Die Tierrechtsaktivistin Samara Eckardt lernte jahrelang die Abläufe in einem mittelgroßen Ferkelzuchtbetrieb kennen und verschaffte sich auch Einblicke in gigantische Massenzuchtanlagen. Im Interview spricht sie über alleingelassene schwerstverletzte Tiere, das brutale Töten durch CO2-Gas und das tagelange Schreien der Sauen.

Frau Eckardt, Sie haben es geschafft, dass der Betreiber der Ferkel Meyer Rehr KG in Niedersachsen Sie drei Jahre in seinem Betrieb hat mitarbeiten lassen. Warum wollten Sie das?
Ich lebe schon sehr lange vegan und habe irgendwann ein großes Ohnmachtsgefühl beim Thema Tierausbeutung empfunden. Ich wohnte auf dem Land, kannte diese Betriebe und hörte die Tiere, wenn ich da direkt vorbeigefahren bin. Ich habe mich immer gefragt, was da passiert und ob ich nicht mehr tun kann. Man sieht die Tiere nie. Ich wollte lernen, einzuschätzen, wie schlimm es wirklich ist. Welche Menschen machen das? Ich wollte es verstehen und mitreden. Ich war damals Lehrerin und habe dem Landwirt gesagt, dass wir Betriebe suchen, die mit der Schule kooperieren. Um zum Beispiel Schüler als Praktikanten hinzuschicken. Er hat sich darüber gefreut und mich eingeladen, um den Betrieb zu besichtigen. Ich war überrascht, wie offen er war. Normalerweise versteckt sich die Tierindustrie immer, nicht ohne Grund.
Wie war das, als Sie zum ersten Mal in den Betrieb reingegangen sind?
Das war ein traumatisierender Moment für mich. Er hatte 300 Sauen. Diese Tür wurde aufgemacht und seitdem hat sich mein Leben komplett geändert. Ich habe es gesehen und konnte es nicht verstehen. Es öffnete sich eine Höllentür nach der anderen. Die Geräusche, der Geruch, alle Sinneswahrnehmungen sind maximal auf Horror. Dieses Dissoziieren von Menschen am Supermarktregal ist nachvollziehbar. Aber dort jeden Tag zu sein und da zu arbeiten … Nach dem Besuch wollte ich in psychologische Behandlung, weil ich dachte, das kann ich nie wieder verarbeiten. Diese leeren und gebrochenen Augen der Tiere.
Wie haben Sie den Hofbetreiber erlebt?
Ich hab diesen Mann gesehen, der müde und alleine war, ein ultra einsamer und trauriger Mensch. Ein Mensch mit wenigen Emotionen, wenig Freude. Bösartigkeit konnte ich bei ihm nicht sehen, keine Aggression. Eigentlich ein Mensch, mit dem ich ein Stück weit Mitleid hatte. Der wollte das nicht, das war nicht sein Traumjob, der war da reingeraten. Er hatte einen extrem hohen Funktionsmodus. Ich hatte mir einen schlechteren Menschen vorgestellt. Ich hatte früher so eine Wut auf die Menschen, die in diesem Gewaltsystem ein aktives Rad sind. Der Mann sagte: Das war immer so. Er hat das nicht reflektiert, was bei den Tieren los ist. Schwerste Verletzungen wurden nicht gesehen. Da waren Ferkel mit teilweise faustdicken Gelenken, sehr weit fortgeschrittenen Entzündungen oder blutigen Schwänzen, wo sich die Entzündungen bis in die Beine gezogen haben. Der machte einfach weiter. Er musste sehr hart zu sich selbst sein. Das ist so ein Funktionsmodus, in den bin ich auch irgendwie reingekommen. Man kommt rein, zieht die Arbeitskleidung an und dann kommt dieser Modus. Biomechanisch hat bei mir was Ähnliches eingesetzt.
Konnten Sie ihn nicht auf das Leid der Tiere aufmerksam machen?
