Ganz gleich, ob queer oder nicht: In „Ilos Bar“ an der Motzstraße sind alle Menschen willkommen. Zudem lädt die neu eröffnete Schöneberger Location mit DJ-Beats zum Tanzen ein.

Wer den U-Bahnhof am Nollendorfplatz in Richtung Motzstraße und Maaßenstraße verlässt, kommt zwangsläufig an einem kleinen Mahnmal vorbei. „Totgeschlagen – Totgeschwiegen – Den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus“, steht auf dem dreieckigen Stein aus rotem Granit. Schon in den 1920er-Jahren galt der Kiez rund um den Winterfeldmarkt als Treffpunkt von Homosexuellen. Auch Künstler und Schauspielerinnen zog die Gegend im Schöneberger Norden magisch an. Marlene Dietrich und Claire Waldoff sollen sich dort im Travestie-Lokal „Eldorado“ vergnügt haben. Die Dichterin Else Lasker-Schüler und der Schriftsteller Ödön von Horváth wohnten beide an der Motzstraße – jener Straße, in die mich meine heutige gastronomische Recherche führt. Auf meinem Weg zur Hausnummer 30 begegnet mir immer wieder die sechsstreifige Regenbogenflagge, mal als Fahne, mal als Aufkleber. Willkommen in Berlins populärer Queer-Community!
Kaum, dass ich an der Tür vor „Ilos Bar“ ankomme und unseren Fotografen treffe, tritt Ilo persönlich aus der Tür. Er begrüßt uns herzlich und bittet uns herein. Sein offizieller Name ist Ilia Basilashvili. Ilo ist die Koseform und seine Freunde nennen ihn so. Wir kennen den Gastronomen mit georgischen Wurzeln bereits vom vergangenen Sommer. Damals haben wir sein „Café Ilostan“ am S-Bahnhof Schöneberg besucht und allerlei georgische Köstlichkeiten geschlemmt.
„Kopfhörer-Partys kommen bei uns sehr gut an“

Ilia Basilashvili ist in Dedopliszqaro im georgischen Kachetien aufgewachsen. Nach seinem Schulabschluss zieht er zunächst nach Schleswig-Holstein, genauer gesagt nach Kiel. Dort ist der heute 35-Jährige als Au-pair-Junge in einer deutschen Familie tätig und lernt dort drei Jahre lang fleißig Deutsch. Es folgen mehrere Tätigkeiten in der Gastronomie und ein Studium im internationalen Management und Marketing, bevor Ilia Basilashvili sich entschließt, in die deutsche Kapitale umzuziehen. Dort betreibt der Gastronomieunternehmer zunächst einen Online-Handel mit Produkten aus seiner Heimat und eröffnet sein erstes Lokal, das „Café Ilostan“. Mitte November des vergangenen Jahres kommt die Bar an der Motzstraße hinzu. „Wie es dazu kam, erzähle ich euch gleich“, sagt er und führt uns erst einmal stolz durch seine neuen Räume. Rechts neben dem Eingang befindet sich ein Raucherraum mit einer kleinen Tanzfläche unter einer glitzernden Disco-Kugel. Von Donnerstag- bis Samstagabend legt dort die Berliner DJane Maloin Hip-Hop und Electro-Beats auf. Wer mag, kann dazu unter der glitzernden Disco-Kugel bis weit nach Mitternacht tanzen. Zudem findet regelmäßig eine Silent Disco statt. Dafür können sich die Gäste einen kabellosen Kopfhörer ausleihen, mit dem sie zwischen drei Musik-Kanälen auswählen und dazu tanzen: Jeder und jede nach dem eigenen Musikgeschmack. Die Kopfhörer-Partys „kommen sehr gut an“, berichtet uns der Gastronom nach seinen ersten Erfahrungen.

Dann führt uns der umtriebige Entrepreneur durch den eigentlichen Gastraum. Eigens kuratierte Bilder, Pflanzen, Kerzenlicht und mit petrolfarbenem Samt bezogene Sofas laden zum Verweilen ein und verleihen dem Raum ein chillig-entspannendes Ambiente. Hinzu kommen Botschaften an den Wänden in Leuchtschrift wie „All you need is Love“ und „Be free, feel free“. Ein besonderer Blickfang sind die farbenfrohen Kunstwerke. Direkt über dem Samtsofa links neben dem Eingang hängt ein großes Gemälde, das gleich mehrere Engel, Blumen und Pflanzen in harmonischem Miteinander zeigt. „Das ist ein Bild der georgischen Malerin Nino Lomsadze, einer Freundin von mir“, erläutert Ilia Basilashvili und schwärmt von der positiven Energie, die er beim Blick auf das Werk der befreundeten Künstlerin fühlt und empfindet.

