssituation. Wenn die sich dort Zeit nehmen und zuhören, dann ist das ein gutes Zeichen. Wenn es aber gleich heißt „Ich hab da was für Sie“ – dann ist Obacht geboten. Ich rate tatsächlich, sich auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen.
Bei anderen löst das viele Geld auch soziale Ängste aus. Was haben Sie da erlebt?
Ich hatte mal eine Gewinnerin, die erschrak: Wenn Sie mir das jetzt so sagen, mit der Diskretion und dass ich nichts über den Gewinn erzählen soll – da werde ich ja einsam. Niemand kann mich besuchen kommen, denn niemand darf sehen, dass ich jetzt einen neuen Fernseher und ein teures Auto habe. Ein älterer Gewinner, der regelmäßig zur Volkssolidarität (Anm. d. Red.: Die Volkssolidarität ist ein vorwiegend in Ostdeutschland tätiger Sozial- und Wohlfahrtsverband) zum Kartenspielen ging, hatte Angst, dass er da jetzt als reicher Mann nicht mehr hingehen darf.
Die Zahl der Lottospieler ging in den letzten Jahren weiter zurück. Hat Lotto noch Zukunft?
Lotto ist nicht mehr so spannend wie früher. Ich selbst bin ein Lottokind. Ich durfte nach Rudi Carrell und „Am laufenden Band“ länger aufbleiben für die Lottoziehung. Ich sage nur: Karin Tietze-Ludwig. Ich bin mit Lotto aufgewachsen und arbeite hier bei Lotto-Berlin seit fast 40 Jahren. Heute haben wir im Fernsehen nur noch „Präsentationen“, wie wir das nennen, keine Ziehung, nämlich nach der Sportschau, vor der Tagesschau. Lotto-Stammspieler mit Spielgemeinschaften, die sich in der Kneipe oder am Arbeitsplatz gebildet haben, gibt es heute kaum noch. Das liegt auch an der Reizüberflutung.

Auch schwindelerregende Summen von 120 Millionen bei Eurojackpot oder 50 Millionen bei Lotto 6 aus 49 sind keine Anreize?
Der 120-Millionen-Gewinn, den es im November 2022 in Berlin gab, wird nicht mehr nach oben gehen. Genauso wenig wie der Maximalgewinn von 50 Millionen bei 6 aus 49, denn beide Gewinnsummen sind gedeckelt vom Glücksspielstaatsvertrag, der in Deutschland das Glücksspiel regelt. Wir haben grundsätzlich festgestellt, dass bei kleineren Jackpots die Spielerzahlen zurückgehen. Heute sind die Lottospieler eher impulsgesteuert, und dann machen große Gewinnsummen Lotto attraktiver.
Spielen Sie selbst Lotto? Trotz der schlechten Gewinnchancen auf den Hauptgewinn beim Einzeltipp von rund 1:140 Millionen?
Ja, ich spiele aus Überzeugung. Ich sehe es als eine Eintrittskarte ins Traumkino. Dieser Gedanke ist aber geklaut. Als wir noch die Auszahlungskasse im Haus hatten, vor vielleicht 15 Jahren, kam ein berühmter Schauspieler, der Lottospieler und heute ein Weltstar ist. Da ging ich mit ihm die Treppe runter, und er sagte: „Das Schöne am Lottospielen ist doch nicht der Gewinn an sich, sondern die Vorfreude darauf.“ Ich finde, dieser Satz hat ins Schwarze getroffen.