Dänemarks südlichste Insel Rømø versinkt in der Winterzeit in einer Starre. Der Schnee bleibt zwar nie lange, doch das Leben wird heruntergefahren. Die Chance für Nordsee-Fans, die es schroff und ruhig mögen.

Es ist brechend voll im „Café Hattesgaard“ – ein ehemaliger Kuhstall, weiß gekalkt, über dem das Reetdach wie eine flauschige Decke liegt. Draußen Schneegestöber, drinnen jede Nische dekoriert: Glasbehälter, Keramik, alte Kaffeedosen, Geschirr, vieles davon zum Verkauf. Einen freien Tisch findet nur, wer Geduld hat. Blickfang ist die beleuchtete Verkaufsvitrine: Mit Blüten dekorierte Torten und Kuchen hinter Glas lassen jeden das Portemonnaie zücken.
Inselweit bekannt sind die bunten Leckereien, die Betreiber Jens Møller Jensen und seine Frau von zwei Konditoren kreieren lassen. Jens kennt man, er ist der einzige ständige Polizist auf Rømø. Dass er im Winter Zeit hat, im Café als Kellner zu arbeiten, zeigt: Es ist nicht viel los auf Sylts nördlicher Nachbarin, wenn die Tage kurz sind. Man kann es lieben.

Rømø hat einen der breitesten Sandstrände Europas – im Winter menschenleer. Ferienhäuser, von denen es Hunderte auf der sechs mal 17 Kilometer großen Insel gibt, sind günstiger zu mieten als in der Hochsaison. Je nach Ausstattung und Gästezahl geht es bei knapp 300 Euro los, Wochenmiete wohlgemerkt. Dafür ist in mancher Ferienregionen selbst zur Randzeit kein Hotelzimmer zu bekommen. Weil gut 500 Menschen dauerhaft auf Rømø leben, kommt das öffentliche Leben nicht ganz zum Erliegen. Supermärkte haben geöffnet, manche Restaurants und auch der Fischimbiss am Hafen in Havneby, wo das ganze Jahr über die Fähren zwischen Rømø und dem nahen Sylt pendeln.
Ab der Kalenderwoche sieben erwacht Rømø zu vollem Leben – dann doch noch im Winter, der wegen des Meeresklimas nicht so streng ist. Jedem Dänen ist „KW 7“ ein Begriff. Es beginnen die ersten Schulferien des Jahres, und nicht nur die hyggeligen Cafés beginnen, sich zu füllen. Dann starten die Seehundsafaris, und auch das Inselmuseum öffnet wieder, wo ein Walskelett bestaunt werden kann, das an die Zeit der Walfänger erinnert.
Im Seetang kann man Bernstein finden

Eine perfekte Schlechtwetter-Aktion ist der Bernstein-Workshop. Im Naturcenter Tønnisgård, einem alten Kommandeurshof aus der Ära des Walfangs, haben die Workshop-Teilnehmer das Schleifpapier angesetzt. Jetzt verströmen die würfelgroßen Bernsteine einen Duft, der über 50 Millionen Jahre in dem versteinerten Baumharz gefangen war. Denn so alt ist Bernstein mindestens, sagt Mitarbeiter Per Holt.
Er reicht eine Tube Zahnpasta an den Arbeitstisch. Die enthaltenen Schleifpartikel sollen dem Schmuckstück, das bald am Lederband um den Hals hängt, den letzten Glanz verpassen. Manchmal, sagt Holt, werden durch die Politur auch Inklusionen sichtbar, Mücken oder Spinnentierchen, denen das klebrige Harz vor Urzeiten zum Verhängnis wurde. Auch Sammlerglück ist nötig, um mit selbstgefundenem Bernstein am Workshop teilzunehmen. Aber gerade in Herbst und Winter, nach den Stürmen, stünden die Chancen recht gut, im Seetang am Strand fündig zu werden, sagt Naturcenter-Leiterin Bente Bjerrum.
Für alle anderen hat sie sich mit Bernstein aus Minen im Baltikum eingedeckt – etwas unromantisch zwar, aber so kann der Workshop jederzeit angeboten werden. Kosten pro Person: 125 Dänische Kronen, was umgerechnet etwa 17 Euro entspricht. (Weitere Infos unter www.tonnisgaard.dk/de).

