Vom Trainerwechsel hatten sich die Unioner ohne Zweifel mehr versprochen. Das Remis gegen RB Leipzig verschaffte Steffen Baumgart etwas Luft. Doch der neue Coach ist darauf angewiesen, dass der neue Stürmer knipst.

Für Robin Gosens läuft’s sportlich rund. Der Linksverteidiger ist Stammkraft bei seinem Verein AC Florenz, mit dem er nach zwei Siegen in Serie sogar wieder Champions-League-Chancen hat. Der Last-Minute-Wechsel im vergangenen Sommer von Union Berlin in die Toskana hat sich als richtig erwiesen für den 30-Jährigen. Aus der Ferne beobachtet Gosens aber genau, wie sich sein Ex-Club in der Bundesliga so schlägt. Schließlich sei sein Abgang eine „schwierige Entscheidung“ gewesen, wie seinen damaligen Abschiedsworten zu entnehmen war. Dass Union auch ohne ihn erneut in Abstiegsnöte geraten ist, hätte Gosens nicht vermutet. Der Hauptgrund für seinen Optimismus war: Bo Svensson. Der energiegeladene Trainer und der Verein hätten wie „Arsch auf Eimer“ zusammengepasst, „ich habe ab der ersten Sekunde gedacht, dass das eine absolute Liebesgeschichte ist – Bo Svensson und Union“, sagte Gosens im Podcast Copa TS.
Wie „Arsch auf Eimer“ gepasst
Die Liebe war jedoch nur von kurzer Dauer, die Union-Bosse entschieden sich in der Winterpause zu einer Trennung – sehr zur Überraschung von Gosens. „Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass der nach Weihnachten entlassen wird“, sagte der Florenz-Profi, der allein wegen Svensson beinahe geblieben wäre: „Er war wirklich einer der Gründe, warum ich gesagt habe: Ich muss doch nicht so unbedingt weg.“ Nun sind aber beide weg: der Leistungsträger und der Trainer. An der Seitenlinie hat inzwischen Steffen Baumgart das Ruder übernommen – aber Union steuert auch unter ihm Richtung Tabellenkeller. Das 0:0 zu Hause gegen RB Leipzig werteten die Beteiligten zwar als Schritt in die richtige Richtung. Doch die Frage, ob der Trainerwechsel ein Fehler war, steht weiterhin im Raum – und das nicht nur bei Gosens. Baumgart kommt in seinen fünf bisherigen Spielen auf einen bedenklichen Punkteschnitt von 0,8. Sein Vorgänger hatte es immerhin auf durchschnittlich 1,15 Punkte (15 Spiele) gebracht, trotz des schon damals eingesetzten Negativtrends stand Union damals auf dem zwölften Platz mit sieben Zählern Vorsprung auf den Relegationsrang 16. Dieses Punkte-Polster ist aktuell gleich geblieben, Union belegt aber nur noch Rang 14 in der Tabelle.
Das verdiente Remis gegen Champions-League-Anwärter Leipzig nimmt Baumgart etwas Druck – und gibt ihm gute Argumente. Denn die Eisernen waren dem Sieg näher als der Gegner, doch wieder haperte es in der Offensive. „Es war schon viel zu sehen, wie ich mir Fußball vorstelle. Die Jungs haben das gemacht, was ich wollte. Sie sollten aufs Tor schießen“, sagte Baumgart mit Blick auf die Torabschluss-Bilanz von 21:6 für Union. „Nur so bekommst du Sicherheit. Nur so bekommst du zweite Bälle und Möglichkeiten. Die Präzision kommt dann wieder dazu.“ Trotz der vielen Schüsse Richtung Tor wurde es für RB-Torwart Peter Gulacsi nur selten wirklich richtig gefährlich. Die Harmlosigkeit vor dem gegnerischen Kasten zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison – doch es gibt einen neuen Hoffnungsträger: Marin Ljubicic.
Union nahm den Mittelstürmer aus Kroatien kurz vor Transferschluss unter Vertrag und reagierte damit personell doch noch auf die Sturm-Flaute. Der 22-Jährige kommt vom österreichischen Erstligisten Linzer ASK, für den er in 100 Pflichtspielen insgesamt 36 Tore erzielte. Eine beachtliche Ausbeute, die ihn auf Anhieb zum Mittelstürmer Nummer eins bei Union machen dürfte. Zumal seine Sturmkonkurrenten Jordan Siebatcheu, Ivan Prtajin und Kevin Volland zuletzt durch Formkrisen oder eklatante Ladehemmungen auffielen. „Seine Übersicht, Schnelligkeit und technischen Stärken werden uns weiterhelfen und dem Trainerteam mehr Möglichkeiten in der Offensive geben“, sagte Sport-Geschäftsführer Horst Heldt über den Winter-Neuzugang.
