Schweine gehören zu den klügsten Tieren der Erde. Sie verfügen über eine hohe soziale Kompetenz, sind mitfühlend, kreativ und schlichten schon mal einen Streit unter Artgenossen. Dennoch fristen Milliarden Schweine weltweit ihr Leben unter fürchterlichen Bedingungen.

Das Schwein gilt als eines der schlausten Tiere der Erde. Damit kommt es direkt nach Menschenaffen, Delfinen und Elefanten. Schweine erweisen sich in Studien zudem im Gegensatz zu anderen Tieren als erstaunlich sozial und empathisch. Das zeigt, dass Schweine dem Menschen nicht nur genetisch tatsächlich sehr ähnlich sind, sondern auch, was das Sozialverhalten betrifft. Es sind Eigenschaften, die viele Menschen auf den ersten Blick nicht vermuten – vor allen Dingen dann nicht, wenn sie sich vom negativen Image des schmutzigen, dummen Müllschluckers in die Irre führen lassen, das dem Schwein völlig zu Unrecht anhaftet.
Der tatsächliche Bezug zum Lebewesen Schwein wird in der westlichen Welt immer kleiner. Bis in die Nachkriegszeit gehörten Schweine etwa in Deutschland – besonders in ländlichen Gegenden – vielerorts noch zum Alltag. Von der Aufzucht bis zur Schlachtung der Tiere hielten viele Haushalte als Selbstversorger ein bis zwei Schweine, zu denen sie nicht selten einen emotionalen Bezug hatten. Das Tier und auch sein Fleisch besaßen einen Wert.
Vor 10.000 Jahren domestiziert
Heute ist das Schwein hinter hohen Mauern verschwunden, die Massentierhaltung hat das Schwein unsichtbar und sein Fleisch günstig gemacht. Kaum jemand bekommt noch ein echtes Schwein zu Gesicht. Der Preis, den die Tiere dafür zahlen, ist enorm.
Die Geschichte des Hausschweins, das wir heute kennen, beginnt vor etwa 10.000 Jahren. Sie ist eng verbunden mit der Sesshaftwerdung des Menschen. Schon in den Jahrtausenden zuvor hatten sich Wildschweine und ihre Vorfahren von Asien aus in Europa ausgebreitet. Unabhängig voneinander kamen auf diese Weise nicht nur in China, sondern auch in Mittel- und Südeuropa Wildschweine mit Menschen in Kontakt, die sich niedergelassen hatten und frühe Formen der Landwirtschaft betrieben. Wilde Schweine, die für Nomaden als Wanderherden zuvor ungeeignet waren, rückten in den Fokus. Sie wurden gefangen und als Nutztiere gehalten. Als Haustiere wurden sie immer wieder vermehrt und gezüchtet. Durch die Selektion von Tieren, die weniger scheu und leichter zu halten waren, entwickelte sich dadurch im Laufe der Jahrtausende das Hausschwein.
Der Speiseplan des Hausschweins war schon immer breit gefächert, was nicht zuletzt einen großen Teil seiner außergewöhnlichen Anpassungsfähigkeit ausmacht. Vor allen Dingen im Wald, wo die frühen Hausschweine häufig gehalten wurden, konnten sie Kastanien, Nüsse, Eicheln, Bucheckern, Haselnüsse oder Wildfrüchte verspeisen. Durch das Wühlen mit dem Rüssel in der Erde stöberten sie außerdem Pilze oder Wurzeln auf, fraßen aber auch kleine Tiere wie Würmer, Insektenlarven, Schnecken und sogar Mäuse oder kleine Vögel. In der Nähe des Menschen profitierten außerdem beide Seiten von der Fütterung von Essensabfällen: Das Schwein zeigte sich angetan davon, der Mensch war froh über die gewissenhafte Entsorgung verderblicher Reste.
