Lisa Ortgies moderiert seit über 20 Jahren „Frau tv“. Auch als Autorin und Podcasterin befasst sie sich mit der Lebenswirklichkeit von Frauen. „Heißer Scheiß“ ist ihr neuestes Buch.
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, die Wohnung eingerichtet oder ein Haus gebaut. Im Job läuft’s soweit oder auch nicht. Was kann da mit Mitte oder Ende 50 noch kommen? Journalistin und Moderatorin Lisa Ortgies widmet sich diesen Fragen aus Frauensicht. Was nicht verwundert, denn seit über 20 Jahren ist sie das bekannte Fernsehgesicht des TV-Magazins „Frau tv“ (WDR). Ihr Resümee nach 58 Lebensjahren: „Mit 30 wusste ich, was ich will, mit 40 wusste ich, was ich kann und mit 50 weiß ich, wer ich bin!“
Die Rushhour des Lebens habe sie überlebt und Tiefschläge hinter sich gelassen. Nie sei sie lebendiger und klarer gewesen als heute, so die sympathische Gesprächspartnerin. „Doch warum schleicht sich bei uns Frauen jenseits der 50 trotzdem oft diese große Verzagtheit ein“, fragt Ortgies. In ihrem neuen Buch „Heißer Scheiß: Liebe, Wut und Leben für Fortgeschrittene“ (Knaur) nähert sich die Wahl-Hamburgerin dem Thema wortgewandt, witzig und, da wo es passt, mit Expertenrat. Ansonsten setzt sie in der erfrischenden Lektüre vor allem ihren gesunden Menschenverstand ein.
„Heißer Scheiß“ sei jedoch keineswegs ein Nachschlagewerk zu den Wechseljahren. „Denn die Menopause ist nur ein weiteres von vielen Hindernissen, die Frauen biologisch oder gesellschaftlich in den Weg gelegt werden“, sagt Lisa Ortgies. Ob Männer, Schönheitsindustrie, Modebranche – alle hätten eine Vorstellung davon, wie frau „Ü 50“ zu sein hat, was frau tragen und wie sie sich verhalten sollte, beklagt die Feministin.
Mit Ende 50 sei sie noch längst nicht quitt mit gewissen Themen und Gesellschaftsstrukturen. Sei es der Sexismus, der ihr sowohl im Job als Flugbegleiterin als auch in der Medienbranche begegnete oder „die strategische Inkompetenz der Männer, wenn es um Hausarbeit und Kindererziehung geht“. Um Emotionsarbeit und Wäscheberge sollten sich zukünftig doch andere kümmern, findet die Frau, die sich in „Heißer Scheiß“ offenbar viel Frust und Wut von der Seele schreibt. Ortgies kritisiert unter anderem auch gesellschaftliche Fehlentwicklungen, wie eine Zwei-Klassen-Medizin, die allen schadet. Etwa bei Vorsorgeleistungen, die von Krankenkassen nicht mehr übernommen werden, die sich frau leisten kann oder auch nicht.

