Die Eisbären Berlin müssen nach dem Tod von Tobias Eder irgendwie zurück zur Normalität finden. Im ersten Spiel gelingt das – auch wenn vieles anders war als sonst.
Bei Tobias Eders letztem öffentlichen Auftritt schien der Eishockeyprofi noch auf dem Weg der Besserung zu sein. „Mir geht es den Umständen entsprechend gut, bin in Therapie – das läuft alles“, sagte der Nationalspieler als Experte des Senders MagentaSport. „Super, das freut uns“, erwiderte der Moderator. „Jedenfalls sehen Sie richtig gut aus.“ Und das stimmte. Eder, bei dem im vergangenen Sommer in der Saisonvorbereitung bei einer sportmedizinischen Untersuchung ein bösartiger Tumor diagnostiziert worden war, wirkte alles andere als todkrank. Er stand aufrecht, hatte eine gesunde Hautfarbe und analysierte das CHL-Viertelfinale der Eisbären Berlin gegen die ZSC Lions aus der Schweiz Anfang Dezember profund. „Wir haben ihn ja vor Kurzem noch gesehen, dann nahm alles die falsche Richtung. Wir waren einfach zerstört“, berichtete Eisbären-Trainer Serge Aubin.
Innerhalb kurzer Zeit verschlechterte sich Eders Zustand rapide, woraufhin die Eisbären Berlin das Ligaspiel beim ERC Ingolstadt auf den 26. Februar verschoben. Am 29. Januar gaben die Eisbären dann die traurige Nachricht bekannt: „Tobias Eder ist im Alter von 26 Jahren verstorben.“ Seitdem haben sich Mitspieler, Trainer, Betreuer und alle im Umfeld des deutschen Rekordmeisters von dem Schock noch nicht erholt. „Nach wie vor sind wir alle in Schockstarre, wohlwissend, dass wir weitermachen müssen“, schrieb der Club auf seiner Internetseite. „Es ist so unfair und schlichtweg traurig. Tobi wird eine Lücke hinterlassen, als Sportler, aber vor allem als Mensch.“ Der Club offerierte den Profis professionelle psychologische Hilfe. Wie schwer der Schritt zurück zur Normalität ist, zeigte das erste Spiel nach dem Tod des Stürmers. Der 2:1-Sieg zu Hause gegen die Nürnberg Ice Tigers stand ganz im Zeichen des Gedenkens.
Die Fans ehrten den Verstorbenen schon vor der Arena am Ostbahnhof, indem sie Kerzen, Blumen und Schals an einer Gedenkstätte ablegten und dort innehielten. In der Halle trugen sich viele in ein Kondolenzbuch ein, das Eders Familie übergeben werden sollte. Das sonst so pompöse Vorprogramm mit Feuerwerk und lauter Musik entfiel. Auf dem riesigen Videowürfel wurde stattdessen ein Film gezeigt, in dem Tobias Eder in verschiedenen Situationen seines Lebens zu sehen war. In der Schweigeminute vor dem ersten Bully war die Trauer unter den 14.200 Zuschauern besonders spürbar. Als diese beendet war, schrien die Fans den Namen des verstorbenen Profis laut ins Rund. Die Spieler kämpften fortan auf dem Eis für einen Sieg zu Ehren ihres Teamkollegen, alle trugen dabei dessen Nummer 22 auf Trikot und Helm. Und als Ty Ronning nur wenige Sekunden nach Spielbeginn das 1:0 für die Eisbären erzielte, erklang nicht etwa die traditionelle Tor-Hymne der Berliner, sondern Eders Lieblingssong „Viva la Vida“ von der Band Coldplay.

