Nach den internen Zerwürfnissen vor der letzten Bundestagswahl haben sich die Grünen im Saarland neu aufgestellt und wollen mit ihrer Spitzenkandidatin und Parteivorsitzenden Jeanne Dillschneider zurück in den Bundestag.
Frau Dillschneider, was motiviert Sie als Spitzenkandidatin?
Ich bin überzeugt, dass wir wieder eine grüne Stimme aus dem Saarland in Berlin brauchen. Als Stadtverordnete und Fraktionsvorsitzende in Saarbrücken, Parteivorsitzende und gebürtige Saarländerin bringe ich die nötige Erfahrung mit und kenne das Saarland von all seinen Seiten. In diesen Zeiten, wo wir sowohl Krisen von innen und außen, und das noch gleichzeitig haben, ist eine politische Kraft besonders wichtig, die Lösungen und Menschen in den Mittelpunkt stellt, die progressiv und eine starke Stimme für Europa und Klimaschutz ist.
Der Wahlkampf hat sich durch die letzten Abstimmungen im Bundestag, die manche als historisch bezeichnen, deutlich verändert. Worum geht es jetzt in den letzten Tagen bis zur Wahl?
Jetzt gilt es, wieder zu einem sachlichen Diskurs zurückzukehren, der die eigentlichen Probleme in diesem Land adressiert. Statt Menschen mit Migrationshintergrund oder Asylsuchende zur Ursache aller Probleme zu erklären, sollten wir darüber sprechen, wie wir das Leben für alle bezahlbar machen, wie wir mehr Kitaplätze schaffen, in Bildung investieren, Krankenhäuser erhalten oder die Kommunen stärken. Das geht nun völlig unter. Friedrich Merz hat nicht nur sein Wort gebrochen, er hat sich seinen Kurs von Rechtsextremen diktieren lassen.
Das grüne Kernthema Klima steht in diesem Wahlkampf nicht auf den vorderen Plätzen der Themen, die Menschen als die wichtigsten Probleme benennen. Da steht vor allem Wirtschaft. Was hat sich da geändert?
Gerade in diesen Zeiten akuter Krisen ist völlig klar, dass man sich erst mal damit beschäftigt, denn die Wirtschaft steht tatsächlich vor großen Herausforderungen. Wir haben gerade sehr Sorgen durch die angespannte geopolitische Lage, auch die Weltwirtschaftslage ist schlecht, was sich für ein Exportland wie das Saarland extrem auswirkt. Aber es gibt auch langfristige Entwicklungen, deren Auswirkungen sich jetzt zeigen: Wir haben verpasst, Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen. Wir hätten mehr für Digitalisierung und Entbürokratisierung tun und schon früher in die richtigen Technologien investieren müssen. Wir stehen jetzt vor der Situation, dass wir auf der einen Seite dringend handeln müssen, und auf der anderen Seite die langfristigen Dinge richtig angehen müssen. Ich bin der Überzeugung, dass Klimaschutz und Wirtschaftsentwicklung untrennbar zusammengehören und wir durch den nachhaltigen digitalen Wandel die Probleme lösen können. Wir können hier im Saarland mit der Transformation unserer Stahlindustrie Vorreiterregion dafür sein. Ich persönlich will da auch meine Expertise im Digitalbereich als Rechtsanwältin im IT-Recht, Datenschutz und Cybersicherheit einbringen. Ich glaube, wir haben eine Chance, gerade mit der Digitalwirtschaft Probleme zu lösen. Stichwort ist Effizienz. Da müssen wir gezielt investieren und nicht darauf warten, dass es von alleine kommt.
Die digitale Welt hat aber auch eine andere Seite, die wir jetzt auch im Wahlkampf sehen. Machen wir uns zu sehr angreifbar?
Wir dürfen nicht zulassen, dass der Wahlkampf von außen beeinflusst wird. Wir müssen gegen Desinformation im Netz vorgehen, uns resilienter machen. Gleichzeitig sehe ich eine große Bedrohung im Bereich innere Sicherheit. Unternehmen erleiden Schäden in Milliardenhöhe durch Cyberangriffe. Auch Schulen, Kirchen, Kommunen, Universitäten sind oft Zielscheibe von Cyberangriffen. Das heißt, wir müssen auch die sicherer machen.
