Aufatmen in Paris, der Haushalt für 2025 ist gesichert. Statt mit weitreichenden Reformen beschäftigt sich die Politik jedoch lieber mit Migrationsfragen – einem Thema, das die Franzosen laut Umfragen aber weniger interessiert als ihre Kaufkraft.
Eine von vielen Hürden hat François Bayrou überstanden: Den Staatshaushalt 2025 hat der neue französische Premierminister per Sonderartikel durch die Nationalversammlung geschleust, ohne parlamentarische Abstimmung, aber mit einem darauffolgenden, gesetzlich verpflichtenden Misstrauensvotum. Das ist möglich durch Sonderartikel 49.3 der französischen Verfassung. Im Dezember hatte Frankreichs linkes Lager gemeinsam mit Marine Le Pens Rechtsextremisten des Rassemblement National (RN) im Streit um den Haushalt die damalige Minderheitsregierung von Premier Michel Barnier mit einem Misstrauensvotum zu Fall gebracht.
Bayrou stützt sich auf die Sozialisten
Das erneute Votum hat der Premier überstanden, sehr zum Ärger der linksextremen Partei La France insoumise (LFI). Rückendeckung erhielt die Regierung dabei von den Sozialisten, die bereits im Januar dabei halfen, einen ersten Misstrauensantrag gegen den Zentrumspolitiker Bayrou (Mouvement démocrate) abzuwehren. Und auch die Rechtsextremisten stellten sich, trotz Kritik, nicht gegen den Ausgabenplan.
Dieser sieht nun vor, das Defizit des Staatshaushaltes von sechs auf 5,4 Prozent zu senken. Dafür nötig sind Einsparungen in Höhe von 50 Milliarden Euro. Mittlerweile beträgt die Schuldenlast Frankreichs 3,2 Billionen Euro, das sind 110 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zum Vergleich: Die deutsche Schuldenlast beträgt knapp 64 Prozent des BIP und ist damit nahe an den Maastricht-Kriterien der EU, die eine maximale Schuldenlast von 60 Prozent erlauben. Entsprechend läuft seitens der EU ein Defizitverfahren gegen das Land. Wo die Einsparungen aber nun vorzunehmen sind, da sind Bayrous Minderheitsregierung und die Opposition geteilter Meinung. Zur Verhandlung steht offenbar die Rentenreform, dafür seien die Sozialisten offen, so deren Chef Olivier Faure. Dabei ist sie bereits in Kraft, das Renteneintrittsalter steigt schrittweise von 62 auf 64 Jahre. Nun soll das Gesetzespaket womöglich wieder aufgeschnürt werden. Unter den Vorgaben, es gerechter und trotzdem finanzierbar zu machen.
Ein schwieriges Unterfangen für das chronisch reformunwillige Land. Da kommt eine andere Debatte gerade recht: die über Migration. Startpunkt war eine Gesetzesänderung für das französische Überseeterritorium Mayotte. Ein Gesetzesvorschlag der konservativen Republikaner im Parlament zielte nun darauf ab, das Geburtsrechtsprinzip für Mayotte einzuschränken. Das ärmste Département Frankreichs, eine Insel, die nahe Madagaskar liegt, war im vergangenen Dezember von einem verheerenden Zyklon verwüstet worden. Es unterliegt ohnehin bereits einem strengeren Geburtsrecht als das übrige Staatsgebiet. Das neue Gesetz fordert, dass beide Elternteile seit drei Jahren rechtmäßig auf französischem Staatsgebiet leben müssen, damit ihr Nachwuchs ebenfalls die französische Staatsbürgerschaft nach Geburt erhält. Zuvor musste sich nur ein Elternteil mindestens drei Monate legal in Frankreich aufhalten.

