US-Forscher prangern nach neuesten Studienergebnissen Fructose an. Fruchtzucker, der in immer mehr hochverarbeiteten Nahrungsmitteln enthalten ist, soll demnach das Wachstum von Tumoren fördern.
Lange Zeit galt Fruchtzucker als deutlich gesünder als Traubenzucker. Daher wurde Fructose Diabetikern als sinnvolle Alternative zu Glucose empfohlen. Inzwischen ist bekannt, dass die Annahme falsch war. Beide Zuckerarten gehören zu den sogenannten Monosacchariden und bestehen nur aus einem Zuckermolekül, weswegen sie auch als Einfachzucker bezeichnet werden. Beide Zucker kommen natürlicherweise in Obst, Gemüse, Getreide oder Milchprodukten vor. In der Lebensmittelindustrie wird Glucose aber meist aus Kartoffel- oder Maisstärke gewonnen, Fructose vor allem aus pflanzlichen Stärken wie Maisstärke, wobei vor allem Maissirup mit hohem Fructose-Gehalt in hochverarbeiteten Nahrungsmitteln als primärer Süßstoff seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch ist. Wofür es die einfache Erklärung gibt, dass Fructose eine doppelt so hohe Süßkraft wie Glucose besitzt und zudem den Vorteil hat, den Blutzuckerspiegel nicht so stark ansteigen zu lassen. Während Glucose im gesamten menschlichen Körper verarbeitet werden kann – dabei nutzen unsere Zellen den Traubenzucker als Energielieferant –, wird Fructose fast vollständig im Dünndarm und in der Leber verstoffwechselt.
Einfachzucker als Energiequelle
Vor den 1960er-Jahren konsumierten die Erdenbürger im Vergleich zu heute relativ wenig Fruchtzucker. Seitdem hat sich der Fructose-Verbrauch drastisch um das 15-Fache erhöht, was vor allem auf die inzwischen präferierte Verwendung von Maissirup in der Nahrungsmittelindustrie zurückgeführt werden kann. Interessanterweise konnte im selben Zeitraum, in dem der menschliche Fructose-Konsum stark angestiegen ist, global ein gehäuftes Auftreten einer ganzen Reihe von Krebserkrankungen bei jüngeren Menschen unter 50 Jahren festgestellt werden. Dies warf in der Forschung die Frage auf, ob es womöglich einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Negativ-Trends geben könnte. Zumal die medizinische Gemeinschaft längst einen Zusammenhang zwischen ungesunden Ernährungsgewohnheiten wie einem erhöhten Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln und der Krebsinzidenz belegen konnte. In der Wissenschaft gilt als gesichert, dass Krebszellen eine starke Affinität zu Glucose haben und diesen Einfachzucker wie gesunde Zellen als bevorzugte Kohlenhydrat-basierte Energiequelle nutzen. Ob Tumorzellen in ähnlicher Weise auch Fructose verarbeiten können, haben US-Forscher der Washington University in St. Louis unter Federführung von Prof. Gary Patti und Dr. Ronald Fowle-Grider untersucht und ihre Ergebnisse jüngst im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.
Das Team wollte herausfinden, wie sich die in vielen Nahrungsmitteln enthaltene Fructose auf das Tumorwachstum auswirken kann. „Unsere anfängliche Erwartung war, dass Tumorzellen Fructose genau wie Glucose verstoffwechseln und ihre Atome direkt zum Aufbau neuer Zellkomponenten wie DNA verwenden können“, sagt Studien-Erstautor Dr. Ronald Fowle-Grider. „Wir haben schnell gelernt, dass die Tumorzellen allein nicht die ganze Geschichte erzählen können. Ebenso wichtig ist die Leber, die Fructose in Nährstoffe umwandelt, die die Tumore dann erst nutzen können.“

In Untersuchungen an krebskranken Zebrafischen und Mäusen, die von verschiedenen Tumorarten wie Melanom, Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs betroffen waren, stellten sich eindeutige Ergebnisse heraus. „Wir waren überrascht, dass es ziemlich drastische Auswirkungen hatte. Wir haben uns zahlreiche verschiedene Krebsarten in verschiedenen Geweben im ganzen Körper angesehen, und sie folgten alle dem gleichen Mechanismus. In einigen Fällen beschleunigte sich die Wachstumsrate der Tumore um das Zweifache oder sogar noch mehr. Viel Fructose zu essen war im Hinblick auf die Tumor-Progression eindeutig sehr schlecht“, sagt Prof. Patti. Wobei sich weder das Körpergewicht noch der Nüchtern-Blutzucker und der Nüchtern-Insulinspiegel der mit Fructose gefütterten Versuchstiere verändert hatten. Deshalb ließ sich das beschleunigte Tumor-Wachstum nicht auf einen veränderten Zuckerstoffwechsel, sondern direkt auf die Fruchtzucker-Gabe zurückführen. „Interessanterweise konnten die Krebszellen selbst Fructose nicht ohne weiteres als Nährstoff verwenden, da sie nicht über die richtige biochemische Maschinerie verfügen. Leberzellen verfügen darüber. Dadurch können sie Fructose in LPCs (Lysophospatidylcholine) umwandeln, die sie absondern können, um Tumore zu ernähren“, sagt Patti.