Spannend ist auch der Strandspaziergang. Der Strand bei Lakolk scheint mit einer zitternden Plastikplane überspannt – ein Wasserfilm, den der Wind über die weite Ebene peitscht. Die Brandung in der Ferne – unwirklich, bedrohlich, anziehend. Doch man wagt sich heran ans tosende Geschehen. Rund eine halbe Stunde Fußmarsch dauert es von Lakolk aus, wo einst der Rømø-Tourismus aufkam, bis hinaus zu den Wellen. Es geht in eine Welt aus Sand, säbelscharfen Windböen und Salz in der Luft, was Demut lehrt. Wobei: Manche kommen mit dem Auto, an Dänemarks Stränden ist das oft erlaubt.
Nur zu Fuß zu entdecken sind die geschichtlichen Spuren, die der Zweite Weltkrieg auf Rømø hinterlassen hat. Etwa 50 Bunker ließen die Nazis als Teil des Atlantikwalls zur Abwehr der Alliierten ab 1942 errichten. Einige sind heute unter den Dünen verschwunden, andere können Besucher bei geführten Touren betreten.

Wie zum Beispiel den Mammut-Bunker. Im Schein ihrer Taschenlampe erzählt Bente Bjerrum, die vom Naturcenter aus Touren ins Innere der mit Graffiti besprühten Betonklötze anbietet, von der Geschichte. Auch davon, dass Rømø bis zum Volksentscheid von 1920 deutsch war und es angesichts dieser gewählten Willkürlichkeit von Nationalitäten eigentlich um Völkerverständigung gehen sollte: „Wir sind doch alle Nachbarn und füreinander da.“
Bunkertouren dauern etwa zweieinhalb Stunden und kosten pro Person 145 Kronen, etwa 19,50 Euro. (www.tonnisgaard.dk/de/touren-und-aktivitaeten/bunkertour)
Austern in vielen leckeren Varianten

Auch ein tolles Erlebnis im Freien ist die Austern-Safari. Um 8.05 Uhr schießen uns vom Horizont die Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne entgegen. Beste Zeit, im Watt bei Havneby einen Schatz zu heben, der auf der Nachbarinsel Sylt in Restaurants teuer serviert wird, sagt Jesper Voss, der selbsternannte Austernkönig und Tourguide im Dienste der Edelmuschel.
Hat die Ebbe die Muschelbänke freigelegt, muss man die Austern nur noch aufsammeln. Und dabei höllisch aufpassen, denn ihre Kanten sind messerscharf. Bald sind zwei Eimer voll, Voss wäscht die Ausbeute im ansteigenden Meerwasser. Im Winter, vollgefressen vom Sommer, hätten die Weichtiere den besten Biss. Touren bietet Voss an, wenn das Meerwasser unter zwölf Grad hat und der Gezeitenkalender es zulässt.
Strandsegler finden beste Bedingungen

