Österreich ist in einer Sackgasse. Der zweite Versuch über Koalitionsverhandlungen ist gescheitert. Nun diskutiert die Alpenrepublik über eine „Expertinnenregierung“ oder Neuwahlen.
Herbert Kickl war angetreten, um als „Volkskanzler“ eine „Festung Österreich“ zu errichten. Daraus wird erstmal nichts. Nachdem der Versuch gescheitert war, den Rechtsaußen-Sieger der Wahl von Ende September vergangenen Jahres durch eine bürgerliche Koalition auszubooten, ist nun auch der Versuch gescheitert, eine FPÖ-ÖVP-Koalition zu zimmern. Die Politik in Österreich hat sich in ein Dilemma manövriert.
Seit Januar schien alles darauf hinauszulaufen, dass erstmals die FPÖ eine Regierung anführen und den Bundeskanzler stellen würde. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte FPÖ-Parteichef Herbert Kickl Anfang Januar den Auftrag zu Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP erteilt. „Schweren Herzens“, betonte Van der Bellen damals. Schließlich ist die FPÖ eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei.
Die FPÖ wird als europaskeptisch bezeichnet, strebt Reformen mit Rückverlagerung von Aufgaben und einer Stärkung der Mitgliedstaaten an. In den Koalitionsverhandlungen hatte sie beispielsweise gefordert, dass künftig keine Europafahnen mehr vor österreichischen Amtsgebäuden flattern sollten.
In der Migrationspolitik fährt die FPÖ eine harte Linie. Österreich sei „kein Einwanderungsland“, Dublin III müsse konsequent umgesetzt werden. Da Österreich aber nur Binnengrenzen hat, würde das de facto bedeutet, dass man keine Flüchtlinge mehr reinlassen würde. Zudem ist die FPÖ für die Legalisierung von „Pushbacks“, also Zurückweisungen von Menschen an den Grenzen ohne die Möglichkeit, beispielsweise einen Asylantrag stellen zu können.
Gesellschaftspolitisch vertritt die FPÖ eine streng konservative Haltung, Familie ist nur „Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern“, Gender-Mainstreaming oder Quotenregelungen kommen für die FPÖ nicht infrage. Parteigeneralsekretär Christian Hafenecker spricht von „klaren Werten“.
„Noch mal davongekommen“
Einiges davon dürfte mit der ÖVP in den Koalitionsverhandlungen ziemlich unstrittig gewesen sein. Die Positionen der ÖVP sind weitgehend vergleichbar mit denen von CDU/CSU in Deutschland. In den Koalitionsverhandlungen soll aber ÖVP-Chef Christian Stocker die FPÖ aufgefordert haben, von weit rechts in die politische Mitte zu rücken.
Gescheitert sind die Verhandlungen letztlich an erheblichen Differenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Haltung zur Ukraine war nicht vereinbar: Die FPÖ will die Unterstützung der Ukraine einstellen. Streit gab es auch um die Besetzung des Innenministeriums.
Mit dem Scheitern der Koalitionsgespräche ist einmal mehr Bundespräsident Alexander Van der Bellen gefragt. Viereinhalb Monate haben sich die Parteien abgequält. Monate, in denen er mehr gefordert war, als ihm lieb sein dürfte. Das österreichische System sieht vor, dass der Bundespräsident den Auftrag zu Verhandlungen über eine Regierungsbildung vergibt. Im Normalfall eine Formalie. Nur diesmal war es anders.
Im ersten Anlauf erteilte der Bundespräsident nämlich nicht der Partei, die die meisten Stimmen erhalten hatte – in diesem Fall also der rechtsgerichteten FPÖ – den Auftrag zu Sondierungen für eine Koalition. Ungewöhnlicherweise forderte er erstmal die Parteien zu Gesprächen auf – zu einer Art Vor-Sondierung –, die eigentlich Verlierer waren.
Die ÖVP mit Bundeskanzler Karl Nehammer war bei der Wahl auf Platz zwei gelandet; mit Verlusten von elf Prozentpunkten (Ergebnis: 26,3 Prozent). Die Sozialdemokraten (SPÖ) hatten sich mit 21,1 Prozent gehalten, NEOS (Liberale) hatte mit 9,1 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis erzielt, die Grünen waren von 13,9 auf 8,2 Prozent abgestürzt.
Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ, später auch mit NEOS, waren belastet von der Haushaltslage Österreichs. Die EU-Kommission hatte wegen des hohen Defizits Sparmaßnahmen gefordert, ansonsten würde ein Defizitverfahren drohen. Die Rede war von Einsparungen in Höhe von 18 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren (bei einem Jahreshaushaltsvolumen von um die 160 Milliarden Euro).
