Drei Fragen
Digitaler Blindflug des Bundes
Die Bundesregierung kann nicht konkret sagen, wie viel Geld im Haushalt für die Digitalisierung bereitgestellt wurde – aber Stefan Heumann, Geschäftsführer des Polit-Thinktanks Agora Digitale Transformation, kann es.
Herr Dr. Heumann, wenn ich Bundesfinanzminister Jörg Kukies fragen würde, was gibt der Bund für die Digitalisierung aktuell aus, könnte er mir das derzeit sagen?
Nein, und das liegt nicht daran, dass er erst sehr kurz im Amt ist, sondern die Digitalausgaben im Haushalt werden nicht gesondert aufgelistet. Aber ich kann Sie und auch das Bundesfinanzministerium beruhigen, dank der Studie, die wir beim Leibniz-Institut Mannheim in Auftrag gegeben haben, wissen wir: Im letzten Bundeshaushalt wurden nur fĂĽr die reine Digitalisierung, etwa in der Verwaltung oder Infrastruktur, gut 19 Milliarden Euro ausgegeben. Also eine nicht ganz unerhebliche Summe, wenn sie auch im Vergleich zu anderen Haushaltsressorts relativ gering erscheinen mag.
Wobei sich Finanzminister Kukies bei der Angabe immer auf das Leibniz-Institut berufen mĂĽsste. Wie kann das sein, dass ĂĽber alles genau Buch gefĂĽhrt wird, nur nicht ĂĽber Digitalisierung?
Weil die Maßnahmen bis zum heutigen Tag nicht zentral von einer Kostenstelle gesteuert werden, sondern jedes Bundesministerium plant für sich und den angeschlossenen Behörden allein. Das heißt, die Digitalisierungsausgaben verteilen sich damit über den gesamten Bundeshaushalt. Und wer sich einen Überblick über die Aufwendungen zur Digitalisierung verschaffen will, muss den gesamten Bundeshaushalt, mehr als 5.000 Haushaltstitel, durchforsten. Ergo, es gibt damit sehr wahrscheinlich viele Doppel- wenn nicht Dreifachstrukturen, zum Beispiel beim Einkauf der Software.
Daraus schließe ich, es kostet mehr Geld, als es müsste, und zum Beispiel gibt es bei der Digitalisierung nur der Bundesbehörden auch keinen stringenten Plan?
Zweimal Ja: Wenn ich für alle Ministerien auf einmal Soft- oder Hardware einkaufe, bekomme ich einen besseren Preis, als bei einer kleineren Bestellung. Abgesehen davon, dass dann auch untereinander alles garantiert kompatibel ist. Um das dann allerdings auch alles planvoll für die Zukunft zu gestalten, dazu bräuchte es am besten ein Digitalministerium. Es wäre ein recht mächtiges Ministerium, weil es die Gelder zur Digitalisierung freigeben müsste, aber es könnte dann auch die entsprechenden Standardvorgaben machen, was dann eben Geld sparen und die behördliche Arbeitseffizienz erheblich steigern würde. Interview: Sven Bargel