Er hat ja die verletzten und kranken Tiere gesehen, die ich rausgezogen habe. Ich habe neulich mal zusammengerechnet, wie viel Geld ich für Euthanasie ausgegeben habe. Irgendwann habe ich dann angefangen, meinen Tierarzt anzurufen, um die Tiere einzuschläfern. Weil der Inhaber keinen Bedarf gesehen hatte, schwer verletzte Tiere einzuschläfern. Das hat nichts mit ihm gemacht. Das hat sich nicht auf irgendeine Gefühlsebene übertragen. Er war absolut abgestumpft. Er hat nie was verändert, es wurde nur immer schlimmer. Und das ist nicht nur bei ihm so. Ich habe mal mit Landwirten gesprochen, die Kühe hatten und die sagten: „Wenn die Kuh freitags sterbend da liegt, dann kommt kein Notschlachter. Dann bleibt die Kuh liegen. Und wenn sie montags noch lebt, dann krieg ich noch 1.400 Euro für das Tier.“ Das System ist der Horror.
Wie haben Sie diese drei Jahre verkraftet?
Der Hof war der Horror, aber was mich immer wieder reingetrieben hat, war, dass ich wusste, ich kann immer wieder rausgehen, aber die Tiere nicht. In den Betrieb so reinzukommen, war eine einmalige Gelegenheit. Es ging nicht um mich, sondern um viel mehr. Deshalb bin ich immer wieder rein. Um alles zu tun, damit die Menschen das endlich sehen. Viele wollen es nicht sehen. Dann hatte ich die Hoffnung, dass er aus der Schweinehaltung aussteigt. Er sagte manchmal, dass er das nicht länger möchte, aber er müsste etwas Handfestes haben. Ich habe mich dann intensiv mit Alternativen für den Sauenstall beschäftigt. Aber es war für ihn nicht so einfach, denn sein Bruder hing noch mit drin, er hatte die Mastställe für die Ferkel, die er von dem Hofbesitzer bekam. 8.000 Ferkel im Jahr. Wenn also der Schweinezüchter aufgehört hätte, hätte sein Bruder die Ferkel nicht mehr bekommen, und hätte sie importieren müssen. Die Abhängigkeit war extrem hoch. Da hört man nicht so einfach auf.

Ich habe dann die Gesetzesverstöße auch dokumentiert, falls er nicht umstellt. Drei Jahre lang. Ich hatte eine Zeit lang gehofft, dass, wenn ich hier rausgehe, hole ich die Tiere mit und den Mensch aus seiner misslichen Lage raus. Er war auch Opfer des Systems, aber auch Täter. Ich habe ihm trotzdem die Hand gereicht. Man muss schon einiges zusammentragen, wegen einer einzigen sterbenden Muttersau tut das Veterinäramt nichts. Die ordnen höchstens eine Euthanasie an. Er hat sich dann schlussendlich gegen die Veränderung entschieden. Ich habe es dann zur Anzeige gebracht, das Ganze läuft gerade.
Sie sind dann noch in andere Betriebe reingegangen …
Ja, ich wollte wissen, wie das in größeren Betrieben läuft. Ich habe mich unter der Hand bei zwei Betrieben beworben. Die haben mich zum Probearbeiten eingeladen und mir die Betriebe gezeigt. Das war fabrikähnlicher, einer mit 7.000 der andere mit fast 10.000 Sauen. Dort haben dann auch viel mehr Menschen gearbeitet.
Was haben Sie erlebt?
In einem der Betriebe gab es eine CO2-Box, in der die schwachen Ferkel getötet worden sind. In dem kleineren Betrieb, wo ich vorher war, wurden die schwachen und kranken Ferkel einfach liegen gelassen. Wenn ich morgens reinkam, lagen da immer zehn bis 20 schwer verletzte Ferkel rum. Die gerade noch so atmen oder am Erfrieren sind. Diese Haltungssysteme sind so lebensverachtend. Da ist immer Notstand und Leid.
Wie ist das mit der Tötung von Ferkeln denn gesetzlich geregelt?
Offiziell darf man die Ferkel so töten, indem man sie kopfüber hält und dann mit einem schweren Gegenstand ins Genick schlägt, um sie zu betäuben. Oft ist das eine Eisenstange. Bei dieser Tötungsart dürfen sie nur bis zu zwei Wochen alt sein. Wen man Glück hat, ist das Ferkel dann betäubt. Ich habe es oft gesehen, dass es nicht klappt, dass die nachschlagen müssen oder dann einfach den Kehlschnitt machen, auch wenn sie nicht betäubt sind. So ist es vom Tierschutzgesetz vorgesehen. Aber in der Tierindustrie werden auch Tiere getötet, die nicht getötet werden müssen. In der Tierindustrie haben die Tiere wenig Daseinsberechtigung.