Die Autorin beschreibt finanzielle Abhängigkeiten in der Ehe, aber auch das „weibliche Patriachat“, das geschiedene Frauen plötzlich wieder zu Konkurrentinnen macht. Das seien alles Dinge, die sich in den letzten 40 Jahren längst zum Positiven hätten verändern können. Doch nur wenig sei passiert. Im Buch geht’s auch um Beziehungen, die enden, um Neuanfänge nach Trennungen sowie um Frauen, die sich nach einer Scheidung plötzlich neu kennenlernen. Lisa Ortgies: „Dann kommt für viele genau der Moment, die Person zu sein, die sie schon immer sein wollten.“
„Ich schließe gar nichts aus“
Die gebürtige Niedersächsin schreibt überraschend offen über ihre eigene Vita, Beziehungsdramen inklusive: „Anhand meines Lebenslaufs wollte ich erklären, warum Scham so eine Art Voreinstellung bei Frauen ist. Das beginnt mit körperlichen Veränderungen in der Pubertät.“ Auch danach könnten Mütter in den Augen ihres Umfelds oft nichts richtig machen – arbeiten oder stillen? Minimalinvasiv verjüngen oder verstecken? Apropos: Frauen verschwenden viel Zeit auf die Optimierung ihrer Optik, um einem von der Männerwelt festgelegten Idealbild zu entsprechen, so die Buchautorin. Am Ende stehe ein Verlust an Lebensqualität und Lebenszeit. „Ich möchte Frauen ermuntern, ihre Energie in das eigene Potenzial zu investieren.“
Zu Ostdeutschland habe sie einen besonderen Bezug, denn hier las sie schon oft aus ihren Büchern. Als das Gespräch auf Brandenburg kommt, fällt Lisa Ortgies gleich Regine Hildebrandt (1941 – 2001) ein, die charismatische Ex-Sozialministerin Brandenburgs. Einer ihrer markigen Sprüche: „Mit den Arschlöchern von der CDU koaliere ich nicht“, erinnert sich die Journalistin. Auch im Buch geht die Schreiberin auf Politikerinnen ein, die Klartext reden sowie Wut und Ärger formulieren. „Regine Hildebrandt war da ein Vorbild, in ihrer Klarheit und mit kämpferischen Ansagen.“
Apropos Politik: Da hätte Lisa Ortgies noch eine Frage: „Warum sind neun von zehn Bürgermeistern männlich? Hier könnten wir Frauen direkten Einfluss auf unsere Lebensumstände nehmen. Und es gibt wahnsinnig viele Frauen, die den Job tausendmal besser machen würden als, sorry, manche der Schnarchnasen, die diese Ämter besetzen.“ Könnte sie sich denn selber vorstellen, in die Politik zu gehen? „Ich hab noch mindestens 30 Jahre vor mir und schließe jetzt erst mal gar nichts aus.“
Für ihr erfolgreiches Fernsehformat „Frau tv“ würde sie sich übrigens gern eine Weiterentwicklung wünschen – in Richtung Frauen-Talkshow mit Quotenmann, mit einem Pool an Kolleginnen, die nicht nur über Beziehungen und Familie, sondern auch über gesellschaftspolitische Fragen und globale Themen diskutieren, sagt Ortgies.
Ist sie mal in Berlin, besucht sie am liebsten den Prenzlauer Berg und Charlottenburg, wie sie mitteilt. Ansonsten versucht Lisa Ortgies, nie zweimal am selben Ort zu sein. „Reisen sind für mich Entdeckungstouren. Vergangenen Sommer habe ich mir Bilbao angeschaut: Ich wollte schon immer ins Guggenheim-Museum und habe dort zwei Tage verbracht. Fantastisch! Und die Küste ist grün und fast leer. Das war ein Highlight“, schwärmt die Mutter zweier Kinder.
Ob sich wirklich alle Frauen der Generation Ü 50 in „Heißer Scheiß“ wiederfinden, ist nicht ganz klar. Beispiel Ostdeutschland: Hier war frau in vielen Fragen emanzipierter und gleichberechtigter als im Buch beschrieben. Schon allein, weil im Osten die Arbeitskraft der Frau dringend benötigt wurde, stand sie viel seltener zu Hause am Herd als im Westen. Was auch Auswirkung auf Familien- und Beziehungsmodelle hatte. „ER auf Arbeit – SIE daheim“ war schon in der Ex-DDR nicht die Regel.
Bestsellerautorin Lisa Ortgies möchte eigenen Angaben nach auch zukünftig über Gleichstellung und Vielfalt, über das Älterwerden und Neuanfänge schreiben. Zuletzt erschien ihr viel beachtetes Buch „Ich möchte gern in Würde altern, aber doch nicht jetzt“. In ihren Podcasts „Paarschnitt“ und „Von Müttern und Töchtern“ geht es um Familie, Beziehung sowie um den Dialog zwischen den Generationen.