Im Frankfurter Stadtteil Praunheim machten Archäologen einen Sensationsfund. Es handelt sich dabei um ein Amulett samt darin eingerollter Silberfolie. Der dort eingravierte Text konnte nun dank modernster Technik lesbar gemacht werden.
Es war schon ziemlich ungewöhnlich, dass nicht die eigentlich zuständigen Wissenschaftler, sondern Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef die breite Öffentlichkeit im Dezember 2024 über eine spektakuläre archäologische Entdeckung auf dem Territorium der Main-Metropole informiert hatte. „Es ist eine Sensation“, so Josef. Der Dezernent für Planen und Wohnen, Prof. Marcus Gwechenberger, setzte noch einen drauf: „Der älteste Christ nördlich der Alpen war ein Frankfurter!“ Doch dieses Statement muss mithilfe von bereits angelaufenen sogenannten archäometrischen Untersuchungen, beispielsweise dem Einsatz der Strontiumisotopie für Zähne oder Einlagerungen in den Langknochen, noch bestätigt werden. Erst nach Abschluss dieser Arbeiten wird endgültige Klarheit darüber vorliegen können, wer der etwa 35 bis 45 Jahre alte Mann tatsächlich war, dessen körperliche Überreste bei archäologischen Grabungen 2017/2018 im Vorfeld von Neubaumaßnamen auf dem Gelände eines vormals ausgedehnten antiken Bestattungsareals aufgefunden worden waren.
2018 wurde das Grab des Mannes entdeckt
Anhand der stilistischen Merkmale zweier sakraler Beigaben, einem Räucherkelch und einem Tonkrug, konnte in dem 2018 freigelegten Grab 134 des Gräberfeldes „Heilmannstraße“ die Bestattungszeit des Mannes zwischen 230 und 270 eingegrenzt werden. Erst beim sorgfältigen Reinigen des Skeletts waren die Archäologen auf den Sensationsfund gestoßen. Denn sie entdeckten unterhalb des Kinnknochens ein kleines, 35 Millimeter langes und neun Millimeter breites, kapselförmiges Silberamulett, dass der Verstorbene wohl an einem Band um den Hals getragen haben musste. Die Forscher identifizierten es schnell als sogenanntes Phylakterium, ein am Körper getragenes Behältnis mit magisch-schützendem Inhalt. Im Archäologischen Museum Frankfurt standen die Wissenschaftler in der Restaurierungswerkstatt allerdings nun vor dem Problem, wie man das Amulett öffnen könnte, ohne das über die Jahrhunderte aller Wahrscheinlichkeit nach sehr fragil gewordene Innenleben zu zerstören. Erste mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen in den Jahren 2019 und 2020 gaben Auskunft darüber, dass in dem Amulett eine hauchdünne und eingerollte Silberfolie samt Inschrift enthalten war.
Allen Beteiligten war bewusst, dass man die durch die lange Zeit im Boden brüchig und spröde gewordene Silberfolie nicht einfach erfolgreich manuell entrollen konnte. Es musste nach Alternativen auf Basis modernster Technik gesucht werden. Und dabei kam dann das Leibniz-Zentrum für Archäologie (Leiza) in Mainz ins Spiel, das einen hochmodernen Computertomografen für genau solche diffizilen Zwecke hergestellt hatte. „Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach 1.800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war“, so Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am Leiza.

„Mittels des CTs konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen.“ Im Mai 2024 gelang damit der entscheidende Durchbruch, wobei die Leiza-Spezialisten zusätzlich eine neue, speziell für dieses Objekt entwickelte Analysemethode eingesetzt hatten, mit deren Hilfe einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück aneinander gereiht werden konnten, um dadurch sämtliche Wörter der Inschrift sichtbar machen zu können. Erst durch diese digitale Entrollung der 91 Millimeter langen Silberfolie konnte das Script zur weiteren wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung gestellt werden. Wobei an einzelnen Randpartien durch die lange Bodenlagerung einige Textpassagen beschädigt und daher verlustig gegangen waren.