Verschiedene Krebsarten untersucht
Die in der Leber erzeugten Lipide oder Fette können die Krebszellen offenbar als Baumaterial für ihre Zellmembran nutzen, indem sie die LPCs in Phosphatidylcholine (PCs) umwandeln. Wobei sie für ihr Wachstum beträchtliche Mengen an Lipiden benötigen, weil bei jeder Zellteilung der gesamte Zellinhalt samt Membran reproduziert werden muss. „In den letzten Jahren wurde deutlich, dass viele Krebszellen lieber Lipide aufnehmen, als diese selbst zu produzieren. Das Problem besteht darin, dass die meisten Lipide im Blut unlöslich sind und ziemliche Transportmechanismen erfordern. LPCs sind einzigartig. Sie könnten die effektivste und effizienteste Möglichkeit darstellen, das Tumorwachstum zu unterstützen“, sagt Prof. Patti. Dabei haben die ungesättigten LPCs für die Krebszellen den Vorteil, dass sie im Unterschied zu anderen Lipiden gut löslich und leicht zu transportieren sind.
„Die Idee, dass man Krebs mit der Ernährung bekämpfen kann, ist faszinierend“, sagt Prof. Patti. „Es wird spannend, besser zu verstehen, wie sich Fructose in der Nahrung auf die Krebshäufigkeit auswirkt. Eine wichtige Botschaft dieser aktuellen Studie ist jedoch, dass Sie, wenn Sie das Pech haben, an Krebs erkrankt zu sein, wahrscheinlich darüber nachdenken sollten, Fructose zu vermeiden. Leider ist das leichter gesagt als getan.“ Denn Fructose ist inzwischen zum festen und häufig auf den Produktetiketten verschleierten Bestandteil vieler Nahrungsmittel geworden. „Wenn man seine Speisekammer durchsucht und nach Lebensmitteln Ausschau hält, die Maissirup mit hohem Fructose-Gehalt aufweisen, der gängigsten Form von Fructose, ist das ziemlich erstaunlich. Er ist fast überall als Inhaltsstoff zu finden. Nicht nur in Süßigkeiten und Kuchen, sondern auch in Lebensmitteln wie Nudelsauce, Salatdressing oder Ketchup. Sofern Sie ihn nicht aktiv vermeiden, ist er wahrscheinlich Teil Ihrer Ernährung“, sagt Prof. Patti.
Abgesehen von Ernährungsinterventionen mit möglichst vollständigem Fructose-Verzicht für Krebspatienten könnten die Erkenntnisse der Studie laut dem Forscherteam künftig dabei helfen, neue Therapien zur Bekämpfung von Tumoren zu erarbeiten. Möglicherweise könnten Medikamente entwickelt werden, die eine Aufnahme der Lipide durch Krebszellen verhindern könnten. Wobei die Präparate statt auf die Tumore selbst vielleicht sogar auf die Leberzellen abzielen könnten. So könnte womöglich der Stoffwechsel gesunder Zellen bewusst verändert und so zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden. „Eine mögliche Folge unserer Erkenntnisse könnte sein, dass wir uns nicht auf Therapeutika beschränken müssen, die nur auf erkrankte Zellen abzielen“, bilanziert das Forscher-Team. „Vielmehr können wir darüber nachdenken, auf den Stoffwechsel gesunder Zellen abzuzielen, um Krebs zu behandeln.“