Die letzte Sitzungswoche im Bundestag hat den Wahlkampf verändert. Das viel gebrauchte Wort von der „Richtungswahl“ hat eine neue Bedeutung. Das hat auch den ersten Wahlkampfauftritt von SPD-Chef Lars Klingbeil nach den Abstimmungen geprägt.
Die Abstimmung im Bundestag am Ende einer politisch extrem turbulenten Woche in Berlin war gerade mal einen halben Tag alt. Samstagmorgen war SPD-Chef Lars Klingbeil bereits wieder im Wahlkampf und konnte unmittelbar erleben, wie Menschen ziemlich weit weg von Berlin, am Westrand der Republik, die Ereignisse in Berlin aufgenommen haben.
Statt große Reden zu halten, stellt er sich den Fragen der Menschen, die sich im saarländischen Neunkirchen auf den Weg in die „Stummsche Reithalle“, einem Veranstaltungsort neben dem Areal der ehemaligen Hütte gemacht haben.
Eigentlich ein schon lange geplanter Termin, der jetzt aber unverhofft in die heiße Phase des vorgezogenen Bundestagswahlkampfs fällt. Und der dazu noch der erste Wahlkampftag nach einer Woche ist, die viele als historisch bezeichnen. Natürlich war das auch das Thema, das sich durch die gut anderthalb Stunden zog.
„Die Menschen sind verunsichert: Was heißt das für die Demokratie, was heißt das für die Stabilität in unserem Land? Was hat Friedrich Merz dort eigentlich für einen Scherbenhaufen angerichtet, und warum hat er das getan?“, fasst Klingbeil selbst zusammen, betont aber auch: „Es ging auch um andere Fragen: Was heißt das jetzt für die Arbeitsplätze, was können wir für die Wirtschaft machen? Wie ist das mit der internationalen Entwicklung?“
Es war ein Wahlkampfvormittag, an dem durch die zahlreichen Fragen aus dem Publikum an den SPD-Vorsitzenden an einigen Punkte klar geworden ist:
Die Menschen haben eine ganze Reihe von Themen, die sie bedrücken, und auf die sie Antworten der Politik erwarten. Und die Themen haben viel mit Sorgen des Alltags und eher weniger mit den großen Überschriften im bisherigen Wahlkampf zu tun. Aber seit der letzten Woche zieht sich durch alles die Frage, was gerade in diesem Land passiert und wohin sich alles entwickelt.

Lars Klingbeil antwortet nach der Veranstaltung auf die FORUM-Frage, ob wir nun in einer anderen Republik leben:
„Ich muss schon sagen, dass Friedrich Merz mit seiner bewusst herbeigeführten Entscheidung, dass er gezielt Mehrheiten mit den Rechtsextremen im Parlament sucht, dass er einen demokratischen Konsens, den es seit 1949 gibt in diesem Land, nämlich dass man immer wieder Mehrheiten in der Mitte sucht, aber nicht gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen macht, aufgegeben hat, bewusst aufgegeben hat. Das hat er in dieser Woche zweimal gemacht und auf einer Veranstaltung danach gesagt, er würde es wieder genauso machen. Das verändert die Politik in diesem Land. Das verändert das Miteinander unter den demokratischen Parteien. Ich merke schon in den wenigen Stunden nach dieser Entscheidung, dass es viele Menschen im Land aufwühlt, dass sich viele Menschen fragen, wie es jetzt weitergeht.“
Die Gräben sind tiefer geworden
Für den SPD-Chef geht es dabei um die grundlegende Frage des Vertrauens:
„Ja, das muss ich klar sagen. Ich habe bis vor wenigen Tagen Friedrich Merz immer wieder verteidigt – bei aller politischen Konkurrenz. Wenn mir Menschen auf Veranstaltungen gesagt haben: Der wird im Zweifelsfall gemeinsame Sache mit der AfD machen, habe ich widersprochen, auch weil ich viele in der Union kenne, die nicht mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache machen wollen. Aber Friedrich Merz hat das bewusst aufgegeben und gesagt: Mir ist egal, wer mit uns stimmt, ich will diesen Weg jetzt gehen mit dem Kopf durch die Wand. Wer garantiert denn, dass er beim nächsten Mal, wenn er seine Wünsche durchsetzen will, zum Beispiel die Entlastung der Superreichen, es nicht genauso wieder macht?“
Was sich schon während der Woche im Bundestag abgezeichnet hat: Nicht nur das Vorgehen von Friedrich Merz und denen, die das unterstützt haben, vor allem bei den ersten Anträgen, die mit den Stimmen der AfD angenommen wurden, sondern auch die Art und Weise hat Spuren hinterlassen, die nicht ohne Folgen sein werden in der Zeit nach der Wahl:
„Ich hätte mir gewünscht, dass er (Friedrich Merz, Anm. d. Red.) einmal im Bundestag klar und deutlich gesagt hätte: Ich habe da einen Fehler gemacht, ich garantiere, dass dieser Weg nicht noch einmal passieren wird, ich kehre zurück zum Kurs von Helmut Kohl und Angela Merkel, die Union in der demokratischen Mitte zu halten und zu positionieren. Er hat sich bewusst für einen anderen Weg entschieden. Das hat die Gräben zwischen Union und SPD größer gemacht.“
Gilt das mit den Gräben nicht nur für die Parteien, sondern insgesamt, also eine gespaltene Gesellschaft?
„Die Gesellschaft ist in der Tat gespalten und verunsichert. Deshalb bin ich ja zum Schluss der Diskussion noch mal ans Pult gegangen und habe gesagt: Wir kriegen doch gemeinsam etwas hin, wenn es darum geht, Migration besser zu steuern, dafür für zu sorgen, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen und diejenigen, die nicht hier bleiben können, schneller wieder gehen. Wir kriegen etwas gemeinsam hin, dass sich die Menschen in Deutschland sicherer fühlen. Und ich habe vorgeschlagen, dass wir das noch gemeinsam vor der Bundestagswahl hinkriegen. Dass dieses Angebot ausgeschlagen worden ist, dass Friedrich Merz, Christian Dürr und Christian Lindner diesen Weg nicht gehen wollten, zeigt: Sie haben Wahlkampf gemacht, sie wollten das Gegeneinander der demokratischen Parteien.“
Nach der Diskussion mit den gut 150 Gästen und einer Tour d’Horizon der Themenfelder, die die Menschen belasten, hatte der SPD-Parteivorsitzende noch eine Botschaft: „Die Probleme sind lösbar“. Danach sagt er auf die FORUM-Frage, woher er die Zuversicht dazu nimmt:
„Weil Deutschland ein großartiges Land ist. Ich sehe das alleine schon in meinem Wahlkreis. Dort gab es vor einem Jahr ein riesiges Hochwasser. Und dann haben die Leute angepackt, es waren alle da, egal, wer man ist, was man beruflich macht, ob jemand Bundestagsabgeordneter ist oder an der Supermarktkasse sitzt: Alle haben angepackt. Das ist der Spirit, der mich immer wieder stolz macht, dass alle die Mentalität haben, die Sachen zu lösen. Wir haben tolle Unternehmer, Menschen in den Gewerkschaften und in Vereinen, Menschen, die das Land voranbringen wollen. Davon mehr zu haben, und diesen Geist zu haben, würde das Land stärker machen. Deswegen glaube ich, bei all den Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, und die sind nicht einfach und sind nicht wenige: Wenn wir daran gehen und sagen: Wir sind ein tolles Land mit vielen tollen Menschen – dann würde uns das guttun.“