Die Ausstellung „Marc Chagall – Die heilige Schrift“ zeigt bis zum 13. April in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums rund 120 Grafiken – Werke mit biblischen Themen.

Mit Meisterwerken aus vier Jahrzehnten gibt die Ausstellung einen Einblick in den Reichtum der Bilderfindungen, die Chagall auf Grundlage der biblischen Sujets entwickelte. Welche Bedeutung hatte die Bibel für ihn? Chagall gibt Auskunft: „Von meiner Kindheit an hat mich die Bibel mit Visionen über die Bestimmung der Welt erfüllt. In Zeiten des Zweifelns haben ihre Größe und ihre hohe dichterische Weisheit mich getröstet. Sie ist für mich wie eine zweite Natur.“
Fünf Bücher Mose als Schwerpunkt
Bereits seit den Zwanzigerjahren befasst sich Chagall in Studien und Gouachen mit der Bibel. Der Kunsthändler und Verleger Ambroise Vollard beauftragt ihn 1930 mit der Illustration der Bibel. Ein Jahr darauf reist Chagall durch das britische Mandatsgebiet Palästina und besucht religiöse Stätten des Judentums. Der Auftrag Vollards, das Alte Testament zu illustrieren, weckte dazu den Wunsch. „Er studierte in Holland auch Rembrandts biblische Darstellungen“, erklärt Dr. Kathrin Elvers-Svamberk, die Sammlungsleiterin Moderne Kunst des Saarlandmuseums, beim Presserundgang.

Die Blätter der Ausstellung sind von großem Schauwert. Die Details erschließen sich erst durch zeitnehmendes Hinschauen, keinesfalls durch ein flüchtig-streifendes Vorbeischauen. Die Lichtsetzung lenkt die Betrachtung und führt zur Konzentration. Die fünf Bücher Mose bilden einen Schwerpunkt. „Als der Auftrag- und Geldgeber Vollard 1939 bei einem Unfall starb, stockte das Projekt. Chagall hatte bis zu diesem Zeitpunkt 66 Kupferplatten erstellt“, erklärt die Kunstexpertin. Erst ab 1952 nimmt Chagall die Arbeit an den Grafiken wieder auf. Die insgesamt 105 Blätter erscheinen schließlich 1956 als Loseblattmappen mit französischen Textstellen. Zwischen 1958 und 1959 fertigt Chagall Farblithografien zu den Paradiesereignissen, zu Kain und Abel sowie zu Hiob. Die Gegenüberstellungen von Radierungen und Farblithografien sind besonders reizvoll und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten gut zu erkennen. „Der Tanz der Mirjam“ ist ein charmant-sinnlich anmutendes Blatt, das mich fröhlich stimmt bei eisiger Kälte. Ich verspreche mir: Ich komme wieder.
Radierungen und Farblithografien

„In der Erschaffung des Menschen, wie sie uns bekannt ist, blies Gott ihm den Odem des Lebens ein, und in der jüdischen Tradition wird ein schlafender Mensch auf die Erde gebracht.“ Kantor Benjamin Chait von der Synagogengemeinde Saar fügt verschmitzt lächelnd an: „Wir waren auch nicht dabei“, als Elvers-Svamberk seine Kommentierung anfragt. Die Synagogengemeinde Saar hatte bei dieser Ausstellung mitgewirkt, um auf spezifisch jüdische Inhalte aufmerksam zu machen. Auf einem der Blätter, „Moses mit den Gesetzestafeln“, sind zwei goldgelbe Striche erkennbar. „Die Gesetzestafeln von Moses für das Volk Israel und die Menschheit sind eine schriftliche Überlieferung für die Ewigkeit. Daneben existiert auch eine mündliche Überlieferung“, sagt Benjamin Chait und liefert damit den Kunstexperten eine Interpretation für die goldgelben Striche. „Die Rolle der Frau im Judentum“, eine Begleitveranstaltung, die am 19. März in Zusammenarbeit mit der Synagogengemeinde Saar zustande kommt, bietet eine weitere Möglichkeit für einen Einblick in das Judentum.
„Die Präsenz Gottes wird bei Chagall durch Licht dargestellt“, erfahre ich. Als ich eine Menora als fünfarmigen Leuchter entdecke anstelle eines siebenarmigen, löst das etwas Erstaunen aus, aber auch wiederum nicht, weil Chagall den Namen Gottes spiegelverkehrt oder Hebräisch falsch geschrieben hat, wie zuvor erläutert wurde. Absichtsvolle Fehler mit Hintersinn. Chagalls Geheimnisse.
Wer hätte geahnt, dass zum Bestand des Saarlandmuseums über 500 Arbeiten auf Papier aus allen Schaffensperioden Marc Chagalls zählen? Zumindest seit ein Teil dieser Werke ans Licht geholt und ausgestellt wird, wissen wir davon.
Bereits die erfolgreiche Ausstellung „Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960“ hatte Schätze aus dem Bestand gehoben. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, die durch die Sammlung Kohl-Weygand und frühere kluge Ankaufspolitik bis heute Rang besitzt, zeigt mit „Marc Chagall – Die heilige Schrift“ erneut, dass sie die Kraft hat, vorzügliche Ausstellungen aus dem Bestand zu kreieren.