Das Berliner Kriminaltheater im ehemaligen Umspannwerk Ost wird in den kommenden Tagen 25 Jahre alt. Die Institution kommt ohne staatliche Zuschüsse aus.

Wolfgang Rumpf schaut sich selbst über die Schulter. Der 75-Jährige sitzt an einem Tisch in der Ecke des Foyers seines Theaters, wirkt etwas müde, aber zufrieden. Hinter Wolfgang Rumpf sitzt Wolfgang Rumpf, neben ihm steht Wolfgang Seppelt. Zusammen haben sie vor knapp 25 Jahren des Berliner Kriminaltheater gegründet. Uwe Müller-Fabian hat die beiden Wolfgangs 2005 auf dem Gemälde verewigt, vor dem Wolfgang Rumpf sich nun einen Zigarillo anzündet und eine Flasche Cola öffnet.
„Mit 75 kann man nachdenken, doch langsam aufzuhören“, sagt er. Aber auch wenn er alles so geregelt habe, dass es im Theater auch ohne ihn weitergehen könnte, ist das mit dem Aufhören kein aktueller Plan. „Ich bin noch fit“, sagt Wolfgang Rumpf – und redet dann doch lieber vom Anfang als vom Ende. Wobei: Vieles hier an diesem Ort beginnt mit einem Ende – einem tragischen, nicht selten blutigen Ende. „Ob Gift, Pistole oder Messer, ein Mord geschieht fast immer. Wer ist der Täter? Jedes Verbrechen hat ein Motiv, aber nicht jeder Verbrecher ein Alibi: Nicht immer ist der Mörder der Gärtner“, heißt es im Kriminaltheater.
Viele Gastspiele in ganz Deutschland
Wolfgang Rumpf hat an der Staatlichen Schauspielschule Berlin, der heutigen Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Schauspiel und Regie studiert. Er war Regieaspirant am Deutschen Theater und inszenierte danach freischaffend an einigen deutschen Schauspielhäusern. 1990 übernahm er die Intendanz des Berliner Satiretheaters „Die Kneifzange“. Das wurde 2011 geschlossen. Gut ein Jahrzehnt vorher war Wolfgang Rumpf allerdings schon klar, dass diese Art des Theaters keine Zukunft hat. „Das Zuschauerinteresse hat sich verändert damals. Es ging in Richtung Comedy. Die Leute wollen Spaß, weniger denken“, erklärt er.
Also haben er und andere darüber nachgedacht, „etwas anderes zu machen“, erzählt er. „Es gibt in Berlin viele gute Theater, also was?“, lautet die Frage. Die Antwort Anfang 2000 war: ein Kriminaltheater. Freitag, der 13. April, schien ihm und seinem Mitgründer, dem Dramaturgen Wolfgang Seppelt, ein gutes Datum. Auf den Mut, etwas Neues zu wagen, sei er heute noch „ziemlich stolz“, sagt Wolfgang Rumpf. Denn abgesehen von einer Projektförderung neulich, sei das Theater bisher ohne staatliche Zuschüsse ausgekommen. „Das heißt für uns: Wir können nur das ausgeben, was eingenommen wird“, erklärt der Mann, der inzwischen Intendant und Geschäftsführer in einer Person ist.
Das bedeutet: Im Gegensatz zu den großen Bühnen der Stadt muss das Kriminaltheater seine Fixkosten möglichst niedrig halten. Vier Leute in der Verwaltung, ein technischer Leiter und sechs Techniker – das muss reichen, sagt Wolfgang Rumpf. Die zurzeit 41 Schauspielerinnen und Schauspieler haben Stückverträge, arbeiten also freiberuflich.