An dieser Stelle des offiziell als „Frankfurter Silberinschrift“ titulierten Fundes tritt der gefeierte Wissenschaftler Prof. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität ins Geschehen ein. Der international als Experte für lateinische Inschriften geltende Archäologe hatte laut eigenen Angaben für die Entschlüsselung des aus 18 Zeilen bestehenden Textes ein gutes halbes Jahr benötigt. Wobei er darauf hingewiesen hatte, dass er sich für die Interpretation der größtenteils auf Latein verfassten Inschrift Unterstützung aus dem Lager anderer Disziplinen besorgt hatte. Dabei hatte er unter anderem ausdrücklich den an der Frankfurter Goethe-Universität lehrenden Althistoriker Prof. Hartmut Leppin, den Byzantinisten Dr. Benjamin Fourlas vom Leiza, Dr. Carsten Wenzel vom Archäologischen Museum Frankfurt und auch den Kirchenhistoriker Prof. Wolfram Kinzig von der Universität Bonn namentlich erwähnt.
Schon nach dem ersten flüchtigen Überfliegen des Textes hatte Prof. Scholz die Erkenntnis gewinnen können, dass es sich bei der Silberinschrift um eine einmalige Entdeckung handeln musste, da es sich dabei um einen rein christlich deutbaren Inhalt gehandelt hatte. Das war für diese Zeit an einem Ort wie Nida absolut außergewöhnlich. Dadurch liegt mit der „Frankfurter Silberinschrift“ nun der früheste authentische Nachweis des Christentums nördlich der Alpen vor.
Christliche Geschichte zurückgedreht
„Die ‚Frankfurter Inschrift‘ ist eine wissenschaftliche Sensation“, so Oberbürgermeister Mike Josef. „Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen. Der erste christliche Fund nördlich der Alpen kommt aus unserer Stadt.“ Auch Prof. Scholz bestätigte die Einschätzung, dass die bislang bekannten evidenten christlichen Zeugnisse mindestens 50 Jahre jünger als die „Frankfurter Silberinschrift“ einzuordnen sind.
„Die Praunheimer Silberinschrift ist eines der ältesten Zeugnisse für die Verbreitung des Neuen Testaments im römischen Germanien, denn sie zitiert Philipper 2,10-11 in lateinischer Übersetzung“, so Prof. Kinzig. „Sie zeigt eindrucksvoll, wie biblische Zitate zu magischen Zwecken verwendet wurden.“
Sie liefert laut Prof. Kinzig zudem wichtige Hinweise auf die frühe Entwicklung liturgischer Formeln aus einer Zeit, in der ansonsten keine vollständigen lateinischen Liturgien erhalten sind. „Sie ist darum von unschätzbarem Wert für die Geschichte der Bibel wie des christlichen Gottesdienstes“, so Prof. Kinzig.
Üblicherweise wurden bis ins 5. Jahrhundert hinein bei vergleichbaren Amuletten verschiedenste Glaubensrichtungen miteinander vermischt. Oftmals flossen dabei Elemente aus dem Judentum oder heidnische Relikte mit ein. Bei der „Frankfurter Silberinschrift“ findet sich nichts davon, sie ist rein christlich, nicht mal Jahwe, der allmächtige Gott des Judentums, taucht darin mehr auf. Beim einzigen erhaltenen Amulett-Vergleichsstück aus dem rechtsrheinischen Gebiet, einem Fundstück aus einem Kindergrab in der Römertherme Badenweiler, wurde neben dem christlich-jüdischen Gott auch noch ein germanischer Quellgott angerufen. Ob sich der Träger des Amuletts in Nida offen zu seinem christlichen Glauben hat bekennen können, lässt sich nicht mehr ermitteln. Viel spricht aber dafür, dass er sein Geheimnis inmitten eines noch weitestgehend heidnischen Umfeldes still mit ins Grab genommen hatte.