Mehr Schulden für Verteidigung ermöglichen
Um den EU-Staaten eine massive Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben zu ermöglichen, soll die nationale Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes genutzt werden. Dies hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Münchener Sicherheitskonferenz angekündigt. Diese Klausel erlaubt ein Abweichen von den EU-Schuldenregeln, wenn es außergewöhnliche Umstände gibt, die sich der Kontrolle der Mitgliedstaaten entziehen und erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen haben. Die Umstände wären in dem Fall der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Schätzungen der EU-Kommission zufolge sind in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Verteidigungsinvestitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro erforderlich. Als mögliche EU-Projekte gelten dabei zum Beispiel ein europäisches Luftverteidigungssystem und eine verstärkte Sicherung der östlichen Landgrenze der Union. Die Klausel war zuletzt 2020 in der Corona-Pandemie aktiviert worden. Von der Leyen dazu: „Ich glaube, wir befinden uns jetzt in einer neuen Krise, die einen ähnlichen Ansatz rechtfertigt.“
„Löcher im Zusammenhalt“
Die Situation ist nicht neu: Vielen Kommunen in Deutschland geht es finanziell schlecht – und die Lage hat sich dramatisch verschärft, betont der Deutsche Städtetag. Nach dessen Erhebung können fast 40 Prozent der Städte keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen, knapp die Hälfte, schafft das nur durch Zugriff auf Rücklagen. Die Situation ist auch aus Sicht von Wohlfahrtsverbänden dramatisch, betont etwa die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa. In der Folge sind vor allem sogenante „freiwilligen Leistungen“ der Kommunen ernsthaft bedroht. Die Caritas-Präsidentin warnt: „Die Löcher, die gerissen werden – ob in der Sozialberatung, bei Kinder- und Jugendarbeit, im Quartiersmanagement oder in der Begleitung pflegebedürftiger Menschen – sind Löcher sozialen Zusammenhalts“.
Millionenhilfe fĂĽr DĂĽngemittel-Fabrik
Das Bundesministerium für Entwicklung (BMZ) unterstützt Marokko beim Einstieg in die grüne Wasserstoffproduktion mit 30 Millionen Euro. So soll mit dieser Investition die nachhaltige Düngerherstellung forciert werden. Der vom BMZ extra geschaffene Entwicklungsfonds unterstützt den Aufbau einer Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in einer Industriezone südlich von Casablanca. Die Energieversorgung für die Produktionsanlage soll aus Wind- und Solarstrom erfolgen. Im nächsten Schritt soll mit dem grünen Wasserstoff Ammoniak hergestellt werden. Ammoniak ist ein Grundstoff in der chemischen Industrie und damit auch für Düngemittel. Ab Anfang 2027 sollen jährlich bis zu 100.000 Tonnen grüner Dünger in Marokko produziert und dabei etwa 300.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Mittelfristig soll die Produktion auf drei Millionen Tonnen Ammoniak gesteigert werden, so das Entwicklungsministerium.
Wie junge Menschen ticken
Für junge Menschen sind steigende Preise das mit Abstand wichtigste Problem, das in den nächsten Jahren gelöst werden muss. Das gilt gleichermaßen für junge Menschen in Deutschland und in der EU. Für 40 Prozent der befragten 16- bis 30-Jährigen kommt das Thema noch vor Klimaschutz, der wirtschaftlichen Lage und Arbeitsplätzen. Das hat das Eurobaromter ergeben, für das europaweit knapp 26.000 junge Menschen befragt wurden, davon in Deutschland etwas über 1.000. Interessant sind die Unterschiede: Beim Thema Preise liegt der Anteil junger Menschen in Deutschland noch im EU-Durchschnitt. Beim Thema Klima hinkt Deutschland dem EU-Durchschnitt hinterher (33 zu 29 Prozent), noch deutlicher bei Wirtschaft und Arbeitsplätzen (31 zu 24 Prozent). In einem Punkt allerdings meinen mehr junge Menschen in Deutschland, dass es ein wichtiges Thema für die nächsten Jahre ist: Bildung. Das ist für fast ein Drittel (31 Prozent) in Deutschland wichtig, EU-weit liegt der Durchschnitt bei 27 Prozent.
Kinderrechte im Grundgesetz verankern

Das Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“ fordert von der neuen Bundesregierung als eine der ersten Maßnahmen die ausdrückliche Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Mit einer solchen verfassungsrechtlichen Verankerung der Kinderrechte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention würden die Kinderrechte automatisch stärker als bisher zu einem Kompass für politisches Handeln aller Agierenden werden. Langfristig würde damit eine tragfähige Grundlage für ein kinder- und familienfreundlicheres Land geschaffen, so das Aktionsbündnis. Aus Sicht des Bündnisses wird gerade in Krisenzeiten deutlich, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen weniger Berücksichtigung finden. Kinderrechte im Grundgesetz würden aber auch die Rechte der Eltern zum Wohle ihrer Kinder stärken. Laut einer Forsa-Umfrage für das Deutsche Kinderhilfswerk hatten 73 Prozent der Befragten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz als wichtige Aufgabe für die nächste Bundesregierung angesehen.

Bundesrat
Leitmarkt fĂĽr grĂĽnen Stahl
Deutschland will weltweit führend werden bei der Produktion von grünem Stahl. Das Problem: Der Stahl wird weit teurer sein als jener mit fossiler Energie hergestellte. Darum hat das Saarland eine Bundesratsinitiative für einen Leitmarkt für grünen Stahl gestartet, erklärt der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD). Demnach sollen bei der Vergabe von staatlichen Infrastrukturmaßnahmen, wie bei der Bahn, verpflichtend Stoffe aus grüner Produktion verbaut werden. Frankreich macht es uns bereits vor, so Barke mit Blick zum Nachbarland. „In Frankreich ist es geregelt, dass in den Ausschreibungen zu 60 Prozent der Preis und zu 40 Prozent der CO2-Fußabdruck gilt. Die Bahn investiert bei uns 100 Milliarden in die Erneuerung ihrer Infrastruktur in den nächsten Jahren, über eine CO2-Fußabdruckreglung käme so der grüne Stahl zum Zuge“. Der saarländische Wirtschaftsminister begründet den Vorstoß mit der Logik der Transformation: „Wenn der Staat von den Unternehmen verlangt, dass sie grün produzieren, muss der Staat auch bereit sein, diese grünen Produkte in den eigenen Vergabeverfahren bei seinen Baumaßnahmen einzusetzen.“
Kritik am Pflegekompetenzgesetz