Wie war das dann mit der CO2-Box in dem größeren Betrieb?
Ich fragte die Betriebsleiterin, ob die Ferkel einschlafen, wenn das CO2 einströmt. Sie meinte, nein, das wäre richtig schlimm. Viele wollen das nicht machen. Sie und eine Kollegin machten das. Die schmeißen die Ferkel in die Box rein, Deckel zu, Knopf an, und dann gehen die raus und machen die Tür zu, damit man nichts hört. Denn die Schweine schreien dann richtig laut und bäumen sich auf. Die Ferkel kämpfen noch etwa zwei Minuten um ihr Leben. 70 bis 80 Prozent der Schweine in Deutschland werden auf diese Art betäubt, bevor sie geschlachtet werden. Sie ersticken in CO2. Die Tiere bekommen extreme Erstickungsängste, sie verletzen sich schwer, weil sie versuchen, rauszukommen und ihre Köpfe gegen die Metallstangen schlagen. Es handelt sich hier um eine Art Rondelle, die in CO2-Schluchten runterfahren, wo das Gas ist. So werden die betäubt. Die Tiere wollen nicht in den Schacht gehen, sie bekommen Panik und schreien. Die Mitarbeiter treiben sie dann mit Stromstöcken nach vorne. Sie machen das immer und immer wieder, damit die Tiere vorwärts gehen. Auch beim Verladen. Die Menschen sind überfordert und werden aggressiv gegen die Tiere.

Was haben Sie noch beobachtet in den großen Betrieben?
Es passieren viele schlimme Sachen. Aber was mich nachhaltig geprägt hat, ist dieser legitime Alltag in der Dunkelheit, diese Ausbeutung. Was es zum Beispiel auch für eine Muttersau bedeutet, jahrelang auf Spaltenböden zu leben. Der schlimmste Moment ist der, wenn den Muttersauen die Kinder weggenommen werden. Die Mütter werden während der vierwöchigen Säugezeit der Ferkel im Ferkelschutzkorb voll fixiert. Wenn sie danach dann zurück in den Stall gehen, fallen sie hin. Sie können kaum mehr laufen, weil sie so lange fixiert waren. Sie laufen ja in ihrem Leben sowieso kaum, sind deshalb schlecht bemuskelt, die Körper sind verzüchtet und ausgemergelt, die Gesäuge hängen auf dem Boden. Dann torkeln sie zurück in die Gruppenhaltung und freuen sich, dass sie sich mal bewegen können. Dann registrieren sie, dass sie nicht zu ihren Kindern zurück können und fangen an zu schreien. Drei bis vier Tage durchgehend schreien diese Mütter. Ich glaube, kaum jemand hat mal eine Muttersau schreien hören, das geht durch Mark und Bein. Das ist schlimmer als jeder Horrorfilm, den ich je geschaut habe. Und wenn man dann einen Tag später kommt, nachdem man ihnen die Kinder genommen hat, und macht die Tür auf, dann laufen die alle wie in Panik zur Tür als würde der Raum voll Wasser laufen. Sie wollen da raus, bäumen sich übereinander und schreien einem entgegen, die wollen einfach nur zurück zu ihren Kindern. Dass die Tierindustrie das schafft, dass die Leute das nicht mehr checken, dass die Tiere so eine große Liebe zu ihren Kindern haben, das finde ich so erschreckend. Die Tierindustrie erzählt nur Märchen. Ich möchte, dass sie die Hüllen fallen lässt und endlich zeigt, was sie mit Lebewesen macht. Jede mitarbeitende Person ist gewaltvoll an Tieren. Das ganze System sieht nur Gewalt für Tiere vor.
Was ist mit den Tierschutzsiegeln?
Davor warne ich. Da kann man sich nicht drauf verlassen. Selbst Demeter erlaubt, dass Kühe angebunden werden. Ich habe es selbst gesehen. Ich habe einen Hof besucht, die Kühe waren wund gelegen, vorne mit schweren Ketten fixiert. Alles weiß sich so gut zu verkaufen. Jedes Biosiegel hat Schlupflöcher. Ich habe in das Gesetz wenig Hoffnung, ich hoffe, dass man die Menschen erreicht. Ich war sehr überrascht, wie viele Leute der Schweinefilm erreicht hat, den wir gemacht haben (siehe Infokasten). Egal, in welcher Haltungsform, es ist falsch, Tiere auszubeuten und zu unterdrücken.