Es war der wohl kürzeste Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik, und das auch noch im Winter. Zu den Kanzlerduellen oder Quadrellen lieferten mehr oder minder lustige Clips im Netz die Begleitmusik.
Die wahren Helden dieses Wahlkampfes sind die Tausende Wahlhelfer, die bundesweit unermüdlich die Straßen und Plätze der Republik bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bevölkern. Oft bei Regen oder Schnee ihre Flyer, Kugelschreiber und Bonbons verteilen. Zu Schals oder Mützen, was als Wahlkampf-Mitgabe besser zur Jahreszeit gepasst hätte, hat es bei der Budgetierung des Straßenwahlkampfs nur vereinzelt gereicht.
Und noch eines einte die Straßenwahlkämpfer aller Parteien: Die im Berliner Regierungsviertel von den Spitzenpolitikern angezettelten und dann von Radio, Fernsehen und Zeitungen hastig verbreiteten Debatten interessierten Passanten draußen an den Wahlkampfständen meist nur mäßig bis gar nicht. Bestes Beispiel dafür ist die vermeintliche Mega-Debatte um die von der Union eingebrachten Abstimmungen zu den beiden Entschließungsanträgen im Bundestag, die mit den Stimmen der AfD dann tatsächlich im Parlament durchkamen. Zwei Wochen lang gab es medial kein anderes Thema mehr. Nur draußen an den Wahlkampfständen fand das fast keinen Widerhall. Hier ging es eher um die explodierten Lebenshaltungskosten bei Mieten, Strom, Sprit oder Krankenkassen.
Andere Themen als Migration wichtig
Vielleicht auch das ein Grund, warum die Umfragen keine großen Sprünge taten: Union und AfD verbuchten je ein Prozent Zuwachs, SPD und Grüne verloren ein Prozent. Bei einer allgemein anerkannten Fehlerquote der Umfragen von zwei bis drei Prozent hat sich also eigentlich nicht viel bewegt. „Politiker und Journalisten bespielten da, mit anhaltender Vehemenz, ein Thema an den Wählerinnen und Wählern komplett vorbei“, bringt es ein führender Demoskop gegenüber FORUM auf den Punkt, der aber weder namentlich noch mit seinem Unternehmen aus Rücksicht auf seine Kundschaft genannt werden will.
Nicht nur für die Parteien, auch für die Umfrage-Institute war dieser 60-Tage-Kurzzeitwahlkampf mehr als undankbar. Erstens war eine Regierung zerbrochen, damit konnten die Umfragen aus den Ampeltagen nicht mehr als inhaltlicher Vergleichswert herangezogen werden. Dazu kommt, wie schon vor den Wahlen in den vergangenen fünf, sechs Jahren: Die Befragten, ob angerufen oder online befragt, geben bei allen Beteuerungen der Anonymität längst nicht mehr so bereitwillig Auskunft über ihre wirklichen Wahlabsichten. Ein Phänomen, das aus der Vergangenheit schon vor allem bei AfD-Wählern bekannt war. Darum gab es auch bei den letzten drei Landtagswahlen im Herbst nicht ganz unerhebliche Abweichungen zwischen Umfragen und Ergebnissen. Das ablehnende Verhalten der Befragten erschwert die Arbeit der Demoskopen und macht die Einschätzung der tatsächlichen Wählerbefindlichkeiten für die Parteien nicht einfacher.

Die ungünstigsten Voraussetzungen für den Blitz-Wahlkampf hatten die ehemaligen Ampelpartner SPD, Grüne und FDP. Eine gescheiterte Regierung ist für alle ehemals darin vertretenen Parteien nicht gerade eine gute Visitenkarte für erfolgreiches Wahlkämpfen. So ein angeschlagenes Image lässt sich vielleicht in einem normalen Ablauf über Monate in Teilen reparieren, aber eben kaum in 60 Tagen.
Auch für den automatischen Nutznießer einer solchen politischen Ausgangslage, nämlich die Opposition, war die vorgezogene Bundestagswahl eine echte Herausforderung. Vorteil für die Union: Diesmal blieb CDU und CSU nicht allzu viel Zeit für eine Schlammschlacht zwischen den Schwesterparteien um die Kanzlerkandidatur wie vor gut drei Jahren. Doch die CDU hat ihre „Merkel-Jahre“ immer noch nicht aufgearbeitet und gerade die Merkelianer in der CDU fremdeln sichtlich mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, der weniger auf Ausgleich als auf Frontalangriff setzt.