Betrachtenswert sind auch die zahlreichen kunterbunten Porträts von Ali Görmez, die der deutsch-türkische Maler im Pop-Art-Stil erschaffen hat und die hier an den Wänden hängen. „Ich habe ganz bewusst die Serie ‚Faces‘ aufgehängt, weil sie viel mit mir selbst zu tun hat“, erzählt Ilia Basilashvili. Er habe in seinem Leben schon viele Begegnungen gehabt und festgestellt, dass die Menschen viele Gesichter haben. „Es braucht eine Weile, bis man weiß, ob man jemandem vertrauen kann.“ Und dann berichtet er uns von einer zerbrochenen Liebesbeziehung, deren Ende ihn erst im vergangenen Herbst ereilt hat. In dieser Zeit habe er einmal tief betrübt vor Liebeskummer in einem der Cafés nebenan gesessen. Dabei entdeckte er zufällig einen Aushang, auf dem nach einem neuen Inhaber für die einstige „Mutschmanns“-Bar gesucht wurde. „Eigentlich wollte ich gar keine Bar eröffnen. Doch ich habe diese Anzeige als Zeichen gesehen, sie war die Rettung für mich“, erinnert er sich.
Sinfonie aus Blue Curaçao, Limette, Zitrone und Sprite

Nach unserem Rundgang sind wir wieder an der Bar angekommen und sind schon sehr gespannt auf die Kreationen unseres Gastgebers, die er für uns zusammenmixt. Wir wünschen uns etwas Alkoholfreies – schließlich ist es erst früh am Nachmittag und wir haben danach noch andere Termine. „Da habe ich etwas für euch“, sagt Ilia Basilashvili und gießt auch schon die ersten Flüssigkeiten in ein hohes Glas. „Das ist ein Winter-Caipirinha“, erläutert er, während er ein Stück Orangenschale hinzufügt und das zerstoßene Eis noch mit einer Prise Zimt bestäubt. Am Ende steht die sonnenscheingelbe Kreation vor meiner Nase und duftet zauberhaft zimtig.
Es folgt der erste Schluck – und ich bin restlos begeistert. Auf meinem Gaumen entfalten sich die Aromen von Zitrusfrüchten, Zimt und Lebkuchen. Das emotionale Areal meines Gehirns wird sofort aktiviert: Mir ist, als säße ich vor einem knisternden Kaminfeuer, als stünde neben mir ein Teller voller ofenwarmer Weihnachtsplätzchen, während draußen leise der Schnee rieselt. Das Einzige, was mich etwas irritiert: Das Getränk in meinem Glas ist eiskalt statt warm.
Angetan bin ich auch vom Pink Dream, von welchem der Fotograf und ich in der

nächsten Runde kosten. Die Kreation hat rein optisch etwas von Barbie, rosaroten Wolken und heiler Welt. Ihre Zusammensetzung aus Ananas- und Bananensaft, Kokosnusscreme, Sahne und Grenadine hört sich nicht nur süß, cremig und fruchtig an, sondern schmeckt auch genauso. Warum ein Dessert bestellen, wenn es das auch in flüssiger Form gibt? Selbst der Fotograf, der seinen süßen Zahn oft sehr diszipliniert zu zügeln weiß, nimmt nach dem ersten auch noch einen zweiten Schluck. Und dann noch einen dritten, vierten und fünften.

Nach so viel sanfter Yin-Energie brauchen wir nun etwas Stärkeres. Für mehr Yang-Power wirbelt unser Gastgeber erneut hinter der Theke und serviert uns den eher männlich inspirierten „Boys Killer“. Vorsichtig – denn es geht für uns nun alkoholisch weiter – nippen wir beide an der Gin-Cointreau-Mischung mit Ananas-Maracuja-Saft. Rundherum gelungen, würde ich sagen, als ich den leicht säuerlichen Drink mit meinem Gaumen in Berührung bringe.
Selbstredend wollen wir auch vom Lieblings-Drink des Hausherrn kosten und lassen

uns von Ilia Basilashvili einen Apricot Sour mit Brandy, Orangen- und Zitronensaft mischen. „Auch sehr lecker“, findet der begleitende Fotograf anerkennend. Ich nicke zustimmend. Dann setzt mein Begleiter seine Arbeit fort und lichtet zum Schluss noch ein georgisches Lagerbier ab. So viel Reminiszenz an die Heimat unseres Gastgebers muss sein. Als Gimmick hat Ilia Basilashvili die Biergläser zuvor ins Tiefkühlfach gestellt, was das Gerstengetränk danach besonders erfrischend aussehen lässt. Das spricht das ästhetische Empfinden des Profi-Fotografen an. Das Auge trinkt schließlich mit, nicht wahr?
Meinem optischen Faible kommt an diesem Nachmittag hingegen eine andere Kreation entgegen: Der Deep Blue Sea übt mit seinem Ozeanblau eine enorme Strahlkraft auf mich aus. Die Sinfonie aus Blue Curaçao, Limette, Zitronensaft und Sprite schmeckt fabelhaft und erinnert ein wenig an Zitronenlimonade mit Schuss.
Doch irgendwie passt der Drink eher zu warmen Sommerabenden am Pool als in die kalte Jahreszeit, finde ich. Vielleicht brauche ich einfach nur Geduld, denke ich bei mir und stimme mich mit einem weiteren Schluck auf den kommenden Sommer ein.