In seiner 70-jährigen Karriere hat Clint Eastwood viele Metamorphosen durchlebt. Vom wortkargen Spaghetti-Western-Helden über den Charakterdarsteller bis zum oscarprämierten Filmemacher. Als Regisseur hat er nun mit „Juror #2“ noch einmal einen großen Wurf gelandet.

Er behandelt Schauspieler wie Pferde“, amüsiert sich Tom Hanks, der für Clint Eastwood die Hauptrolle im Flugzeug-Drama „Sully“ (2016) spielte. „Als Clint in den 60er-Jahren für die Western-Serie ‚Rawhide‘ vor der Kamera stand und der Regisseur vor jeder Szene ‚Action!‘ brüllte, schlugen die Pferde jedes Mal wie wild aus. Die Unruhe am Set war groß. Um das zu vermeiden, sagt Clint als Regisseur vor jedem Take mit seiner Flüsterstimme bloß ‚All right, go ahead‘. Und statt ‚Cut!‘ zu rufen, sagt er sanft ‚That’s enough of that‘. Und das jagte mir beim Drehen jedes Mal höllische Angst ein“, sagt Tom Hanks lächelnd.
Er verzichtet auf „Action“ und „Cut“
Clint Eastwood weiß durch seine jahrzehntelange Erfahrung vor der Kamera eben ganz genau, wie er als Regisseur das Beste aus seinen Darstellern herausholen kann. „Ich will ihnen vor allem Sicherheit geben und zeigen, dass sie mir vertrauen können. Ich lege viel Wert darauf, dass es am Set ruhig und entspannt zugeht und dass ich nach ein, zwei Takes die Szene im Kasten habe. Nur dann reagieren Schauspieler wirklich spontan auf ihr Gegenüber. Ich halte gar nichts davon, sie – wie manche Regisseure es gerne tun – durch 20 oder 30 Takes zu prügeln. Denn dabei verkrampfen auch die besten Schauspieler, und alles wirkt unecht.“
Dieses Einfühlungsvermögen schätzte nicht nur Tom Hanks, sondern auch andere große Hollywoodstars: Darunter Kevin Costner, der mit Clint Eastwood „Perfect World“ (1993) drehte, und Meryl Streep, mit der er in „Die Brücken am Fluss“ (1995) – einem der schönsten Liebesfilme aller Zeiten – auch als Schauspieler vor der Kamera stand. Auch Sean Penn und Tim Robbins, die selten besser waren als im Thriller „Mystic River“ (2003), lobten Clint bei jeder Gelegenheit für sein Fingerspitzengefühl beim Regieführen. Nicht zu vergessen Hilary Swank und Morgan Freeman, die für ihre Rollen im Boxer-Drama „Million Dollar Baby“ (2004) jeweils einen Oscar erhielten und Eastwood bei ihren Dankesreden hochleben ließen. Clint Eastwood bekam für „Million Dollar Baby“ gleich zwei Oscars: für den besten Film und als bester Regisseur. Ein Kunststück, das ihm schon bei seinem Spät-Western „Erbarmungslos“ (1992) gelungen war, für den er zwei Trophäen in denselben Kategorien bekam, der Film wurde zusätzlich für den besten Schnitt und die beste Nebenrolle ausgezeichnet.

„Erbarmungslos“ zeigt zudem, wie gekonnt Eastwood mit den Western-Mythen spielt, sie ernst nimmt, gleichzeitig Klischees aufbricht und sich selbst in der Rolle als alternden Westernhelden kritisch hinterfragt. Überhaupt ist er einer der wenigen Regisseure, denen in ihren Filmen immer wieder eine Synthese aus dem klassischen und modernen amerikanischen Kino gelingt. Bemerkenswert auch, wie ökonomisch er dreht und in seinen besten Filmen keinen Zentimeter Zelluloid verschwendet. Jede Szene ist ein integraler Bestandteil der Handlung. Und oft braucht er sogar weniger Drehtage als kalkuliert, was seinem Lieblingsstudio Warner Bros. sicher sehr gefällt.
Als Darsteller konnte man Clint Eastwood übrigens zuletzt in seinen Filmen „The Mule“ (2018) und „Cry Macho“ (2021) erleben. „Ich bin aber sehr froh darüber, dass ich immer öfter nur noch als Regisseur arbeiten kann“, sagt er. „Eigentlich wollte ich schon vor vielen Jahren aus der Schauspielerei aussteigen, was mir ja auch fast gelungen ist – aber dann habe ich der Einfachheit halber gelegentlich doch wieder die Hauptrolle übernommen. Meine große Leidenschaft ist aber das Filmemachen, da hat man als Regisseur eben die beste Kontrolle. Bei meinen Projekten bin ich auch immer auf der Suche nach Neuem, das ich dann in meine Filme einbringen will. Das Wichtigste beim Filmemachen ist ein gut funktionierendes Drehbuch. Erst wenn ich das habe, denke ich darüber nach, auf welche Weise ich die Story erzählen will und wie der Film auszusehen hat. Ich kann diesen Prozess nur schwer in Worte fassen. Denn ich intellektualisiere meine Filme ja nicht, sondern mache sie aus dem Bauch heraus. Wenn ich ans Set gehe, habe ich oft nur ein Bild im Kopf und den Sound, wie die Dinge klingen sollen. Dann bin ich sehr gespannt, wie wir es alle gemeinsam umsetzen werden.“
Schweigsam und geradlinig

