An der Fachhochschule Erfurt kann seit diesem Wintersemester im Studiengang „Gärtnerischer Pflanzenbau“ der Anbau von Cannabis studiert werden. Prof. Wim Schwerdtner spricht im Interview über das Umschiffen juristischer Hürden und was es bedeuten würde, wenn nach der Wahl die Teilregulierung aufgehoben werden würde.
Prof. Schwerdtner, was kann man bei Ihrem Studiengang „Gärtnerischer Pflanzenbau“ über den Cannabisanbau lernen?
Unser Fokus ist Gartenbau. Seit Oktober dieses Jahres bieten wir im dritten Semester zusätzlich ein Wahlpflicht-Modul an, in dem man vertieft den Cannabis-Anbau studieren kann. Wir lehren alles, was den Anbau angeht. Wichtig ist, dass wir „verwendungsfrei“ unterrichten. Das heißt, für uns ist Cannabis eine Pflanze, unabhängig davon, ob sie einen THC-Gehalt hat oder nicht. (Tetrahydrocannabinol, kurz THC, ist der hauptsächliche rauschbewirkende Bestandteil der Hanfpflanze, deren botanischer Name Cannabis lautet; Anm. d. Red.) Das vierte Semester ist unser Praxissemester. Hier gibt es auch die Möglichkeit, ein Praktikum in einem Cannabis-Betrieb zu absolvieren. Studierende, die sich während ihres Studiums auf Cannabis fokussieren wollen, können etwa 40 Prozent ihrer Studieninhalte mit Cannabis-Themen bestücken; und bei Interesse können die Studierenden auch ihre Bachelorarbeit über Cannabis schreiben.
Auf Ihrer Webseite fällt auf, dass Sie den Lehrinhalt Cannabis offensiv bewerben. Das Cannabis-Logo erinnert doch ziemlich an einen „Legalize-Sticker“ der schon lange bestehenden Cannabis-Legalisierungsbewegung. Wie kommt’s?
Spannende Wahrnehmung. Das Logo geht schon auf mich zurück: Es sollte ein Entwurf sein, der möglichst einfach und klar ist. Ich komme aus dem Marketing. Vielleicht wäre die Legalize-It-Assoziation eine smarte Überlegung gewesen, auch um anschlussfähig zu sein, aber die Verbindung war tatsächlich nicht beabsichtigt. Um das klar zu sagen: Die Lehrenden sind nicht „Cannabis-sozialisiert“. Wir haben da keine persönlichen Ambitionen. (lacht)
Jedenfalls wollten Sie als Studiengangsleiter den Studiengang attraktiver machen. Hat das funktioniert?
Wie die meisten Hochschulen, die Gartenbau als Studiengang anbieten, sind wir nicht ausgelastet. Das Cannabis-Modul hat aktuell die höchste Nachfrage unter all unseren Wahlpflichtfächern. Immerhin haben wir für unsere 75 Studienplätze jetzt zwölf neue Studierende gewonnen, die wegen des Cannabis-Angebots zu uns gekommen sind. Das erste Presse-Echo nach der Ankündigung des Cannabis-Studiengangs war auch heftig.
Haben Sie da Zahlen?
Ja, das war ziemlich der Wahnsinn. Wir haben eine Media-Reichweite ermittelt von 47 Millionen Kontakten durch die traditionellen Medien plus zehn Millionen durch Social Media.
Stellt sich jetzt heraus, dass die Umsetzung des Studiengangs mehr juristische Hürden hat als befürchtet? Was ist genau das Problem?
Wir haben entschieden, dass wir an unserem Campus nur an THC-freien Pflanzen lehren wollen. Das hat zum einen praktische Gründe: Wir hätten die Anlage absichern und einbruchsicher machen und zudem den Zugriff auf die Pflanzen beschränken müssen. Zweitens würde der Umstand, dass wir an rauschmittel-haltigen Pflanzen forschen und lehren, nicht auf ungeteilte Freude stoßen. Das wollten wir vermeiden.
Aber sogar der wissenschaftliche Umgang mit THC-freien Pflanzen ist Ihnen aktuell nicht erlaubt. Wieso das?
Das stimmt leider. Denn die dafür notwendige Rechtsverordnung fehlt schlichtweg noch. Wir dürfen nicht einmal mit sogenanntem Industriehanf oder Faserhanf arbeiten. Das ist derzeit nur landwirtschaftlichen Betrieben gestattet. Wir sind aber eine Fachhochschule. Die Rechtsvorordnung sollte schon im Sommer 2024 kommen. Aber wir warten darauf bis heute. Warum das so ist, erschließt sich mir nicht. Der Studiengang blüht trotzdem.
Wie haben Sie das gelöst?