Mehr Riechzellen als ein Hund
Hausschweine leben, wenn man sie lässt, auch in ihrer domestizierten Form noch wie ihre wilden Vorfahren: Am liebsten in familiären Gruppen mit einer klaren Rangordnung auf Feldern oder in Wäldern. Ihre schlechte Sehkraft wird dabei von ihren anderen Sinnen ausgeglichen. Schweine hören sehr gut und haben einen ausgeprägten Geruchssinn. In ihrem Rüssel befinden sich mehr Riechzellen als in der Nase eines Hundes. Die Kommunikation in der Gruppe erfolgt unter anderem über ein System von über 20 verschiedenen Lauten, mit denen sie ausdrücken, dass ihnen etwas nicht gefällt oder dass sie einer Sache zustimmen.
Spätestens mit dem Einsetzen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderte sich die Geschichte des Hausschweins nach und nach auf drastische Weise. Schweine wurden zunehmend in geschlossenen großen Ställen gehalten, Ertragsmaximierung stand, nicht zuletzt wegen gestiegener Bevölkerungszahlen, an erster Stelle. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland die ersten großen Schlachthöfe. Die gezielte Schweinezucht, die ebenfalls zu dieser Zeit forciert wurde, hatte das Ziel, die Tiere auf bestimmte Merkmale hin zu optimieren, wie etwa die Fleischproduktion, das Wachstum, die Robustheit. Heute gibt es weltweit zwar eine große Vielfalt an Schweinerassen, in der Massentierhaltung dominiert aber eine kleinere Zahl von Rassen, die besonders schnell wachsen und eine hohe Fleischproduktion ermöglichen. Lange glichen die Hausschweine in ihrem Aussehen noch den Wildschweinen, die Form, wie wir sie heute kennen, ist erst das Resultat dieser Züchtungen.

Eine von vielen Selbstverständlichkeiten in der heutigen Gesellschaft ist eine gut gefüllte Fleischtheke. Man findet dort das Fleisch von Geflügel, Rindern und vor allem eben auch Schweinefleisch. Die Fleischproduktion ist zum Wirtschaftsfaktor geworden. Mehr als 99 Prozent der Schweine in Deutschland leben heute unter den Bedingungen der konventionellen Tierhaltung, die nichts mehr mit der ursprünglichen Lebensweise der Tiere zu tun hat und die sich seit dem Einsetzen der industriellen Schweinezucht weiter drastisch verschlimmert hat.
Ihr entsprechend kurzes Leben verbringen die Hausschweine hinter verschlossenen Türen in großen Mastbetrieben, wo ihre Sozialisierung stark eingeschränkt ist. Durch die beengten Platzverhältnisse und das Fehlen von sozialen Bindungen leiden viele Schweine unter enormem Stress und Verhaltensstörungen.
120 Kilogramm wiegt ein Mastschwein im Schnitt, wenn es geschlachtet wird. Ungefähr 80 Prozent des Gewichts gelangen als Fleisch auf den Markt und liegen dann etwa als Kotelett, Haxe, Filet oder Rippchen im Supermarkt. In Deutschland steht Schweinefleisch auf Platz eins auf der Beliebtheitsliste. 27,5 Kilogramm Schwein wurden hier laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Jahr 2023 pro Person gegessen. 43,8 Millionen Schweine wurden dafür in einem Jahr in Deutschland gezeugt, gemästet und geschlachtet.
Das Tier ist zur Ware geworden: Ein typischer Produktionszyklus in der Schweinehaltung dauert etwa 305 Tage. Er beginnt für das Schwein mit der Befruchtung und endet mit dem Transport zur Schlachtung. Geschlachtet werden Schweine im Alter von ungefähr acht Monaten, sofern sie nicht zur Zucht eingesetzt werden. Dabei könnte ein Hausschwein durchaus ein Alter von bis zu 20 Jahren erreichen. Eine zur Vermehrung benutzte Sau bringt nicht selten bis zu 100 Ferkel zur Welt, bevor sie nach vier Jahren aussortiert und dann ebenfalls geschlachtet wird. Den größten Teil ihres Lebens verbringen die Tiere in viel zu engen Gitterkäfigen, im sogenannten Kastenstand.