Das sehnliche Warten auf Tore
Ljubicic, der bei der EM 2024 in Deutschland dem vorläufigen Kader Kroatiens angehörte, weiß genau, was von ihm jetzt erwartet wird. „Wenn man in Österreich spielt, verfolgt man natürlich auch die Bundesliga“, sagte der Angreifer. Er habe sich sehr über das Interesse der Union gefreut und wolle den Verein, die Stadt und „insbesondere auch die Fans möglichst schnell von mir überzeugen“. Wie das am besten gelingt? Natürlich mit Toren. Denn darauf warten die Unioner sehnlichst. Am besten fängt der Kroate schon im Auswärtsspiel am Samstag (8. Februar) bei der TSG Hoffenheim damit an. Bei einer Niederlage droht nämlich der Absturz auf den 15. Tabellenplatz – und erneute Diskussionen um Baumgart könnten aufkommen. Danach warten Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund. „Die Gegner werden nicht kleiner. Und wir müssen trotzdem weiter punkten“, bekräftigte Baumgart.
Sollte ihm das in Sinsheim gegen Hoffenheim nicht gelingen, dürfte der Trainer beim Fantreffen am kommenden Dienstag, das von der Fan- und Mitgliederabteilung des Clubs organisiert wird und dem diesmal Baumgart beiwohnt, sicher auch unangenehme Fragen beantworten müssen. Da der Termin nicht öffentlich ist und dementsprechend keine Medien anwesend sind, könnte Baumgart bei dem Event in der Alten Försterei womöglich noch stärker Klartext reden. Der 53-Jährige ist ein Freund klarer Worte – auch wenn er damit manchmal aneckt.

Nicht gut angekommen ist bei einigen Fans, dass Baumgart vor dem Spiel gegen RB eine Lanze für das von Getränke-Gigant Red Bull mit etlichen Millionen Euro finanzierte Projekt brach. „Das Historiengerede lassen wir weg“, hatte der Trainer auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gesagt: „Es mag nicht jeder hören wollen, aber Leipzig hat sich etabliert. Und das haben sie professionell gemacht.“ Den Erfolg des zweimaligen Pokalsiegers seit der Gründung im Mai 2009 müsse man anerkennen, forderte Baumgart: „Das Stadion ist dort fast immer ausverkauft. Sie haben sehr gut gearbeitet über einen langen Zeitraum.“ Ein Großteil der Union-Fans kritisiert die Voraussetzungen dieser Arbeit, die im Vergleich zu anderen Vereinen wie Union völlig andere seien. Deshalb gab es auch diesmal Proteste der Anhänger der Eisernen. Auch ein Schweige-Boykott sei für ihn kein Problem, sagte Baumgart im Vorfeld. „Das haben wir alle schon erlebt, da wird man mich in der ersten Viertelstunde sehr gut hören können.“
Zugehört hatten die Spieler ihrem Trainer, das ist unbestritten. Auch die erneute Umstellung auf die Viererkette in der Abwehr war diesmal das richtige Mittel. Erstmals 2025 blieb Union ohne Gegentor – und das gegen die hochklassig besetzte Leipziger Offensive um 50-Millionen-Euro-Mann Xavi. Ob Baumgart bei dieser von ihm präferierten Taktik bleibt oder zur Union-traditionellen Fünferkette zurückkehrt, bleibt abzuwarten. Der gegen RB gelbgesperrte Leopold Querfeld und der verletzte Abwehrchef Kevin Vogt stellen jedenfalls Ansprüche auf einen Startelf-Einsatz. Ebenso interessant ist, ob Baumgart auch auswärts auf einen spielstarken Zehner setzt. Diese Rolle übernahm gegen Leipzig der Slowake Laszlo Benes, der seit seinem Wechsel vom Hamburger SV im vergangenen Sommer erst zum zweiten Mal von Beginn an wirbeln durfte. „Ich freue mich, dass ich 90 Minuten auf dem Platz stand. Das war mein Ziel, als ich hierhergekommen bin“, sagte der Mittelfeldspieler: „Im ersten halben Jahr habe ich die Chance fast nie bekommen. Das ist unvorstellbar.“