Vor zehn Jahren wurde der Mindestlohn flächendeckend in Deutschland als revolutionäres Lohninstrument eingeführt. Heute ist er Standard. Gestritten wird auch im Wahlkampf über die angemessene Höhe.
Großes Hallo unter den Kollegen beim DGB-Kongress zum zehnten Jahrestag der Einführung des Mindestlohns in der Gewerkschaftszentrale, schräg gegenüber vom KaDeWe, direkt in der City-West Berlins. Es dominieren bei dem Zusammentreffen ältere Herren, längst in Rente, wie Peter Witt aus Berlin-Wedding. Der 68-Jährige ist Gewerkschafter seit Beginn seiner Ausbildung, die er damals beim öffentlichen Dienst mit gerade mal 16 Jahren antrat. Kaum hat er das Foyer der DGB-Zentrale betreten, ist er auch schon umringt von den alten Mitstreitern aus den Zeiten seiner aktiven Gewerkschaftsarbeit.
Nach dem erfolgreichen Kampf für die Einführung der 40-Stunden-Woche ging es für die damals jungen Gewerkschaftsmitglieder noch lange nicht um die Einführung des Mindestlohns. Gerade die 80er-Jahre waren durch die erste Massenarbeitslosigkeit der Bundesrepublik bestimmt. Der Kampf damals galt dem Erhalt der Arbeitsplätze.

„Die ganze Debatte um den Mindestlohn ist ja überhaupt erst Mitte der 90er-Jahre entstanden, oder besser: hat sich immer weiter rauskristallisiert. Spätestens als es ausgerechnet ein gewisser SPD-Kanzler war, der den Niedriglohnsektor dann endgültig durchgedrückt hatte“, erinnert sich Altgewerkschafter Peter Witt. Gemeint sind Gerhard Schröder und die Agenda 2010.
Sechs Millionen Menschen profitieren
Helmfried Hauch, gelernter Stahlschlosser aus Neunkirchen im Saarland, kann sich noch gut an die ersten Debatten um den Mindestlohn erinnern. „Für mich war das damals eher eine Gespensterdebatte. Wir palaverten auf den Gewerkschaftskongressen über einen Satz von 7,50 Euro, der schon zum damaligen Zeitpunkt viel zu niedrig angesetzt, aber dann zumindest eingeführt wurde“. Doch der Altgewerkschafter aus dem Saarland will damit bis zum heutigen Tag nicht seinen Frieden machen. „Derzeit gibt es die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro und alle wissen, dass dies allein mit der Rentenperspektive überhaupt nicht ausreicht. Wir brauchen jetzt einen Mindestlohn von 18 Euro, damit am Ende später überhaupt ein zusätzlicher Rentenpunkt für die Arbeitnehmer rausspringt“, rechnet der 75-jährige Hauch vor. In der Runde allgemeines Kopfnicken, der das kollektive Gefühl bei den Altgewerkschaftlern bestätigt: „Irgendwie hinkt der Mindestlohn der Reallohnentwicklung immer erheblich hinterher“.
Doch der Berliner Gewerkschafter Peter Witt will vor allem die Erfolge betonen: „Immerhin profitieren sechs Millionen Beschäftigte vom Mindestlohn, und seit der Einführung vor zehn Jahren ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf einem Rekordstand in Deutschland gestiegen“. Positiver Effekt aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Der Anteil des Niedriglohnsektors ist von 21 auf 15 Prozent gesunken. Das Fernziel des Deutschen Gewerkschaftsbundes scheint damit in erreichbarer Nähe: Nämlich dass der Niedriglohnsektor verschwindet und dann in der Folge auch der Mindestlohn nach und nach durch tarifgebundene Arbeitsverträge ersetzt werden könnte. Allerdings wird das vermutlich „noch weitere zehn Jahre dauern“, gibt sich Peter Witt realistisch.