Das BAföG-System ist veraltet: Zu diesem Urteil kommt eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung. Die Zahl der Empfänger nimmt ab, politisch müsse umgesteuert werden. Dabei werden immer wieder Änderungen vorgenommen, auch in der Ampelkoalition.
Studieren? Gern. Aber wer soll das bezahlen? Mehr als zuvor setzen die meisten Studierenden vor allem auf das Geld der Familie oder einen Nebenjob. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Auswertung, die das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vorgenommen hat. Denn staatliche Instrumente der Studienfinanzierung werden in Deutschland weiterhin wenig in Anspruch genommen. Laut der CHE-Auswertung beziehen über 83 Prozent der Studierenden kein Geld aus staatlichen Angeboten wie BAföG, Stipendien oder Studienkrediten.
Bereits zum zweiten Mal stellt das CHE Nutzungszahlen aller staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten von Studierenden auf Bundes- und Länderebene zusammen. Quellen für die Zahlen sind unter anderem das statistische Bundesamt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie Selbstauskünfte der Anbieter auf Anfrage des CHE. Ihr Fazit: „Das wichtigste Finanzierungsangebot des Landes ist weiterhin nicht auf der Höhe der Zeit, es passt nicht mehr zur Lebensrealität der Studierenden“, urteilt Ulrich Müller, Leiter politische Analysen beim CHE. „Während sich die Hochschulwelt weiterentwickelt hat, sind die staatlichen Fördermittel stehen geblieben. Die finanzielle Absicherung von Studierenden hängt aktuell vor allem an der Unterstützung im familiären Umfeld und an ihrer Eigeninitiative, sprich der Möglichkeit, einem Nebenjob nachzugehen.“
Geld stammt von Eltern oder Nebenjobs
Große Unterschiede zeigen sich in den BAföG-Förderquoten auf Länderebene. Während in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern rund jeder fünfte Studierende BAföG erhält, sind es in anderen Bundesländern wie Hamburg, Saarland und Thüringen nur rund zehn Prozent. „Diese Unterschiede lassen sich nicht allein mit der Wirtschaftskraft der Länder erklären, die Gründe sind komplexer“, betont Müller. Die Spannbreite der Zahlen deuteten laut CHE auf Probleme bei der Bekanntheit und Akzeptanz hin, verstärkt durch unzureichende Transparenz und Kommunikation. „Seit Jahren sehen wir beim BAföG immensen Reformbedarf und geringe Abrufzahlen. Insbesondere der KfW-Studienkredit und der Bildungskredit gehen der Bedeutungslosigkeit entgegen. Es scheint, als hätten Studierende, Politikerinnen und Politiker stillschweigend akzeptiert, dass die Sicherung der Studienfinanzierung keine Aufgabe des Staates, sondern Privatsache der Studieninteressierten ist“, sagt Ulrich Müller.
Dabei hatte die Ampelkoalition hier bereits eingegriffen. Das 29. BAföG-Änderungsgesetz, das dritte in einer Legislaturperiode, wurde zum Wintersemester 2024/25 wirksam. Der Förderungshöchstbetrag beträgt seither 992 Euro. Neu hinzu kam eine Studienstarthilfe für Menschen aus einkommensschwachen Haushalten mit Sozialhilfebezug in Höhe von 1.000 Euro als Zuschuss. Da Vermögen, eigenes Einkommen sowie das Einkommen der Eltern und möglicher Ehepartner angerechnet werden, ist die eigentliche BAföG-Höhe immer individuell. Der Staat fordert später 50 Prozent dieser Förderung, maximal jedoch 10.010 Euro, zurück. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lag die Zahl der BAföG-Empfänger 2023 bundesweit bei 635.600 Menschen. Zum Vergleich: Im Wintersemester 2023 studierten insgesamt 2,86 Millionen Menschen in Deutschland. Zwar sind die Zahlen der BAföG-Empfänger wieder etwas gestiegen, jedoch nur in geringem Maße. Der Tiefststand war im Jahr 2020 bei 10,9 Prozent der Studierenden.