Zukünftig sollen Pflegekräfte bei der Versorgung in Alten-, stationärer und ambulanter Pflege mehr Kompetenzen übertragen bekommen und so das medizinische Personal entlasten. Im Übrigen, so der deutsche Pflegerat, würde dies den Patienten und auch den Pflegekräften viel Zeit und Wege ersparen. Nun hat der Bundesrat eine Stellungnahme zum vorgelegten Gesetz der Bundesregierung zur Steigerung der Pflegekompetenz vorgelegt. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, kritisiert dies als zu kurz gesprungen. „Wir als Pflegerat fordern, dass Pflegefachpersonen als autonome und gleichberechtigte Profession und damit als Partner im Gesundheitssystem anerkannt werden. Dies muss im künftigen Gesetz der neuen Bundesregierung verankert werden, nur so schaffen wir dringend benötigte Ressourcen, um die dramatische Versorgungslage in der Pflege zu entschärfen“, so Vogler. Das Gesetz sollte bereits seit dem ersten Januar in Kraft getreten sein, doch das Aus der Ampelregierung hat dies verhindert.

Luxemburg
Beschwerde in BrĂĽssel
Die Luxemburger Regierung wird „noch in diesem Monat“ einen Beschwerdebrief an die EU-Kommission schicken. Innenminister Léon Gloden hatte das schon im Januar angekündigt. Jetzt macht er Ernst. Grund sind die deutschen Grenzkontrollen, die bis September verlängert wurden. Luxemburg hatte schon in der Vergangenheit immer wieder klare Kritik an den Kontrollen geäußert und deren Sinnhaftigkeit und Effektivität bezweifelt. Die Opposition in Luxemburg (Sozialisten, Grüne, Piraten und Linke) wollten sogar noch einen Schritt weitergehen und Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Davon wiederum hält die Regierung wenig. Eine Entscheidung würde unter Umständen Jahre dauern und würde in der Praxis somit nicht viel bringen, hieß es zur Begründung. Ob eine Beschwerde bei der Kommission viel bringt, ist aber unklar. Im Luxemburger Parlament herrscht jedenfalls weitgehend Einigkeit in der Kritik am deutschen Vorgehen. Lediglich die ADR (vergleichbar der deutschen AfD) zeigte Verständnis für Grenzkontrollen.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Das Europa, das wir bis vorige Woche kannten, gibt es nicht mehr. Ein Jahrzehnt nach seinem ersten Auftritt hat Donald Trump uns brachial ins Abseits gedrängt. Mit voller Absicht.
Trump, sein Vize J. D. Vance und die US-Minister sehen uns Europäer nicht mehr als Verbündete. Wir sind Rivalen. Der Schlachtruf „America first!“ ist ernst gemeint. Alles zum eigenen Vorteil. Für die anderen die Brosamen.
Das ist eine US-Attacke mit Ansage. Jeder wusste, was Trump im Schilde führt. Dennoch haben wir Europäer uns eine lange Schlafenszeit geleistet – sie dauerte genau zehn Jahre. Und das trotz der Weckrufe von Experten. An lauten Bitten, der Ukraine gegen Russlands Aggression wirksam beizustehen, mangelte es wahrlich nicht.
Doch der Alarm verhallte in Talkshows. Kanzlerämter, Präsidentenpaläste und Regierungssitze erreichte er nicht. Das politische Europa – insbesondere auch in Deutschland – träufelte sich Hypnotika ein. Die Folge: Zurücklehnen, Zögern, Zaudern anstatt Aktivität, Ambition, Attacke.
Nun sind wir in einem Europa aufgewacht, das sich zwei Oligarchen aufteilen wollen. Putins Pläsier wird das Zerstückeln ukrainischer Territorialhappen sein. Trump träumt indessen von eigenen Filetstücken, etwa dem Zugang zu Rohstoffen. Für uns in Europa bleibt die Rechnung übrig. Für die Sicherung eines wie auch immer gearteten Friedens.
Doch dazustehen wie ein beiĂźgehemmter begossener Pudel nĂĽtzt nichts. Auch der Letzte mit Verantwortung muss jetzt in den Spiegel schauen. Nur ein einiges Europa mit klaren Strategien kann sich zwischen den Kraftmeiern in Washington und Moskau behaupten.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.