Die Schweinemastbetriebe gleichen heute Fabriken, die für die Öffentlichkeit meist tabu sind. Einen konkreten Bezug zum Tier hinter dem Fleischstück, wie es vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war, haben die meisten nicht mehr. Kein Wunder also, dass weder das Wesen der Tiere noch die deprimierende Realität der Millionen Schweine, die jedes Jahr in Deutschland gezeugt und geschlachtet werden, im allgemeinen Bewusstsein verankert sind. Die Diskrepanz zwischen der industriellen Schweineproduktion, bei der ein Schwein nur als wirtschaftlich relevantes Lebensmittel eine Rolle spielt, und dem Tier als fühlenden Lebewesen ist enorm geworden.

Dennoch tauchen in den Medien immer wieder einzelne Schweine und vor allen Dingen ihre besonderen Fähigkeiten auf. So wurde etwa ein malendes Schwein namens Pigcasso weltberühmt, das bis zu seinem Tod im Jahr 2024 mit einem Pinsel in der Schnauze abstrakte Kunstwerke auf die Leinwand brachte. In den 1980er-Jahren wurde ein Schwein namens Luise sogar verbeamtet, weil es als Drogenspürschwein erfolgreich tätig war.
In der Karibik ist seit einiger Zeit eine außergewöhnliche Ansiedlung von Schweinen zum Touristenmagneten geworden. Die schwimmenden Schweine der Bahamas haben weltweite Berühmtheit erlangt. Dort bevölkert eine Gruppe von Schweinen den Strand einer kleinen Insel, der mittlerweile den Namen Pig Beach trägt. Den Touristen, die extra der Schweine wegen anreisen, schwimmen die Tiere nicht selten bereits in Erwartung der mitgebrachten Snacks freudig entgegen.
Leiden mit Artgenossen mit
Auch wenn solche berühmten Ausnahmeschweine – oder auch die zahlreichen Videos von süßen Ferkelchen oder kleinen Minischweinen auf Tiktok – zwar wahrscheinlich nicht viel Einfluss auf die Lebensbedingungen ihrer Artgenossen haben, so schaffen sie womöglich doch ein Bewusstsein dafür, was für vielfältige Lebewesen Schweine tatsächlich sind. Wo dieses Bewusstsein auf jeden Fall angekommen ist, ist in der Forschung: Schon länger steht das Schwein im Mittelpunkt vieler Projekte rund um die kognitiven Fähigkeiten und das Sozialverhalten der Tiere, in denen es nicht zuletzt darum geht, Schweinen eine Haltung zu ermöglichen, die ihren Bedürfnissen angepasst ist.
Ähnlich wie etwa die Bahamas-Schweine würden auch Hausschweine natürlicherweise in einer Gruppe von ungefähr 30 Tieren leben. Diese setzt sich hauptsächlich aus weiblichen Tieren und Ferkeln zusammen, während Eber in kleineren Gruppen für sich leben. Die Familienbande sind bei Schweinen stark. Die Tiere sind dazu in der Lage, ihre eigenen Verwandten zu erkennen. Auch der soziale Faktor spielt dabei eine Rolle. Schweine sind aufmerksame Beobachter mit feinen Antennen.
Biologe und Buchautor Mario Ludwig sagte dazu im Gespräch mit Radio Bremen: „Wenn andere Schweine sich streiten, gibt es Schweine, die als Schlichter dazwischen gehen.“ Um sich wieder zu versöhnen, drücken Schweine anschließend ihre Nasen aufeinander oder legen den Kopf beieinander ab. Besonders tragisch ist im Kontext der Massentierhaltung auch die Tatsache, dass Schweine grundsätzlich zu Empathie fähig sind. „Schweine fühlen den Schmerz mit, wenn ein Artgenosse leidet. Schweine werden ängstlich, wenn sie sehen, dass ein Artgenosse Angst empfindet“, sagt Mario Ludwig.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Tiere eine hohe kognitive Kapazität besitzen und in der Lage sind, Probleme zu lösen, sich an komplexe Aufgaben zu erinnern und sogar ihr eigenes Spiegelbild zu erkennen – eine Fähigkeit, die sie in der Tierwelt mit nur wenigen anderen Tieren teilen und nahelegt, dass Schweine ein Ich-Bewusstsein besitzen.
