Warum gute Vorsätze fürs neue Jahr grundsätzlich scheitern müssen
Alle Jahre wieder … fängt nicht nur ein neues Jahr an, sondern kommt mit ihm bei den meisten Menschen obligatorisch ein üppiger Strauß guter Vorsätze. Vom Rausch der spritzeligen Silvesternacht beseelt und von Böllerrauchschwaden benebelt, nimmt der Mensch sich dann allerlei fürs neue Jahr vor. Meist geht es um die Gesundheit oder um das soziale Leben, und immer geht es dabei entweder um das Unterlassen oder das Gegenteil davon: also endlich das zu tun, was man bisher immer wieder aufgeschoben, verdrängt, nicht getan hat.
Nachdem der Mensch das Rauchen schon ein Jahr zuvor erfolgreich eingestellt hat, heißt es jetzt die nächsten gut gemeinten Ratschlägen von Schwiegermutter und Ehefrau endlich zu befolgen. Etwa mehr Müsli essen und weniger vom heiß geliebten Lyoner zum Frühstück. Insgesamt weniger essen, aber auf jeden Fall mehr Gemüse. Weniger Alkohol trinken, weniger Auto fahren und mehr mit dem Fahrrad. Überhaupt mehr Sport, weniger Büroarbeit und vor allem weniger Smartphone. Mehr Zeit für die Familie und direkte Kommunikation und vieles mehr. Die Liste ließe sich fortspinnen, der Möglichkeiten gibt es viele, der guten Ratschläge der Eheliebsten noch mehr.
Vorsätze fassen ist einfach, Vorsätze umsetzen dagegen schwer. Wenn der Mensch seinen Seelenfrieden behalten will, sollte er vorsichtig mit der Selbstoptimierung durch das Fassen guter Vorsätze sein – Schwiegermutter hin, Chef oder Ehefrau her. Zudem muss er ununterbrochen gegen seinen inneren Schweinhund ankämpfen und die Dinge tun, die er bislang tunlichst vermieden hat. Sein innerer Seelenfrieden ist dahin, das schlechte Gewissen lauert immer und überall.
Zum anderen ist die Beweislast erdrückend. Kaum hat der Mensch den Fehler gemacht, seine guten Vorsätze und Schritte in ein neues Leben in Neujahrshochstimmung seiner Umgebung laut und vernehmlich kundzutun, schon unterliegt er ständigen und scharfen Kontrollen bei deren Umsetzung. Das familiäre, befreundete, womöglich gar das berufliche Umfeld: Alle scheinen – aus reiner Fürsorgepflicht natürlich – streng mit Argusaugen darauf zu achten, dass dieser Prozess zum besseren Karma auch tatsächlich stattfindet. Und vor allem natürlich auf Dauer angelegt ist und nicht das Schicksal einer Eintagsfliege teilt.
Auch wenn der Mensch vorsorglich seine guten Vorsätze für sich behält, nützt das wenig. Denn jetzt muss er täglich mit sich selber ins Gericht gehen und sich abmühen mit Zielen, die er doch nicht erreicht. So wie jedem Anfang ein Zauber innewohnt, so sind gute Vorsätze meist zum Scheitern verurteilt. Alte Gewohnheiten lassen sich eben nur schwer ablegen. Auch Marx und Lenin sind mit ihrem kommunistischen Leitbild vom neuen Menschen, der sich aus innerer Überzeugung selbst optimiert, bei der Umsetzung gescheitert. Selbst Mauern und Stacheldraht, mit denen die Parteigranden die Menschen beim Prozess der Selbstoptimierung gegenüber Störern von außen abschotten wollten, waren auf Dauer zum Scheitern verurteilt.
Gute Vorsätze sind grundsätzlich zum Scheitern verurteilt – und das ist gut so! Sage niemand, im Scheitern läge keine Kraft. Scheitern hat etwas Gutes. Nicht nur Pennäler, die ihr Wiederholungsjahr mit Bravour abgeschlossen haben, können davon ein Lied singen. Es entspricht der inneren Logik, dass einmal gefasste Vorsätze das Leben zwar verändern, aber nicht immer spannender und aufregender machen. Im Gegenteil. Vorsätze, die tatsächlich verwirklicht werden, machen das Leben nicht selten freudlos und langweilig. Der Mensch lebt dann vielleicht in den nächsten 8.760 Stunden bis zum nächsten neuen Jahr gesünder und quält sich in der Muckibude ab, aber was kommt dann in 20 Jahren? Lohnt das wirklich?
Trotz allem: Gute Vorsätze sollte man immer fassen, denn Scheitern muss nicht nur frustrieren, sondern der Mensch kann auch Spaß am Scheitern haben. So wie die jamaikanischen Bobfahrer mit ihren „Cool Runnings“ oder der tölpelhafte britische Skispringer mit dem Spitznamen „Eddy the Eagle“ bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary. Mut zum Scheitern ist auch eine Tugend!