In der Sonderausstellung „Access Kafka“ stellt das Jüdische Museum Berlin Manuskripte, Zeichnungen und Briefe aus Franz Kafkas Nachlass Werken zeitgenössischer Kunst gegenüber. All das ist noch zu sehen bis zum 4. Mai.

Türen, Tore, Fenster, Schwellen oder Bauten sind wiederkehrende Motive in Kafkas Werk. Sie bieten oder verwehren den Zugang, auf Englisch „Access“. Um diesen Begriff, der im weiteren Sinn die Erlaubnis, Freiheit oder Fähigkeit, einen Ort zu betreten oder zu verlassen, bezeichnet, dreht sich die aktuelle Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Sie widmet sich Fragen nach Einlass und Zugehörigkeit, indem sie mehr als 30 Handschriften und Zeichnungen aus Franz Kafkas Nachlass Werken der Gegenwartskunst gegenüberstellt.
Kafka wollte den Nachlass verbrennen
Die Verweigerung von Zugang machte der 1944 verstorbene Schriftsteller immer wieder zum Thema: In „Der Prozess“ droht Josef K. ein Gerichtsverfahren, ohne dass dieser weiß, warum und durch wen. Der zum Ungeziefer mutierte Gregor Samsa wird in „Die Verwandlung“ von seiner Familie ausgegrenzt. Ein Mann vom Lande versucht in „Vor dem Gesetz“, auch als „Türhüter-Legende“ bekannt, vergeblich, Einlass zu erlangen. Und fast hätte Kafka den Zugang zu seinem eigenen Werk verhindert, wie eine testamentarische Notiz an seinen Freund und Nachlassverwalter Max Brod zeigt: „Liebster Max, meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nachlass (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zu Hause und im Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s.w. findet restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten.“
Da die Bitte nicht erfüllt wurde, kann das Schreiben aus dem Winter 1920/21 in der Ausstellung präsentiert werden, ebenso wie eine Manuskriptseite aus dem unvollendeten Roman „Der Verschollene (Amerika)“ von 1914. Er handelt vom jungen Karl Roßmann, der nach Amerika auswandert, wo er sich auf einen Aufruf des Naturtheaters von Oklahoma als Künstler bewirbt, aber wegen fehlender Papiere nur einen Job als „technischer Arbeiter“ erhält. Im spannenden Kontrast zum zentralen Satz des Textfragments, „Jeder ist willkommen“, der den Protagonisten zur Bewerbung ermutigt, steht die Installation „No Positions Available“. Sie besteht aus jenen roten Schildern, die in Schaufenstern in Nordamerika anzeigen, dass Mitarbeiter gesucht werden. Die deutsche Übersetzung der Aufschrift – „Keine Stelle frei“ – ist dabei auch wörtlich zu verstehen: Dicht aneinandergereiht bedecken die Schilder die ganze Wand, um so die Aussage in den Raum zu übertragen und ihre ausgrenzenden Botschaft – „Keiner ist willkommen“ – zu vervielfältigen. Das eindrucksvolle Werk von 2007 stammt von der pakistanisch-britische Konzeptkünstlerin Ceal Floyer, die in Berlin lebt und arbeitet.
Bei Michal Naaman begegnen Besucher erneut dem Naturtheater von Oklahoma. Die israelische Malerin, die sich in ihrem Werk intensiv mit Kafka sowie mit der Beziehung zwischen Wort und Bild beschäftigt, zitiert auf Englisch und Hebräisch aus „Der Verschollene (Amerika)“. In ihrer Bilderserie fragt sie unter anderem mit Interpretationen von Wittgensteins Hase-Ente-Illusion, einem Kipp-Bild, das beide Tiere zugleich zeigt, was gesehen werden kann und was verborgen bleibt.
Mit Marcel Duchamp begegnen Besucher einem Zeitgenossen Franz Kafkas. „Boîte-en-valise“ (Schachtel im Koffer) enthält als eigenständiges Kunstwerk Miniaturen von Werken des französischen Malers und Objektkünstlers. Der Koffer gilt als politisches Symbol der Migration, einem Schicksal, das Duchamp, der 1942 in die USA emigrierte, mit Kafkas Manuskripten teilt: Diese befanden sich in einem Koffer, den Max Brod bei sich hatte, als er 1939 am Abend vor der deutschen Besetzung Prags im letzten freien Flüchtlingszug nach Palästina floh.
Der Schriftsteller gibt Gefühlen Gestalt
In einer Vitrine „begegnen“ sich zwei außergewöhnliche Druckwerke. Für das Cover eines Ausstellungskatalogs wählte Duchamp als Motiv seine Arbeit „Porte: 11, Rue Larrey“ von 1927. Sie zeigt eine Tür mit zwei Rahmen, die der Künstler in seinem Atelier einem baulichen Engpass folgend einbauen ließ. Das so entstandene Paradox: eine Tür, die zur gleichen Zeit auf und zu sein kann. Neben dem Katalog befindet sich eine Erstausgabe von „Die Verwandlung“. Kafka hatte seinen Verleger gebeten, auf dem Titelbild nicht das „ungeheure Ungeziefer“, in das sich die Hauptfigur Gregor Samsa verwandelt, zu illustrieren. Stattdessen schlug er eine leicht geöffnete Tür vor, die den Blick ins Dunkle lenkt. Das Museum lädt nebenan mit Papier und Stiften dazu ein, den Anfang der berühmten Erzählung zu bebildern – und fügt hinzu: „Sie werden scheitern – die besten Bilder bleiben in Ihrer Vorstellung.“

Es ist eine Vielzahl von Reflexionen, zu der Shelley Harten, Kuratorin der Sonderausstellung, in den sechs Themenräumen anregt. Jeder eröffnet einen neuen Zugang zu Kafka, etwa „Access Judentum“, der zeigt, wie er auf eine ebenso mehrdeutige wie universelle Weise über gemeinschaftliche und individuelle Erfahrungen, über Zugehörigkeit und Ausschluss nachdenkt. Oder „Access Gesetz“, wo Themen wie das sinnentleerte Regelwerk der Bürokratie, die anonyme Fremdbestimmung der Gewalten, das Eindringen in die Privatsphäre und die Unzugänglichkeit der Macht in den Fokus gerückt werden. In „Access Raum“ wird deutlich, wie Kafka Gefühlen der Ausweglosigkeit, Desorientierung und Beklemmung eine Gestalt gibt. Wie Kunst Körper zum Austragungsort von Macht- und Gewaltverhältnissen macht, ist Thema von „Access Körper“.
Die Aktualität der Ausstellung ist in jedem Raum spürbar. Sowohl Kafkas vor über 100 Jahren entstandenes Werk als auch die zeitgenössische Kunst von Duchamp, Naaman, Floyer und anderen verhandeln die Bedingungen der gesellschaftlichen Teilhabe. Vielfältige Fragen nach den Paradoxien des menschlichen Daseins, nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, nach Einlass und Zugehörigkeit werden gestellt. Es bleibt offen, ob die Antworten hinter den Türen zu Kafkas Welt zu finden sind.