EU und Südamerika wollen zusammenrücken, das Mercosur-Abkommen soll dafür die Weichen stellen. Auch gegen Widerstand. Landwirte fürchten unterschiedliche Standards.
In den Weiten der argentinischen Pampa herrschte Anfang Dezember vorgezogene Weihnachtsstimmung. Auf den saftig grünen Weiden der flachen Graslandschaft standen riesige Viehherden mit bisweilen 10.000 frei umherziehenden Black Angus und Hereford-Rindern. Ihre Besitzer, die Estancieros (Farmer), und ihre Hirten, die Gauchos, haben sich eine profitable Ära mit zollfreien Exporten auf dem lukrativen EU-Markt ausgemalt.
Die Freude galt dem Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Mercosur-Bündnis. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte es in Montevideo unterzeichnet. Dabei: Die Staatschefs von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Vorausgegangen waren 25 Jahre intensiver Verhandlungen.
Aus der Sicht argentinischer Rinderzüchter bietet die größte Warenaustauschzone der Welt bedeutende Vorteile. Bislang galten für den Zugang zum Fleischmarkt der 450 Millionen EU-Verbraucher hohe Einfuhrtarife. Brüssel wollte so die einheimische Landwirtschaft vor günstig gemästeter Ware schützen. Argentinien exportiert daher rund 75 Prozent seines gesamten Rindfleischexports nach China.
Nun gibt es die Chance, mehr von dem hochqualitativen Fleisch in die zahlungskräftige EU zu exportieren. Auch andere Produkte aus dem „Mercado Común del Sur“ werden wettbewerbsfähiger sein. Dazu gehören Getreide, Wein oder Erdgas sowie Biodiesel und Eisenerz, aber auch Flugzeuge des brasilianischen Herstellers Embraer.
Was den Gewinn südamerikanischer Agrarier und anderer Branchen steigert, hat aber einen Preis. So müssen die Exporteure genau festgelegte Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards einhalten. Das wird zusätzliche Kosten verursachen. Unklar ist zudem, ob die Idee des Freihandels überall in der politischen Landschaft weiteren Bestand hat. So hat der tatkräftig libertäre Präsident Argentiniens, Javier Milei, eine kritische Haltung gegenüber Mercosur. Sein brasilianischer sozialistischer Kollege Lula da Silva bemängelt klimapolitische Auflagen zum Urwaldschutz. Oliver Stuenkel, Professor an der Fundação Getulio Vargas in São Paulo, sagt dazu: „Das Bekenntnis zum Abkommen könnte variieren, je nach politischer Führung.“
Auch in Europa gibt es Skeptiker. Während die siechende deutsche Autoindustrie mit Jubel auf willkommene neue Absatzmärkte blickt, ist die Reaktion der Landwirtschaft verhalten bis ablehnend. Aus der Sicht eines deutschen Schlachtviehbauern gibt es eine Reihe von Herausforderungen. So könnte die Konkurrenz aus Übersee den Druck auf den angespannten heimischen Markt erhöhen. Besonders im Bereich der Premium-Rindfleischstücke – bislang sündhaft teuer – könnte günstige Konkurrenz zum Preisverfall führen, was die EU-Verbraucher allerdings freuen wird.

In den stark landwirtschaftlich geprägten Ländern Frankreich und Polen ist der Widerstand besonders stark. Die Regierungen in Paris und Warschau versuchen, das Freihandelsabkommen trotz Unterzeichnung doch noch zurückzudrehen. Es könne den Bauern „existenziell schaden,“ warnt Julien Denormandie. Er war mehrere Jahre lang französischer Landwirtschaftsminister.
Dabei können einige EU-Agrarbereiche den verbesserten Zugang zum Mercosur und seinen 260 Millionen Konsumenten gut gebrauchen. Das gilt für Produkte, die in Südamerika weniger verbreitet sind oder für die es Marktnischen gibt: hochwertige Milchprodukte mit geschützten Herkunftsbezeichnungen, beispielsweise Parmesan, Gouda, Roquefort, sowie Schokolade und Süßwaren, oder qualitativ erstklassige Gewürze, Kräuter und Würzen. „Dieses Abkommen öffnet Tür und Tor für EU-Unternehmen und bietet ihnen neue Exportmöglichkeiten,“ sagt der Ire Phil Hogan. Er war als EU-Handelskommissar der Chefverhandler des Paktes.
„EU muss wirtschaftlich diversifizieren“
Dennoch: Einige EU-Lobbyverbände ärgern sich über vereinbarte Sozial- und Arbeitsstandards. Die bessern die oft prekären südamerikanischen Verhältnisse auf, sind den Europäern aber zu niedrig. So fördere man ungleichen Wettbewerb, heißt es. „Wir könnten vor einer Abwärtsspirale in Bezug auf Arbeitsrechte stehen,“ warnt Sharan Burrow, langjährige Generalsekretärin der Internationalen Gewerkschaftsorganisation (ITUC).
Die Bedeutung des Freihandelsabkommens liegt aber auch in seinem geopolitischen Gewicht. In Zeiten zunehmender globaler Spannungen zwischen den Machtblöcken USA und China kann die EU in Mercosur ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit stärken. Die Schwedin Cecilia Malmström, einstige EU-Handelskommissarin, betont: „Die EU muss ihre wirtschaftlichen Beziehungen diversifizieren, um weniger abhängig von traditionellen Märkten zu sein.“
„Mercosur könnte ein entscheidender Partner für die EU im Kampf gegen den Klimawandel sein“, betont indessen von der Leyen. Sie meint damit den Zugang Europas zu Rohstoffen als Komponenten für Technologie der Energiewende. Es geht um kritische Grundstoffe: Lithium, Kobalt, Nickel, Kupfer und seltene Erden. Die braucht man für die Produktion umweltfreundlicher Technik, etwa Autobatterien, sowie in Solarzellen, Windkraftanlagen und anderen erneuerbaren Energiequellen. Diese Rohstoffe tragen zur strategischen Sicherheit Europas bei.
Als Juckepunkt gilt der sogenannte Ausgleichsmechanismus. Das ist ein spezielles Streitschlichtsystem für den Fall, dass sich eine Vertragspartei durch Maßnahmen der anderen benachteiligt fühlt. Besonders im Bereich des Waldschutzes und der CO2-Regelungen sind die Konsequenzen fraglich. Bei diesen Themen liegen die Vorstellungen oft grundsätzlich weit auseinander – ob zum Beispiel Sanktionen das richtige Mittel sind, zueinanderzukommen, ist strittig.
Obwohl das Abkommen nun politisch abgeschlossen worden ist, steht die tatsächliche Umsetzung noch aus. Die Freihandelszone entsteht erst, wenn das Europäische Parlament, der Rat der EU-Regierungen und die 27 nationalen EU-Parlamente zugestimmt haben. „Die Ratifizierung könnte ein Marathon werden“, befürchtet Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten (EVP) im Europäischen Parlament.
Das Mercosur-Freihandelsabkommen bündelt ein Paket zwischen wirtschaftlichen Interessen und sozialer sowie ökologischer Verantwortung. Nur wenn sich die argentinischen Rinderzüchter in der Pampa im Vorteil fühlen, wird die größte Freihandelszone der Welt florieren. Und auch die Bauern in europäischen Schlachtviehställen müssen Pluspunkte sehen. Viele glauben, dass das gelingen wird. So wie der Premierminister Spaniens, Pedro Sánchez: „Ich sehe eine Win-Win-Situation für beide Seiten.“