Die Saarländerinnen Pauline Schäfer-Betz und Lara Hinsberger haben zusammen mit anderen Spitzenturnerinnen schwere Missstände an Bundesstützpunkten aufgedeckt. Der saarländische Turnerbund ist davon nicht betroffen.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben zahlreiche neue Enthüllungen über Missstände und Missbrauchsvorwürfe im deutschen Turnsport für Entsetzen gesorgt. Insbesondere die Turn-Stützpunkte in Stuttgart und Mannheim standen dabei im Fokus. Gleich mehrere Turnerinnen hatten über körperlichen und psychischen Missbrauch berichtet, darunter auch die Saarländerin Lara Hinsberger. Sie hatte unter anderem veröffentlicht, dass sie entgegen ärztlichem Rat trainieren musste. Allgemein sei sie „wie ein Gegenstand“ behandelt worden, was zu Depressionen und Untergewicht führte. Pauline Schäfer-Betz, die entsprechende Vorwürfe schon 2020 öffentlich erhoben hatte, prangert gar ein „systematisches Versagen“ im deutschen Turnen an. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung spricht gar von Menschenrechtsverletzungen. Der Schwäbische und der Deutsche Turnerbund (DTB) haben Aufklärung und einen Aufarbeitungsprozess versprochen, der Schwäbische Turnerbund hat bereits einen Trainer und eine Trainerin freigestellt. Allerdings ziehen 28 Turnerinnen, Trainer, Stützpunktleiter und Eltern in einem kritischen, offenen Brief an den DTB die Unabhängigkeit der mit der Aufarbeitung der Vorwürfe beauftragten Kanzlei Rettenmaier in Zweifel.
„Alle nehmen sich der Thematik an“
Im Saarland sind derzeit keine vergleichbaren Fälle bekannt. Bereits seit 2021 gibt es beim Saarländischen Turnerbund (STB) ein spezielles Schutzkonzept. Sarah Härdter ist die Beauftragte für „Safe Sport“ im STB und damit Ansprechpartnerin nicht nur für Athletinnen und Athleten, sondern alle Mitglieder, Funktionäre, Haupt- und Ehrenamtlichen. Sie holte Ende 2023 die frühere Nationalturnerin Kim Bui ins Saarland, die allen Interessierten ihr Buch vorstellte, in dem sie auch Missbrauchserfahrungen mit den Schwerpunkten Ernährung und Gewichtsreduktion beschreibt. „Ich glaube, es wird auch immer bewusster, dass sich im Vergleich zu früher vieles geändert hat und sich die Welt weiterdreht“, findet Härdter und hat festgestellt: „Alle nehmen sich der Thematik an, sind offen und bereit, dazuzulernen. Gerade die in den vergangenen Jahren geschilderten Fälle haben dem Thema schon eine enorme öffentliche Präsenz verschafft. Das ist wichtig und richtig und das sehen unsere Trainerinnen und Trainer auch so.“
„Wir vertrauen unseren Trainerinnen und Trainern – natürlich nicht blind, aber bisher ist uns nichts dergleichen aufgefallen“, sagt Christian Weimer. Er ist seit zwei Jahren Leistungssport-Referent im STB. „Was aber nicht heißt, dass etwas ausgeschlossen werden kann. Deshalb zeigen wir, abgesehen von unseren Schutzkonzepten, auch Präsenz in der Halle. Gute Konzepte sind das eine – aber die Umsetzung ist nun einmal entscheidend“, weiß Weimer. „Wir haben in den vergangenen zehn Jahren ein neues, sehr junges Team von Trainern und Trainerinnen aufgebaut, die teilweise selbst aus dem Leistungssport gekommen sind und auch einen anderen Blick auf das Ganze haben und nicht einfach so trainieren wie sie vielleicht selbst trainiert wurden“, erklärt Carolin Salomon, STB-Landestrainerin für den weiblichen Bereich und ergänzt: „Wir haben uns schon nach den ersten Veröffentlichungen von Pauline intensiv unterhalten und reflektiert, wie es bei uns läuft. Wir hatten uns auch Rückmeldungen von Eltern und ehemaligen Athleten eingeholt und gefragt, wie sie die Situation bei uns empfunden haben.“ Das Ergebnis ist in das Schutzkonzept des Verbands eingeflossen.