Clint Eastwood wurde 1930 in San Francisco geboren. Während der Wirtschaftskrise lebte er zweitweise bei seiner Großmutter auf einer Hühnerfarm. Das waren, wie er meint, sehr harte Zeiten, in denen die Menschen meist depressiv gewesen seien. Diese bitteren Erfahrungen haben auch sein Wertesystem und seine Arbeitsmoral nachhaltig geprägt. Schließlich ließ sich seine Familie in Oakland nieder. In seiner Jugend galt er als introvertiert und schüchtern; er besuchte verschiedene Schulen und brach 1948 sein College-Studium ab. Danach arbeitete er unter anderem als Tankwart und Holzfäller. Nach seiner Militärzeit versuchte er, in Hollywood als Schauspieler Fuß zu fassen. Ab 1959 spielte er in der Western-Serie „Rawhide“ acht lange Jahre einen Cowboy. Mitte der 60er-Jahre wurde er als wortkarger, zigarillokauender, ponchotragender Revolverheld in Sergio Leones Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ populär. Damals wurden die Filme eher belächelt. Heute sind sie längst Kult.
Mit seinem schweigsamen und gradlinigen Auftreten war Eastwood dann die Idealbesetzung als zynischer Polizeiinspektor Harry Callahan, den er in den 70er-Jahren in den „Dirty Harry“-Filmen spielte – und mit dem er ganz nebenbei das Polizeifilm-Genre gehörig aufmischte. Sein Markenzeichen: seine 44er-Magnum und sein wie aus dem Mount Rushmore gemeißeltes Gesicht. Durch den großen Erfolg der „Dirty Harry“-Filme wurde Eastwood zu einer Ikone der Popkultur. In „Dirty Harry kommt zurück“ (1983), einem der insgesamt fünf Filme dieser Reihe, führte er auch selbst Regie.

1993 holte ihn Wolfgang Petersen für den Action-Thriller „In the Line of Fire – Die zweite Chance“ an Bord. Eastwood spielte in einer seiner wohl besten Performances einen Secret-Service-Agenten, der zum Personenschutz des US-Präsidenten abgestellt wird und in letzter Sekunde ein Attentat auf den Präsidenten verhindert. Besonders sehenswert ist der Thriller wegen des fesselnden Psychoduells, das sich Eastwood mit seinem Gegenspieler John Malkovich liefert – und der amourösen Verwicklung mit seiner Kollegin, gespielt von Rene Russo.
In den 90er-Jahren war Eastwood eine der respektiertesten und beliebtesten Persönlichkeiten in Hollywood. Bis heute kann er auf über 60 Filme als Schauspieler zurückblicken, in denen er auch meist die Hauptrolle spielte. Und auf gut 40 Filme, bei denen er Regie führte.
Was für Eastwood als Regisseur besonders einnimmt, ist die Tatsache, dass er überwiegend spannende und intelligente Filme macht, die auch einen hohen Zuschauer-Appeal haben. Wenn er auf der Höhe seiner Kunstfertigkeit ist, gelingt ihm ein visuell fließendes, atmosphärisch dichtes Narrativ, in dem sich Menschen mit ausgeprägten Charakterprofilen bewegen und Dinge tun, die oft erschütternd, aber logisch nachvollziehbar sind. (Über einige Flops und Ausrutscher, wie zum Beispiel „Der Mann aus San Fernando“, in dem ein leibhaftiger Orang-Utan auftritt, breitet man besser den Mantel des Schweigens).
Lässt anderen ihre Freiheiten

Auf seine Privatheit hat Clint Eastwood schon immer sehr viel Wert gelegt und gibt deswegen nur sehr sporadisch Interviews. Er war zweimal verheiratet und hat acht Kinder von sechs Frauen. Von 1975 bis 1989 lebte er mit der Schauspielerin Sondra Locke zusammen, die auch in einigen seiner Filme auftrat. Locke verklagte ihn nach der Trennung und warf ihm vor, ihre Karriere in Hollywood sabotiert zu haben. Sie starb 2018. Von 1990 bis 1995 war er mit Schauspielerin Frances Fisher zusammen, mit der er eine inzwischen erwachsene Tochter hat. Auch danach hatte er immer wieder wechselnde Beziehungen.
Eastwood wird zwar oft dem rechten, ja reaktionären Lager zugerechnet, verwahrt sich jedoch entschieden gegen solche Vereinnahmung. „Ich glaube, ich war schon gesellschaftspolitisch links und wirtschaftspolitisch rechts, bevor es in Mode kam“, sagte er einmal im Interview. „Ich mag die freiheitsliebende Sichtweise, jeden in Ruhe zu lassen. Schon als Kind habe ich mich über Leute geärgert, die allen vorschreiben wollten, wie sie zu leben hätten.“
Der Justiz-Thriller „Juror #2“ ist nach eigener Aussage sein letzter Film (siehe Filmtipp auf Seite 82). Schnörkellos in der Erzählweise und mit sicherer Hand bei der Charakterzeichnung seiner Hauptfiguren – dem Geschworenen Nummer zwei Justin Kemp (Nicholas Hoult) und der Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) – spitzt er das Gerichtsdrama auf einen überraschenden Plot zu, bei dem er sogar den Zuschauer mit einbezieht. Man möchte hoffen, dass Eastwood – der sich selbst einmal als einen „Maschinisten, der einfach einen Film nach dem anderen heraushaut“ bezeichnet hat – vielleicht immer noch nicht bereit ist, sein „Leben an einem Strand in Hawaii auszusitzen“. Im Mai wird Clint Eastwood 95 Jahre alt.