Coach Aubin hatte schon vor dem ersten Bully gewusst, dass dieser Tag „eine der härtesten Erfahrungen in unserem Leben“ sein werde. „Ich weiß nicht, was für Emotionen wir haben werden oder wie gut wir spielen können.“ Sportlich war die Rückkehr auf dem Eis erfolgreich, die Eisbären festigten Tabellenplatz zwei. Doch die emotionalen Narben sind dadurch längst noch nicht verheilt. „Es berührt jeden, was passiert ist“, bekräftige Aubin: „Wir sind traurig und verletzt.“ Es gebe Dinge im Leben, schrieb Angreifer Blaine Byron auf Instagram, „für die du keine Worte hast oder kein Verständnis, warum sie passiert sind“. Für ihn fühle es sich „wie ein schlechter Traum“ an, schrieb der Kanadier. „Ich werde einen Freund vermissen, mit dem ich über die Höhen und Tiefen des Lebens sprechen konnte.“
„Lustige, schöne und besondere Momente“
Beliebt war Eder nicht nur im Team, sondern auch in der Geschäftsstelle des Clubs – nicht nur, weil er gelegentlich frische Zimtschnecken für die Mitarbeiter mitbrachte. „Tobi gehörte zu den Personen, die klar ihre Meinung mitteilten. Von konstruktiver Kritik über sarkastische Seitenhiebe bis zu wahrer Begeisterung war alles dabei“, ließ der Club verlauten. „Und wenn der Ton dann doch mal zu scharf wurde, war er sich für eine ernst gemeinte Entschuldigung nicht zu fein. Er hat die Dinge nicht einfach nur hingenommen, sondern hinterfragt und eigene Ideen eingebracht.“ Gegen Nürnberg liefen die Eisbären-Profis nach Eders Tod wieder in einem Pflichtspiel auf, nachdem auch das Heimspiel gegen die Düsseldorfer EG auf den 12. Februar verschoben worden war.
Aus der ganzen Liga gab es Beileidsbekundungen für die Eisbären und natürlich die Familie. Bei Eders Ex-Club Düsseldorfer EG ehrten die Fans den Mittelstürmer beim Heimspiel gegen die Schwenninger Wild Wings mit einem Banner und dem Schriftzug „Mach et joot, Tobi“. Außerdem hing hinter der Bank das Trikot mit der Nummer 20 des früheren Düsseldorfers, der von 2019 bis 2023 an der Brehmstraße auf Torejagd ging, ehe er vor anderthalb Jahren nach Berlin wechselte. Auch der EHC Red Bull München, bei dem Eder seine DEL-Karriere startete, äußerte tiefe Trauer: „Danke für alles, Tobi. Wir werden dich nie vergessen.“ Die Deutsche Eishockey Liga hielt vor den Spielen in allen Stadien eine Gedenkminute ab.
Der Deutsche Eishockey-Bund reagierte „fassungslos und schockiert“ auf die erschütternde Nachricht. „Wir erinnern uns an die vielen lustigen, schönen und besonderen Momente, die wir mit Tobi erleben durften und verabschieden uns in großer Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit“, schrieb der DEB in einer Mitteilung. Eder hatte erst im Mai vergangenen Jahres im Spiel gegen die Slowakei seine WM-Premiere gefeiert und dabei gleich ein Tor geschossen. Beflügelt von der Erfüllung des großen Traums, einmal auf der Weltbühne des Eishockeys das deutsche Trikot tragen zu dürfen, und das auch noch als frisch gekürter Deutscher Meister mit den Eisbären, hatte Eder damals gesagt: „Der April und Mai hätten definitiv schlechter laufen können. Das ist etwas, worauf ich mein ganzes Leben lang hingearbeitet habe.“ Doch nur wenige Wochen später gab es die Schock-Diagnose bei der sportmedizinischen Untersuchung, bei der ein bösartiger Tumor festgestellt wurde. Der DEB griff in seiner Abschiedsmitteilung Eders Worte von damals noch mal auf: „Wir lassen heute genau diese Worte, die uns gleichermaßen nachdenklich und unsagbar traurig stimmen, verhallen und gehen in Stille in uns.“
Klar ist, dass es Zeit braucht, um das Erlebte und die Trauer zu verarbeiten. „Wir versuchen, uns jetzt langsam wieder aufzubauen“, sagte Aubin. Dass das schneller und besser vonstatten geht, wenn die Trauer gemeinsam zugelassen und überwunden wird, scheint allen bewusst. „So einen Zusammenhalt, so ein Füreinander-da-sein, gerade auch in den Familien, habe ich noch nicht erlebt“, berichtete Geschäftsführer Thomas Bothstede. Tobias Eder hätte dieser Zusammenhalt sehr gefallen, der Bayer war ein ausgesprochener Familienmensch. Er wollte selbst seine eigene Familie gründen, im vergangenen Sommer verlobte er sich mit Freundin Ina. „Es ist wichtig, einen solchen Rückhalt zu haben, und Ina ist ein ganz großer“, hatte der Eishockeyprofi einmal über seine Verlobte gesagt. Jetzt braucht sie einen starken Rückhalt, genau wie Eders Familie und auch die Eisbären-Familie.