Auf die USA ist kein Verlass mehr: Europa muss den Turbo einschalten
Wir müssen Tacheles reden: Die transatlantischen Beziehungen sind kaputt. Europa kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines Angriffs als Schutzmacht zu Hilfe kommen. US-Präsident Donald Trump zeigt immer offener seine Verachtung für die EU. Die Verpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrags, wonach eine Attacke auf eines der Nato-Mitglieder eine Attacke auf alle darstellt, fehlt in seinem Vokabular völlig.
Der Ton hat sich noch einmal verschärft. Der imperiale Auftritt der US-Delegation bei der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende, die besserwisserische Tirade von Vizepräsident J. D. Vance beweisen: Der demokratische Wertekanon, der Amerika und Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs verbunden hat, existiert nicht mehr.
Der Vorwurf von Vance, die wahren Bedrohungen seien nicht Russland oder China, sondern der Verlust an Meinungsfreiheit in Europa, ist ein dreister Tabubruch. Mal abgesehen davon, dass es kein guter Stil ist, sich aus dem Ausland in Wahlen einzumischen: Die als Empfehlung getarnte Vorschrift, die deutschen Parteien sollten sich für eine Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen AfD öffnen, ist entlarvend.
Die USA, die zusammen mit ihren Alliierten Deutschland vom Nazi-Terror befreit und eine rechtsstaatliche Ordnung eingeführt haben, sind ins autoritäre Lager abgedriftet. Trump hat den Tech-Milliardär Elon Musk als Höllenhund eingesetzt, um verschiedene Ministerien und Behörden zu schleifen und viele Tausend Beamte wegen angeblicher Illoyalität zu feuern. Trumps Staatsverständnis gleicht dem des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV: „L’État, c’est moi“ – „der Staat bin ich“.
Trump wie Vance oder Musk geht es darum, Europa zu destabilisieren. Da die amerikanische Administration eine schwache EU will, sind Europa-Verächter wie die AfD nützliche Idioten. Dazu passt Trumps Obsession mit einem Zollkrieg gegen Brüssel, um die Gemeinschaft wirtschaftlich klein zu halten. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass er Europa sogar als Gegner betrachtet.
Der US-Präsident ist kein Staatsmann, der auf Absprachen und Bündnisse setzt. Er fühlt sich zu Autokraten und Diktatoren hingezogen. Trump hat Kremlchef Wladimir Putin immer wieder als „Genius“ bezeichnet. Er bewundert die Machtfülle des chinesischen Staatsoberhaupts Xi Jinping. Und er fuhr einen Kuschelkurs gegenüber dem nordkoreanischen Steinzeit-Despoten Kim Jong-un.
Die Bilanz nach knapp fünf Wochen von Trumps zweiter Amtszeit ist verstörend. Trotz des grenzenlosen Selbstlobs als „Meister des Deals“ hat der Chef des Weißen Hauses bislang vor allem mit außenpolitischen Schnapsideen wie der Annexion Kanadas, Grönlands oder des Gazastreifens für Wirbel gesorgt.
Es besteht die große Gefahr, dass Trump bei dem anvisierten Treffen mit Putin über den Tisch gezogen wird. Der Amerikaner hat für die Beendigung des Ukraine-Krieges keine Strategie. Ihm geht es nicht um die Errichtung einer neuen Friedensordnung, die den Aggressor in die Schwanken weist. Er denkt in erster Linie daran, die Rohstoffe der geschundenen Ukraine auszubeuten.
Im Gegensatz dazu hat Putin einen Plan: Er will nicht nur die Ukraine filetieren und in dem Territorium, das übrigbleibt, ein Satelliten-Regime errichten. Ihm schwebt auch vor, die Nato-Osterweiterung rückgängig zu machen, die Amerikaner aus Europa zu vertreiben und den Kontinent zu einer großen russischen Einflusssphäre zu machen.
Doch Lamentieren hilft nicht. Europa muss nun den Turbo einschalten. Da die EU gespalten ist – Putin- und Trump-Freunde wie Ungarn oder die Slowakei scheren aus –, braucht es eine Koalition der Willigen. Diese muss die Rüstungsindustrien zusammenlegen: Bestellung, Produktion und die Synchronisierung von Fähigkeiten sollten zentral koordiniert werden. Für den Fall eines Waffenstillstands im Ukraine-Krieg müssen die beteiligten Länder in ausreichender Zahl Soldaten an die Demarkationslinie entsenden. Darüber hinaus sollte der französische und britische Atomschirm als Abschreckung auf ganz Europa ausgeweitet werden. Die EU hat keine Zeit mehr zu verschenken – die Lage ist zu ernst. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Alternative glasklar definiert: „Wenn es nicht Brüssel ist, dann ist es Moskau.“