Tierwohlforscherin Sara Hintze, die sich mit dem Wohl von Nutztieren beschäftigt, untersuchte zudem ab dem Jahr 2020, ob Mastschweine in der kargen Umgebung der konventionellen Schweinehaltung Langeweile empfinden und darunter leiden können und kam bei den ersten Auswertungen der Studie zum Resultat, dass nicht nur Stress, sondern auch Langeweile die Tiere belastet. Dabei gehe es um die Art von chronischer Langeweile, die bei Menschen beispielsweise Depressionen auslöse, betont Hintze.
Einen anderen Ansatz wählt das Clever Pig Lab, das Schweine in einem möglichst natürlichen Lebensraum beobachtet. Eine Gruppe von knapp 40 Kunekune-Schweinen – eine neuseeländische Rasse – lebt in Freilandhaltung und wird unter der Leitung von Marianne Wondrak studiert. Dabei geht es auch um die sozialen Gefüge der Schweine untereinander, die in der Massentierhaltung nicht ausgelebt werden können. Bisherige Beobachtungen haben gezeigt, dass die Schweine in komplexen sozialen Strukturen leben, die bis hin zu Freundschaften reichen.
Dass Schweine schmutzige Tiere sind, ist übrigens ein Vorurteil. Die Tatsache, dass sie sich gern im Schlamm suhlen, hat nämlich einen eher reinigenden Effekt. Einerseits schützt der Schlamm vor der Sonne, andererseits werden mit dem getrockneten Schlamm später auch Parasiten von der Haut entfernt.
Suhlen zur Hautpflege

Eine weitere spezielle Eigenschaft der Tiere hat sich für sie selbst als wenig vorteilhaft erwiesen. Schweine gelten als eine der wenigen Tierarten, deren Anatomie und Physiologie der des Menschen sehr nahekommt. Das Herz-Kreislauf-System, der Verdauungstrakt, die Hautstruktur und viele andere körperliche Merkmale ähneln denen des Menschen, was sie zu idealen Objekten für die Untersuchung von Herzerkrankungen, Diabetes, Hautkrankheiten oder chirurgischen Eingriffen macht. In der Forschung wird dabei auf die Größe der Tiere und die Ähnlichkeit ihrer Organe zurückgegriffen: Das Herz eines Schweins ist dem menschlichen Herz sehr ähnlich, ihre Hautstruktur ist oft ein Modell für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden bei Brandwunden oder Hauterkrankungen. Auch die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen erfolgt häufig an Schweinen, da die Tiere in der Lage sind, ähnliche physiologische Reaktionen wie Menschen auf Arzneimittel zu zeigen.
Die Haltung von Schweinen in Laboren ist dabei ebenfalls häufig auf kleinste Käfige und eingeschränkte Bewegungsfreiheit reduziert, was den Tieren auch in dieser Umgebung großen Stress und Leid zufügt. Minischweine, die heute oft Haustiere sind, wurden extra zu dem Zweck gezüchtet, sie platzsparender im Labor halten zu können.
Der ethische Konflikt zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, Lebensmittelproduktion, Wirtschaftsfaktor und dem tatsächlichen Wohl der Tiere bleibt bestehen und ist aktuell wohl größer denn je. Der Ruf nach der Entwicklung von Alternativen und Veränderungen im Umgang mit den unterschätzten und unverstandenen Tieren wird lauter – und wird hoffentlich gehört.