Kernthemen Wirtschaft, Klima und digitaler Wandel
Und wir müssen einen rechtlichen Rahmen schaffen, um Hass im Netz etwas entgegenzuhalten. Wenn jetzt auch Zuckerberg unabhängige Faktenchecks bei Meta außer Kraft setzt, ist klar: Rechte Autokraten dürfen nicht an Einfluss über Europa gewinnen. Wobei man der EU zugutehalten muss, dass sie sehr viel gemacht hat mit dem Digital Service Act und dem AI-Act, eine Rechtsverordnung im Bereich KI. Gleichzeitig müssen auch wir in Deutschland überlegen, wie wir es schaffen, KI-Lösungen hier zu entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, die gemeinwohlorientiert und nachhaltig sind. Ich will, dass wir Saarbrücken zur KI-Hauptstadt machen. Wir haben die Behörden hier, die Uni mit ihrer Expertise, zahlreiche Unternehmen und das Know-how. Das müssen wir noch viel mehr vernetzen und bewerben, nach dem Motto: Hier wird faire und innovative KI entwickelt.
Noch mal zum Klimaschutz: Sind die Grünen da pragmatischer geworden?
Ich muss immer an das Hochwasser im letzten Jahr denken, das auch eine Folge des Klimawandels war. Wir müssen uns den Klimafolgen anpassen, unsere Infrastruktur fit machen, konkret: Kanalisation sanieren, den Katastrophenschutz stärken, denn wir müssen uns darauf einstellen, dass solche Ereignisse mehr und immer intensiver werden. Wir müssen auch neben Maßnahmen wie Ausbau erneuerbarer Energien, was wir ja schon machen, den Naturschutz stärken, Artenvielfalt gewährleisten. Wir haben hier vor Ort das Thema Stadtwald, der gerodet werden sollte, was jetzt gerichtlich erst einmal gestoppt ist nach vielen Protesten und Klagen. Man kann sich einfach nicht mehr leisten, erst mal Bäume zu fällen und dann zu überlegen, was man da jetzt macht.
Wie soll das gehen: Sie sind für eine KI-Hauptstadt, also Ausbau, aber gegen die Waldrodung?
Es ist immer eine Abwägung. Natürlich ist es ein sehr großes Interesse, die Uni auszubauen, die Forschung zu stärken. Da stehe ich total dahinter. Auf der anderen Seite steht eben der Wald. Diese Entscheidung ist nicht leicht, es kommt auf den Einzelfall an. Wenn ich in diesem Fall aber noch gar nicht genau weiß, was da hinkommt oder wer da hinwill und ob es vielleicht auch noch eine andere Lösung geben könnte, etwa durch Nutzen von Leerstand in der Innenstadt, also wenn die Alternativen gar nicht ernsthaft geprüft wurden, dann ist der Fall für mich ganz einfach: Zu 100 Prozent zugunsten Wald.
Ein Thema, das die Menschen besonders umtreibt: Krieg und Frieden. Für die Grünen mit ihrem Selbstverständnis eine besondere Herausforderung?
Ich finde, wir haben eigentlich eine sehr klare Haltung, die keine Abkehr von unseren Werten ist, im Gegenteil: Eine moderne Friedenspartei muss sich mit der Realität auseinandersetzen, und die hat sich nun mal verändert. Wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn die Ukraine verliert, wird es keinen Frieden geben. Ich finde, Olaf Scholz hat da keine klare Linie gefunden, und auch nicht genügend unternommen, um europäische Lösungen voranzutreiben. Dabei ist die Antwort auf den Krieg in der Ukraine, aber auch die Entwicklungen in den USA ein geeintes Europa.
Das beteuern eigentlich fast alle, aber Europa spielt keine Rolle in diesem Wahlkampf.
Mir als Deutsch-Französin ist es ein persönliches Anliegen. Die deutsch-französische Beziehung war immer der Motor in Europa und muss es auch wieder sein. Natürlich sind wir uns nicht immer einig mit Frankreich, es gibt in einzelnen Bereichen ganz große Differenzen, etwa im Bereich Energie. Daran müssen wir arbeiten. Die Beziehung Deutschland-Frankreich hat ein riesiges Potenzial auch für uns als Grenzregion. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass hier wieder Grenzkontrollen stattfinden. Dabei könnten wir gerade auch im Bereich Sicherheit viel enger zusammenarbeiten. Wir haben bei Corona gesehen: Die Pandemie hat nicht an den Grenzen haltgemacht. Und auch die Bedrohung, die wir jetzt erleben, macht nicht an den Grenzen halt. Bei hybrider Kriegsführung, Angriffen gegen die Demokratie und unsere Infrastruktur, können wir uns nur zusammen schützen, da spielen nationale Grenzen gar keine Rolle.