Doch parteiinterne Zwistigkeiten fielen nicht nur bei der CDU, sondern auch in allen anderen Parteien nicht weiter ins Gewicht. Eine neue Form von Parteitagen, nicht drei Tage, sondern drei bis vier Stunden, legten darüber jubelndes Zeugnis ab. Es waren Parteitage, die auf die Kanzlerkandidaten ausgerichtet waren.
Und davon gab es diesmal reichlich: Kandidaten und zwei Kandidatinnen. Damit rutschte in diesem Wahlkampf erstmals der Begriff „Kanzlerkandidat“, der ja ähnlich wie Journalist oder Makler rechtlich nicht geschützt ist, ins politisch Ungefähre ab. Noch beim Bundestagswahlkampf 2009 erntete die FDP viel Hohn und Spott, als sich damals ihr Vorsitzender Guido Westerwelle zum Kanzlerkandidaten ausrufen ließ. Die FDP schaffte bei der anschließenden Bundestagswahl 14 Prozent. Bei der Union ist der Kanzlerkandidat mit 30 Prozent in den Umfragen klar, bei der AfD mit 20 Prozent nachvollziehbar. Die SPD kam mit 16 Prozent in den Umfragen nicht drum herum, schließlich hat der amtierende Kanzler sein Interesse an einer zweiten Amtszeit schon früh kundgetan. Bei den Grünen, ebenfalls zwischen 14 und 16 Prozent, warf das dann schon Fragen auf. Als sich dann die Parteichefin des BSW selbst auch noch zur Kanzlerkandidatin erklärte, sorgte das bei politischen Beobachtern eher für Schmunzeln.
Regelrechte Flut von TV-Debatten
Unterhaltsam für die Wähler wurde dann die Debatte darum, wer denn nun alles zu den Kanzlerduellen im linearen Fernsehen, in diesem Fall bei ARD, RTL und ZDF eingeladen werden muss. Das Erste blieb ohne Diskussion beim alten Format, Union vs. SPD. Die beiden anderen TV-Stationen versuchten es mit einem „Quadrell“. Allen Formaten war ein gemeinsames Schicksal beschieden: wenig neuer Erkenntnisgewinn, in Teilen ungewollt komisch, meist langweilig. Die kritisierten Sender argumentieren, dass weniger die Inhalte als vielmehr der persönliche Eindruck über die Kandidaten wichtig für die Wähler sei. Medienwissenschaftler werden in den nächsten Monaten viele Abhandlungen zum Einfluss der Kanzlerduelle im Fernsehen auf das Wahlverhalten verfassen.
An ähnlichen Analysen wird man sich bei den Social-Media-Auftritten abarbeiten. Für die Kandidaten – vor allem die männlichen, wohlgemerkt – eine mehr als undankbare Aufgabe: Das jüngste Medium trifft auf sehr viel ältere Männer. Robert Habeck sitzt bei fremden Menschen an Küchentischen, wo er spontan mitten im Wahlkampfstress vorbeigekommen ist, um mal zu quatschen. Olaf Scholz diskutiert mit einem Teenie über seinen Anzug. Dafür, dass der Kanzler auf konkrete Fragen auch gern mal mit „Nö“ in Talkshows geantwortet hat, nur mäßig überzeugend. Friedrich Merz sitzt im Fastfood-Restaurant und verdrückt vor seinem Wahlkampfauftritt noch mal schnell einen Hamburger aus der Schachtel. Was bei ihm einmal mehr an Szenen aus dem amerikanischen Wahlkampf erinnerte. Was als Wahlkampfsplitter gedacht war, landete als Real-Sketch in den Kabarettsendungen. Doch darum geht es nicht, erklären die Social-Media-Verantwortlichen der Parteien: Die Klickraten sind entscheidend.
Vorteil solcher Auftritte ist, dass man nie erfahren wird, ob die Kurzvideos nur zur Belustigung über oder doch zur Wahlentscheidung für den Protagonisten beigetragen haben.
An diesen Beispielen wird im Wahlkampf 2025 deutlich: Den Kanzlerkandidaten-Parteien fehlte die auch medial einsetzbare, präsente Partei-Truppe als Sidekick. Das Kompetenzteam oder die Zukunftsmannschaft, wie man das bisher gern nannte. Es gilt weiterhin die alte Erkenntnis, nicht jeder kann alles können. Wenn man es probiert, kann das im günstigsten Fall für Heiterkeit, andererseits auch für Spott sorgen.