Neun von zehn Studierenden in Deutschland werden demnach durch ihre Eltern finanziell unterstützt, mehr als zwei Drittel arbeiten neben dem Studium. Familie und Nebenerwerb sind laut aktuellen Daten der Sozialerhebung die wichtigsten beiden Einnahmequellen im Studium. Die 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden zeigt: 34 Prozent von ihnen müssen mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen; sie leben in prekären Verhältnissen. Für die kommende Bundesregierung sieht CHE-Analyst Müller aufgrund der aktuell schwachen Abrufzahlen akuten Handlungsbedarf: Zum einen solle die BAföG-Förderung zeitgemäß werden und sich an der aktuellen Lebensrealität von Studierenden orientieren. Außerdem sollten staatliche Förderungen zu einem umfassenden und in sich flexiblen System gebündelt werden. Als dritten und wichtigsten Aspekt sollte Studierenden Orientierung und Erwartungssicherheit in Finanzierungsfragen geboten werden, so das CHE. Wichtig auch: die weitere Digitalisierung. Anträge können online gestellt werden – alle weiteren Schritte, die BAföG-Akte, der BAföG-Bescheid, die Kommunikation mit den Studierenden, all das läuft weiterhin in Papierform ab. Ausdrucken, abstempeln, abheften.
Nullrunden bis zur Ampelkoalition
Auch das Studierendenwerk, das in Deutschland Unterstützung rund um Wohnen, Verpflegung, Kinderbetreuung oder Studienfinanzierungen anbietet, kritisiert die derzeitige Ausgestaltung des BAföGs. „Wir brauchen beim BAföG dringend Standards, wie sie bei anderen staatlichen Leistungen wie den Renten oder dem Bürgergeld etabliert sind“, sagt Stefan Grob, Pressesprecher des Studierendenwerkes. „An erster Stelle ist das eine automatische, regelmäßige Anpassung des BAföGs an die Entwicklung von Preisen, Inflation und Einkommen – so, wie es eben bei den anderen Leistungen üblich ist.“ Hier existiert jedoch kein Automatismus wie etwa ein Inflationsausgleich. Im Gegenteil. „Die Erfahrung der beiden vergangenen Jahrzehnte lehrt uns leider, dass das BAföG je nach Kassenlage oder politischer Gemengelage oft über Jahre nicht erhöht wird. Es vergehen oft viel zu viele Jahre mit BAföG-Nullrunden, oder dann werden die BAföG-Erhöhungen von der Inflation gleich wieder aufgefressen.“
Kürzlich erst hatten Studierende bereits bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt – ohne Erfolg. Dabei ging es um die Höhe des BAföGs, dies sei zu niedrig, hieß es in der Klage. Tatsächlich liegt sogar der neue Höchstsatz von 992 Euro unter dem Existenzminimum, das bei knapp über 1.000 Euro pro Monat liegt; die sogenannte Düsseldorfer Tabelle, die den Kindesunterhalt regelt, geht von 521 Euro Grundbedarf für Essen, Trinken und Hygiene aus, das BAföG nur von 475 Euro. Zur Begründung ihres Urteils hieß es seitens der Richter: Aus dem vom Grundgesetz abgeleiteten Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums könne kein Recht für mittellose Hochschulzugangsberechtigte auf staatliche Leistungen hergeleitet werden, die ein Studium ermöglichen. Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen bestehe nicht, wenn man eine existenzsichernde Arbeit aufnehmen könne – auch wenn dann unter Umständen Studieren unmöglich werde.
Der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, Kai Gehring (Grüne), verteidigte die Reformen der Ampel. Die Regierung habe das größte Plus aller Zeiten für das BAföG beschlossen und eine dringende Trendwende eingeleitet. „Alle Reformstufen dieser Koalition zusammengenommen wurden die Bedarfssätze um rund elf Prozent erhöht, die Wohnkostenpauschale um fast 17 und die Freibeträge um ganze 27 Prozent“, sagte Gehring – räumte aber ein: Unerlässlich und überfällig sei ein regelmäßiger Erhöhungsmechanismus, wie er bei anderen Leistungen mit Rechtsanspruch längst üblich sei. „Von 100 Kindern aus Akademiker-Familien studieren 78, von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Background sind es aber nur 25“, sagt Stefan Grob vom Studierendenwerk. „Die Grundidee des BAföGs ist weiterhin hochaktuell: ein Hochschulstudium auch all jenen zu ermöglichen, die von zu Hause nicht die Mittel mitbringen. Wir brauchen ein starkes, modernes BAföG. Weil wir dringend kluge Köpfe aus allen Schichten unserer Gesellschaft brauchen.“ Noch immer steht die finanzielle Chancengleichheit beim Studieren in den Sternen.