22 Stücke sind aktuell im Repertoire. Mit einigen von ihnen geht das Kriminaltheater auf Tournee. „Wir machen viele Gastspiele in ganz Deutschland. Das ist nur möglich, weil wir viele Stücke und viele Schauspielerinnen und Schauspieler haben“, erklärt der Intendant. Sein Geld verdient das Theater also nicht nur in Berlin. Das werde wohl auch in Zukunft so bleiben, sagt Wolfgang Rumpf. Wobei er betont: Es handelt sich um Theater, nicht um sogenannte Krimi-Dinner, bei denen Menschen sich beim ausgiebigen Abendessen von ein paar Schauspielern nebenbei unterhalten lassen.
Aber zurück in die Vergangenheit: „Angefangen haben wir 2000 in Wilmersdorf am ehemaligen Spielort der Wühlmäuse. Das Gebäude ist dann aber abgerissen worden. Seit gut 22 Jahren sind wir nun hier“, erzählt der Intendant. „Hier“, das ist das ehemalige Umspannwerk Ost in der Palisadenstraße, einer kleinen Parallelstraße zur Karl-Marx-Allee in Friedrichshain. „Es ist ein ebenso wunderschön wie fachgerecht saniertes Haus, das sprichwörtlich unter Strom stand. Sieben große Transformatoren lieferten Strom für Berlin. Noch heute ist das technische Ambiente erkennbar und die Raumdimensionen sind beeindruckend. Dort, wo einst die Trafos verankert waren, stehen heute Tische und Stühle des gleichnamigen Restaurants in der weiten Maschinenhalle, umgeben von sechs Meter hohen lichtdurchfluteten Glastoren“, wirbt das Theater.
Klassiker und moderne Literatur

Das Restaurant gehöre zwar nicht dem Theater, es sei aber eine wundervolle Ergänzung, sagt Wolfgang Rumpf. „Das beständige Summen der Transformatoren wird nun von Sprache und Musik, durch Aktion und Bewegung ersetzt. Die Energie ist zurückgekehrt und soll dauerhaft gespeist werden aus dem Strom der Besucher, die nun in die Hallen einkehren und die faszinierende Verbindung von Kultur und Gastronomie erleben und genießen“, schwärmt er.
Die durchschnittliche Zuschauerin, der durchschnittliche Zuschauer sei 42 Jahre alt, hat man in Rumpfs Team ausgerechnet. Die Jüngeren interessieren sich eher für so einen Stoff: „23 sind es jedes Jahr weltweit, die während einer Reise mit einem Kreuzfahrtschiff verschwinden. 23, bei denen man nie erfährt, was passiert ist. Noch nie ist jemand zurückgekommen. Bis jetzt, bis auf Anouk, einem Mädchen, das vor einem halben Jahr mit seiner Mutter verschwand. Anouk, die wiederauftaucht. In ihrem Arm hält sie einen Teddybär.“ Die Geschichte ist von Thriller-Bestsellerautor Sebastian Fitzek. Der Teddybär ist das Stofftier, das der Sohn des nun ermittelnden Polizeipsychologen dabei hatte, als er selbst mit seiner Mutter von einem Kreuzfahrtschiff verschwand. Die Bühnenfassung von Fitzeks Roman „Passagier 23“ lieferte in dem Fall der Verlag, in dem er veröffentlicht wurde. Manchmal, sagt Wolfgang Rumpf, bearbeite er aber auch selbst Kriminalliteratur für die Bühne. „Aus ,Der Name der Rose‘ habe ich zum Beispiel eine Fassung für uns gemacht“, erzählt er.
Während zum „Tatortreiniger“ und den Fitzek-Stücken eher die Jungen kommen, locken der Broadway-Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ und Agatha Christies „Mausefalle“ eher ältere Menschen an. „Es kommen aber auch Schulklassen, meistens die Abiturjahrgänge. Für viele ist es das erste Mal im Theater, eine ganz neue Erfahrung“, schwärmt Wolfgang Rumpf. Er atmet durch, etwas müde, aber zufrieden.
Weitere Informationen und Karten: www.kriminaltheater.de