Das Cannabis-Modul ist im Oktober regulär an den Start gegangen. Wir müssen allerdings auf Betriebe außerhalb zugreifen. Konkret sind das Exkursionen zu Betrieben, die Faserhanf für die Textilindustrie herstellen. Oder unsere Studierenden besuchen Medizinalhanfproduzenten, oder besuchen vielleicht einen Cannabis Social Club. (Diese Clubs dürfen mit entsprechender Lizenz Cannabis in nicht kommerziellen Mengen anbauen; Anm. d. Red.)

Auch wenn die Teil-Legalisierung nur schleppend vorankommt, ist der Cannabisanbau ein neuer blühender Geschäftszweig und Wachstumsmarkt. In welcher Größenordnung?
Die Teil-Legalisierung eröffnet einen Markt mit erheblichem Potenzial. Der bis dahin bestehende Schwarzmarkt hat einen Umfang in der Spanne von fünf bis 7,5 Milliarden Euro in Deutschland. Wenn wir bedenken, dass wir hier von einer einzigen Pflanzenkultur reden, dann wäre Cannabis wirtschaftlich größer als jede andere gartenbauliche Kultur.
Was macht den Hanf aus Sicht der Gartenbauwissenschaft interessant?
Beim Nutzhanf stehen wir erst am Anfang einer Vorstellung, wie groß das Potenzial überhaupt sein könnte. Cannabis ist eine Pionierpflanze. Sie ist prädestiniert dafür, auf Konversionsflächen – also von ehemaligen Truppenübungsgeländen oder Braunkohletagebau-Flächen – kultiviert zu werden, um dort zu einer Bodenverbesserung beizutragen. Und so die Grundlage für das Wachsen nachfolgender Pflanzen zu schaffen. Wir wollen Wertschöpfungsketten für die Verarbeitung und Veredelung von Hanf aufbauen. Im Medizinalbereich geht es darum, wie wir als Wissenschaftler eine hochwertige Produktion unterstützen können.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie der Nutzhanf zukünftig industriell genutzt werden könnte?
Kollegen der Hochschule Merseburg haben schon erfolgreich einen Rohstoff aus dem Hanf als Filament, also Material zum Drucken von 3D-Objekten, verwendet. Oder im Bereich der Textilindustrie: Archäologen fanden Kleidungsstücke aus der Pharaonenzeit. Aufgrund der Feinheit des Stoffes nahmen sie an, es handele sich um Seide. Jetzt stellt sich heraus, es handelt sich tatsächlich um Hanf. Die alten Ägypter hatten also schon Techniken, um Hanf so fein zu verarbeiten, dass er der Qualität von Seide nahekommt. Das sind nur einige Potenziale des Hanfs, von denen ich hoffe, dass wir sie in den nächsten Jahrzehnten erschließen können.
Recherchiert man das Thema Hanf, wird es schnell politisch. Ist es richtig, dass Hanf auch aus politischen Gründen an den Rand gedrängt wurde?
Ich glaube, das kann man ganz unpolemisch bejahen. Schaut man auf die lange Geschichte des internationalen Hanfverbots, dann sieht man, dass nach Aufhebung der Alkohol-Prohibition (5. Dezember 1933; Anm. d. Red.) in den USA ein riesiger Behördenapparat, der für die Durchsetzung gebraucht wurde, über Nacht beschäftigungslos war. Was macht man jetzt mit all diesen Beamten? Die Geschichte lautet, soweit ich weiß, dass dann ein neues Genussmittel hermusste, auf das man diesen Prohibitionsapparat loslassen konnte. Und dieses Genussmittel war Cannabis. Und das ist ein Grund, dass Cannabis praktisch weltweit geächtet wurde. Das Dumme ist, dass man der Pflanze den THC-Gehalt auch als Experte nicht ansieht, so wurden zeitweise alle Cannabispflanzen auch in Deutschland verboten. Auch der Nutzhanf.
Stichwort „Verbot“. Der Cannabis-Schwarzmarkt ist notorisch bekannt für mindere Qualität bis hin zur Gesundheitsgefährdung. Worum geht es noch?
Es geht auch um den Jugendschutz und eine kontrollierte Abgabe. Cannabis wird mit allem Möglichen gestreckt, zum Beispiel mit gesundheitsgefährdendem Haarspray. Das zu inhalieren, ist hochgradig gesundheitsschädlich. Und es geht darum, den kriminellen Strukturen hinter dem Schwarzmarkt das Wasser abzugraben und in legale und kontrollierte Strukturen zu überführen.
Was würde es bedeuten, wenn eine neue Bundesregierung die Teilregulierung aufheben würde?
Für uns und unseren Studiengang würde sich nicht viel ändern. Der Bereich Genuss-Cannabis, also unter anderem der Besuch der erwähnten Cannabis Social Clubs, würde für unsere Studierenden wegfallen. Wir würden aber weiterhin Studierende ausbilden, die in den Bereich des THC-freien Hanfs oder des Medizinalhanfs gehen wollen, denn das wird beides erhalten bleiben. Da bin ich mir sehr sicher.