Anfang des Jahres hatte die EU-Kommission aber auf ein Defizitverfahren verzichtet, weil inzwischen FPÖ und ÖVP aus den Koalitionsverhandlungen heraus Einsparungen signalisiert hatten.
„Ich komme wieder“
Nachdem nun diese Verhandlungen geplatzt sind, wurde unmittelbar über drei mögliche Auswege diskutiert:
Variante eins: eine sogenannte „Expertinnenregierung“. Mit so etwas hat Österreich bereits eine gewisse Erfahrung. Nachdem die damalige Regierungskoalition der ÖVP (mit Bundeskanzler Sebastian Kurz) mit der FPÖ als Juniorpartner infolge der Ibiza-Affäre zerbrochen war, gab es für rund sieben Monate eine Experten-/Beamten-Übergangsregierung mit der parteilosen Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein als Bundeskanzlerin. Die hat nach übereinstimmender Beurteilung reibungslos funktioniert. Das Problem: Auch eine Expertenregierung braucht einen Haushalt, und der wird im Parlament entschieden, braucht also eine politische Mehrheit.
Um Variante zwei, nämlich Neuwahlen zu vermeiden, weil davon nach Einschätzung von Beobachtern vor allem die FPÖ profitieren würde, versucht man es jetzt erstmal mit Variante drei: einer Neuaufnahme der zuvor gescheiterten Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ. Beide zusammen haben aber nur eine hauchdünne Mehrheit von 92 der 183 Mandate. Deshalb gab es schon im ersten Anlauf den Versuch, die Liberalen (NEOS) mit ins Boot zu nehmen. Jetzt wird eine Zusammenarbeit mit NEOS und/oder Grünen diskutiert, allerdings ohne eine der beiden direkt in eine Koalition einzubinden, sondern Zusammenarbeit in Sachfragen zu vereinbaren. Bei Redaktionsschluss war noch offen, ob dieser erneute Versuch einer Regierungsbildung ohne die FPÖ gelingen würde.
Hinter den aktuellen Gemengelagen parteipolitischer Machtkämpfe steht ein schon länger anhaltender gesellschaftspolitischer Kulturkampf. Ein „Kulturkampf von oben“ wohlgemerkt, wie es beispielsweise die Tiroler Kulturinitiativen im letzten Herbst bezeichneten.
Begonnen hat die Entwicklung schon vor über drei Jahrzehnten, als Jörg Haider den Rechtspopulismus in Österreich salonfähig machte. Mit Heinz-Christian Strache, der 2005 den Parteivorsitz übernahm, begann ein unaufhaltsam scheinender Aufstieg der FPÖ, der selbst unter Europas rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien ziemlich einzigartig ist. 2006 erreichte die FPÖ elf Prozent, 2013 waren es bereits über 20 Prozent, 2017 dann 26 Prozent (fast gleichauf mit der Volkspartei SPÖ). Es folgte die Regierungsbeteiligung (Koalition mit der ÖVP) und schließlich der Absturz infolge der Ibizia-Affäre. 2024 war sie dann mit knapp 29 Prozent erstmals stärkste Partei bei den Nationalratswahlen. Weder die große Affäre noch heftige innerparteiliche Querelen samt echten Skandalen und vielen Skandälchen konnten den Aufstieg aufhalten.
Seit Herbert Kickl den Parteivorsitz (Juni 2021) übernahm, spielten ihm äußere Entwicklungen für seine populistischen bis rechtsextremen Positionierungen in die Hände. In Österreich wurde noch über die Corona-Politik gestritten, gleichzeitig begann die Inflation zu steigen, dann kam der russische Überfall auf die Ukraine. Die FPÖ hat traditionell gute Beziehungen zu Putins Partei „Einiges Russland“, die FPÖ ist gegen Unterstützung der Ukraine und trifft damit einen besonderen Nerv: Die ganz überwiegende Mehrheit der Österreicher legt Wert auf die Neutralität des Landes.
Kickl hat die AfD Anfang des Jahres im Bundestagswahlkampf unterstützt. Die „Zeit“ hatte während der österreichischen Koalitionsverhandlungen, bei denen Kickl seinem Ziel als „Volkskanzler“ schon ganz nahe schien, angemerkt: Das wäre so, als würde in Deutschland Björn Höcke ins Kanzleramt kommen.
Nach dem Scheitern meinten etliche Kommentatoren: „Österreich ist nochmal davongekommen.“ Kickl sieht das anders, getreu einem berühmten Zitat: „Heute ist nicht aller Tage, ich komm wieder, keine Frage.“