Ein Problem, das im Saarland nicht gelöst werden kann, sehen Christian Weimer und Carolin Salomon im zu niedrig angesetzten Startalter. Derzeit endet die Nachwuchszeit mit dem Übergang vom Junioren- in den Elitebereich bei Männern nach 18 Jahren, bei Frauen schon nach 16 Jahren. Dass dies so sein müsse, um insbesondere Athletinnen zu Höchstleistungen bringen zu können, hält Salomon für einen „Irrglauben. Man sieht ja immer wieder, dass auch Frauen um die 30 Weltklasse-Leistungen abrufen können.“ „Die Altersgrenzen, sowohl im männlichen, aber vor allem im weiblichen Bereich, müssten vonseiten des DTB nach oben verschoben werden“, fordert Weimer und weiß: „Dann hätte man zwar eine deutsche Insellösung, weil andere Länder das nicht umsetzen würden, aber nur so geht es.“
Motivierendes Miteinander
Oft beginnt die Zusammenarbeit von Trainerinnen und Trainern mit ihren Schützlingen sehr früh und dauert im Erfolgsfall lange an. Die Trainer-Athlet-Beziehung muss sich über diesen Zeitraum mitverändern. Je älter und besser die Athleten werden, desto mündiger werden sie. „Sie sollen dann auch selbst mitdenken und nicht nur Befehlsempfänger sein“, findet Christian Weimer: „Die Kunst ist, dass sich die Trainer immer wieder neu erfinden und auch mal ein Stück weit loslassen müssen. Bei uns klappt das sehr gut, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das andernorts zu Problemen führt.“ Die Landesverbände seien demnach in der Pflicht, „die Trainer zu sensibilisieren und ihnen bewusst zu machen, in welch exponierter Stellung sie im Verhältnis zu den Sportlern stehen“, sagt Weimer. „Athletenzentriertes Arbeiten“ lautet das Stichwort. Diese und ähnliche Aspekte sollen in Schulungen und Fortbildungen bei Hauptamtlichen und auch Honorarkräften über rein sportliche Inhalte hinaus gelehrt werden. Wie kürzlich in der Fortbildung „Wertschätzendes, motivierendes Miteinander im Training“. „Da ist auch mir noch einmal klar geworden, was es bedeutet, als Trainer jungen Menschen gegenüberzustehen. Das war sehr interessant“, gibt Weimer zu.

Ein Paradebeispiel stellt die Zusammenarbeit der großen Hoffnungsträger des STB mit Landestrainer Waldemar Eichorn dar: Daniel Mousichidis vom TV Schwalbach und Maxim Kovalenko vom TV Bous machen seit einiger Zeit durch starke Leistungen bei nationalen Meisterschaften und in der Bundesliga, in der sie für die TG Saar starten, auf sich aufmerksam. Beide haben die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles fest im Blick. Da üblicherweise die größten Talente an einem Bundesstützpunkt trainiert und gefördert werden, macht der DTB „nicht unerheblich Druck“, um die beiden an den Bundesstützpunkt nach Berlin zu holen. Doch, um weiter mit ihrem Trainer zusammenarbeiten zu können, haben sich die beiden 19-Jährigen vorerst für den Verbleib im Saarland entschieden. Hinzu kommen die „idealen“ Bedingungen: Mousichidis und Kovalenko wohnen im Haus der Athleten auf dem Sportcampus in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität des Saarlandes, an der beide eingeschrieben sind. Beide betonen, wie wichtig ihnen die Nähe zum familiären Umfeld ist.
Das weiß auch Carolin Salomon: „Vor allem junge Athletinnen und Athleten sollten nicht zu früh aufgefordert werden, irgendwo zentral zusammen zu trainieren, sondern so lange wie möglich in ihrem Elternhaus bleiben können, um den Rückhalt der Eltern jeden Tag zu haben“, sagt sie und weiß: „Nur so kann auch eine Vertrauensbasis zwischen Eltern, Trainerteam und Athleten entstehen. Die Kinder sollen sich wohlfühlen und auch aussprechen dürfen, was nicht passt. Resilienz und mentale Stärke sind sehr wichtig. Das gilt übrigens für Jungs genauso wie für Mädchen.“