Dass Interessierte die Delikatesse – es handelt sich um die invasive Pazifische Auster – rund um Rømø im länderübergreifenden Nationalpark Wattenmeer pflücken können, liegt an den Regeln, sagt Voss: „Dem Nationalpark auf deutscher Seite darfst du nichts entnehmen, auf dänischer Seite schon.“ Im Anschluss an seine Touren bittet er zum Grill. Dann serviert er Austern-Eigenkreationen – wahlweise mit Blauschimmelkäse, Honig und Sandkorn in Wodka eingelegt oder Tomatenpesto, Schafskäse und Chili-Flocken. (Eine Austerntour mit Jesper Voss buchen unter oysterking.dk oder über Sort Safaris unter de.sortsafari.dk/ture/3303983008743719; eine Tour kostet 495 Kronen – gut 66 Euro – pro Person. Es gibt weitere Anbieter.) Saisonal servieren Rømø-Austern das „Restaurant Diget“ in Havneby und „Marsk Camp“ auf dem nahen Festland. Sportliche Urlauber sollten sich das Strandsegeln nicht entgehen lassen: rund acht Quadratkilometer platte Fläche und harter Sand, so weit das Auge reicht. Der Sønderstrand im Südwesten Rømøs ist das Terrain der Strandsegler. Vor allem in der Nebensaison ist freie Bahn. Spielt das Wetter mit, ist alles angerichtet. Die Strandjachten für alle auf Rømø sind Schalensitze auf drei Rädern mit Mast und Surfsegel obendrauf. Und nach viertelstündiger Einweisung geht die Post ab. Mittels Zug an einer Leine ändert sich der Anstellwinkel des Segels, so greift der Wind mal mehr, mal weniger hinein, ergo: Bremse und Gas. Und das ordentlich, denn bis zu 50 Stundenkilometer sind spielend erreicht. Der schwere Sand spritzt bröckchenweise. Mit jeder Wende wird der Segler sicherer. Der Ursprung des Strandsegelns reicht Jahrhunderte zurück ins Holland um das Jahr 1600. Als Freizeitsport nach Rømø kam es in den 1990er-Jahren. Das verwundert, denn die Bedingungen an einem der breitesten Strände Europas sind nahezu ideal – bis zu vier Kilometer sind es bei Ebbe von den Dünen bis zum Meer. Strandsegeln-Anbieter wie Kite Syd (www.kitesyd.dk), Danfun (danfun.dk) und Our Stuff (ourstuff.dk) stellen ihre Stände erst zur Hauptsaison vor Ort auf, wenn die Verhältnisse stabil sind. Doch Termine lassen sich auch in der Nebensaison vereinbaren. Eine Stunde kostet ab 375 Kronen (50 Euro). Kinder ab vier Jahren dürfen im doppelsitzigen Strandsegler mitfahren.

Pferdefreunde finden auf Rømø ideale Möglichkeiten für Ausritte. Besucher könnten sich eingeschüchtert fühlen, denn Jette Frisch ist Profi: Seit 48 Jahren reite sie, sagt die Frau mit Wollmütze, Schal- und Fleece-Jacke, als sie zur Trockenübung in einer Blockhütte der Ranch auf Holzpferde bittet. Im Sattel eines lebendigen Islandpferdes schließlich läuft aber alles wie am Schnürchen. Einweiserin Jette reitet auf ihrem Ross vorweg, es folgen die anderen Tiere ihrer Linie wie ferngesteuert und ignorieren dabei typische Kommandos wie Fersenstupser und Zügellupfer weitgehend. Anders ausgedrückt: Reittechnisch ist dieser Ausritt auf Rømø mit den konditionierten Pferden keine Herausforderung, dafür aber eine recht sicherere Unternehmung für die ganze Familie. „Ab etwa sechs Jahren ist das möglich“, sagt Jette. So bleibt viel Aufmerksamkeit für die Natur, die nicht so ursprünglich ist, wie sie wirkt. Es geht durch einen Märchenwald mit dicken Mooskissen und grüngräulichen Flechten unter knorrigen Kiefern. Tümpel wie schwarze Spiegel, querliegende Stämme.
Klingt nach Urwald, doch man muss wissen: So verwunschen wie der Forst wirkt, so künstlich ist er. Bis in die 1920er-Jahre war die Insel fast baumlos – bis Kiefern zum Schutz landwirtschaftlich genutzter Flächen gepflanzt wurden. So erklärt sich, dass die Waldstücke Trismark, Kirkeby und Vrådby bis heute „Plantagen“ genannt werden.
„Hier ist der höchste Punkt Rømøs.“ Jette deutet auf eine scheinbar beliebige Düne. Aus dem Sattel und die 50 Holzstufen hinauf: Die 19 Meter Höhe des Spidsbjergs genügen für einen 360-Grad-Überblick über Insel, Moore und Dünenheide bis zum Meer. Auch am Strand lassen sich Ausritte buchen, und bei Niedrigwasser geht es sogar ins Watt – zur Gezeiteninsel Mandø.
Kommandørgårdens Islændercenter bietet Touren an. Kosten ab 345 Kronen pro Person – rund 46 Euro – im Internet unter www.kommandoergaarden.dk/de/korte-rideture. Alternative ab März ist die Rømø-Ponyfarm (romo-ponyfarm.com). Zudem gibt es den Reiterhof Thomsen (www.sigurd-thomsen.com).