Premierminister Bayrou forderte nun eine nationale Diskussion darüber, was es heiße, ein Franzose zu sein. Diese dürfe nicht „ewig aufgeschoben“ werden, so Bayrou. Er reagierte auf eine Aussage seines Justizministers Gérald Darmanin, wonach das Geburtsrechtsprinzip, das verfassungsmäßig garantiert ist, aufgehoben werden sollte. In einem Gespräch mit dem News-Kanal BFM RMC sagte Bayrou: „Was bedeutet es, Franzose zu sein? In einer Situation wie auf Mayotte gibt es Tausende von Menschen, die mit der Vorstellung ankommen, dass sie Franzosen sein werden, wenn sie dort Kinder zur Welt bringen. All das müssen wir überdenken.“ Einwanderung sei solange positiv, wie sie „im Verhältnis“ zur Bevölkerungsgröße stehe.
Was folgte, war Kritik seitens der linken Opposition und auch von Mitgliedern seiner eigenen Regierungsmannschaft. Élisabeth Borne, Ex-Premierministerin und nun Bildungsministerin, sagte laut France Info, die Franzosen erwarteten Handlungen und keine Hinweise auf künftige Verfassungsänderungen. Einzig Marine Le Pen, die dem rechtsextremen RN einen bürgerlichen Anstrich verpasst hatte, forderte sofort ein generelles Ende des Geburtsrechts. Die Tageszeitung „Le Monde“ warf dem Premier vor, die Themen Einwanderungspolitik und nationale Identität zu vermischen.
Migration ist jedoch laut aktuellen Umfragen nicht das wichtigste Problem aus Sicht der Franzosen. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos ermittelte im Januar, dass nach wie vor die geringere Kaufkraft die Hauptsorge der Franzosen ist. Fast jeder Zweite (47 Prozent und stabil im Vergleich zum November 2024) nennt sie noch vor der Zukunft des Sozialsystems (39 Prozent), dem Ausmaß der Einwanderung (31 Prozent) und der Höhe der Staatsschulden und Defizite (31 Prozent), die mit plus sechs Punkten im Vergleich zum November einen starken Anstieg verzeichnen. Damit ist das Lieblingsthema der Rechtsextremen weiterhin auch das beherrschende Thema unter Wählerinnen und Wählern.
Frankreich beschränkt Geburtsrecht
Die Beliebtheitswerte spiegeln dies wider. 2027 wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Unter den Politikerinnen und Politikern, die dafür infrage kommen, stehen Marine Le Pen vom RN und ihr Kronprinz, Parteichef Jordan Bardella, auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Macron darf nicht mehr erneut antreten, ihn könnte Édouard Philippe beerben. Er war bereits Macrons Premierminister und bekräftigte in einem Interview im vergangenen Herbst, dass er bei der kommenden Wahl zum Präsidentenamt antreten werde. Derzeit ist Philippe Bürgermeister von Le Havre und damit nicht mit den riskanten Machtspielen Macrons in Paris verknüpft. 2021 hat er eine eigene Partei gegründet („Horizons“).
Die Macht des amtierenden Staatspräsidenten ist spätestens seit den Europawahlen im vergangenen Sommer stark gesunken. Das Fremdeln des französischen Zweiparteiensystems mit Koalitionsregierungen, die ständigen Attacken von Rechts- und Linksaußen im Parteienspektrum auf diese lassen die zweitgrößte europäische Volkswirtschaft mehr und mehr als gelähmt erscheinen. 14 Parteien und politische Bündnisse sitzen derzeit in der Nationalversammlung. Dass Bayrou den Knoten der Haushaltsplanung vorerst durchschlagen hat, ist ein Lichtblick, überzeugen aber muss der Premier vor allem die Mitte, Liberale, Sozialisten und Republikaner, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern und damit wenigstens grundlegend Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Die Hürden dabei sind hoch: Noch nie war ein Premierminister so unbeliebt wie Bayrou, noch nie zuvor war Frankreichs Parteienlandschaft so zersplittert, der rechte Rand so stark wie heute. Und Frankreich braucht weitreichende Reformen. Um diese Hürden zu überspringen, reichen Trippelschritte kaum aus.