In „Babygirl“ beginnt eine Geschäftsfrau eine bizarre Beziehung mit ihrem Praktikanten. Nicole Kidman präsentiert eine zwiespältige und faszinierende Performance.

Die Australierin Nicole Kidman ist seit gut drei Jahrzehnten eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen Hollywoods. „Tage des Donners“, „Batman Forever“ und ein Oscar als „Beste Schauspielerin“ für „The Hours“ sind ihre größten Verdienste im Kino.
Die 57-Jährige lässt sich immer wieder auf ungewöhnliche Projekte und Rollen ein, sodass sie in jüngster Zeit auch im Fernsehen präsent ist, etwa in „The Ondoing“, „Nine Perfect Strangers“ und aktuell in „Ein neuer Sommer“.
In ihrem neuen Film „Babygirl“ übertrifft Nicole Kidman alle Darstellungen, die sie bislang geliefert hat. Romy ist Geschäftsführerin in einer Firma für Robotertechnik und organisiert die seelenlose Sortierung hunderttausender Pakete. Auf dem Weg zur Arbeit beobachtet sie, wie ein junger Mann einen ausgebüxten Hund mit einer klaren Ansage und einem Keks dazu bringt, ihm zu gehorchen. In Romy wachsen durch diese Geste starke sexuelle Gefühle, die außer Kontrolle geraten, als der junge Mann namens Samuel als neuer Praktikant in ihrer Firma anheuert. Samuel spürt, dass Romy von ihm fasziniert ist. Distanzlos seiner Chefin gegenüber tastet er ab, ob er auf der richtigen Spur ist. Möchte Romy vielleicht auch einen Keks? Er setzt sich selbstbewusst über alle Regeln hinweg, fordert Romys kühle Dominanz heraus und entfacht unterdrückte Leidenschaften in ihr.
Bei der Uraufführung des Films bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig im August 2024 verblüffte Nicole Kidman die Jury, die ihr den Preis als „Beste Darstellerin“ verlieh. Ein Kino-Comeback für Kidman, die in den vergangenen Jahren auch in einigen erfolglosen Produktionen spielte. Als Mutter von „Aquaman“ ist sie eine Fehlbesetzung, in „Grace von Monaco“ bekam sie schlechte Kritiken. Aber ihre lange Karriere zeigt, dass sie eine Kämpferin ist, die sich als sexuell unterwürfige Romy für eine Oscar-Nominierung anbietet.
Kidmans Rolle ist in ihrer Radikalität wohl einzigartig in der jüngeren Kinogeschichte. Nach ihrem Treffen im Büro beginnen Romy und Samuel eine Affäre mit einem bizarren Rollenspiel. Samuel übernimmt die dominante Position, Romy erfüllt seine Wünsche mit wachsender Unterwerfung. Wie ein Schulmädchen muss sie in der Ecke stehen, auf allen Vieren trinkt sie wie ein Kätzchen ein paar Tropfen Milch aus einer Untertasse, sie entblößt sich und masturbiert vor den Augen des Mannes. Romy muss sich eingestehen, dass sie ihr Sexualleben mit ihrem Ehemann nie befriedigte und dass sie nun die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren droht. Auch ihre Position als Geschäftsführerin steht auf dem Spiel.
Selbst-Faszination und Abscheu zugleich
Nicole Kidman gibt sich ganz der Rolle als Romy hin – inklusive einiger Nacktszenen sowie als Patientin beim Schönheitschirurgen. Als er ihr Botox in Lippen und Stirn spritzt, ist das gleichzeitig ein augenzwinkernder Hinweis auf Kidmans eigene Sucht nach Schönheitsbehandlungen wie auch eine Kritik an den CEO-Etagen, in denen sich Frauen kein Fältchen leisten können oder dürfen. Die zwiespältige und überragende Performance von Nicole Kidman zeigt eine Frau, die sich selbst gegenüber Faszination und Abscheu zugleich empfindet.

Die Regisseurin Halina Reijn inszeniert ihre beiden Hauptfiguren nicht als romantisches Paar, sondern als zwei Menschen, die im Grunde nicht zueinander passen. Während Romy sich ihren SM-Fantasien hingibt, handelt Samuel kühl und distanzlos, als ob er seine unterwürfige Partnerin kaum wahrnimmt. Der 28-jährige Harris Dickinson – in Deutschland durch „Triangle of Sadness“ und „Blitz“ bekannt – verkörpert den Praktikanten Samuel bewusst mit kaum mehr als einem Gesichtsausdruck. Als Romys Ehemann Jacob bleibt Antonio Banderas lange Zeit im Hintergrund und hat erst spät einen aktiven Part in der Handlung. Er muss das Geständnis seiner Frau verkraften, dass sie niemals sexuelle Freude mit ihm empfunden hat.
„Babygirl“ ist in einigen Szenen verstörend, aber in jeder Minute faszinierend inszeniert. Nur auf das Einspielen der Musik von George Michael hätte verzichtet werden können. Kinobesucher verstehen sicher auch ohne „Father Figure“, dass sich Romy nach einer starken Hand sehnt.